JU-Chef Winkel zu Deutschlandtag "Offene Grenzen und offener Sozialstaat nicht kompatibel"
20.10.2023, 09:35 Uhr Artikel anhören
Johannes Winkel ist seit knapp einem Jahr Vorsitzender der Jungen Union. Der 31-jährige Rechtsanwalt folgte auf Tilman Kuban, der mittlerweile im Bundestag sitzt. Er kommt aus Kreuztal bei Siegen (NRW) und lebt in Düsseldorf.
(Foto: picture alliance/dpa)
An diesem Wochenende lädt die Junge Union (JU), die Jugendorganisation von CDU und CSU, zum Deutschlandtag ein. Zum Treffen in Braunschweig kommt auch Israels Botschafter Prosor. Bei ntv.de sagt JU-Chef Winkel, was er Gästen wie Friedrich Merz, Markus Söder, Carsten Linnemann und Ursula von der Leyen mit auf den Weg geben will: klare Kante in Sachen Migration.
ntv.de: Herr Winkel, an diesem Freitag trifft sich die Junge Union zum Deutschlandtag. So ein Treffen soll immer auch gute Stimmung bei den eigenen Leuten verbreiten. Wie kriegt man das hin in Zeiten von Kriegen in Israel und der Ukraine?
Johannes Winkel: Das ist tatsächlich eine schwierige Aufgabe. Wir freuen uns, dass der israelische Botschafter Ron Prosor zu uns kommt und wir damit das klare Zeichen setzen können, dass die größte politische Jugendorganisation Deutschlands felsenfest an der Seite Israels steht. Die Stimmung wird sicher ernsthafter sein als sonst, auch am Freitagabend, an dem es sonst etwas ausgelassener zugeht.
Wie haben Sie die furchtbaren Terrorattacken auf Israel wahrgenommen und wie stehen Sie zu Israels Reaktion darauf?
Wie alle war auch ich tief geschockt. Nicht zuletzt, weil viele junge Leute ermordet wurden, die auf einem Festival das Leben gefeiert haben. So wie es auch viele unserer Mitglieder diesen Sommer getan haben. Da wurden völlig Unbeteiligte einfach niedergemetzelt. Das ist das Vorgehen der Hamas. Wenn Israel militärische Maßnahmen ergreift, sprechen sie vorher eine Warnung an alle Zivilisten aus. Das sagt eigentlich alles über das jeweilige Politik- und Militärverständnis aus. Israel hat alles Recht der Welt und gegenüber seinen Bürgern die Pflicht, sich zu verteidigen. Grundsätzlich ist es so: Wenn die Hamas die Waffen niederlegt, dann ist Frieden in Israel. Wenn Israel die Waffen niederlegt, gibt es Israel nicht mehr.
Waren Sie schon einmal dort?
Bisher nicht, nein. Wir wollten eigentlich mit dem Bundesvorstand der Jungen Union in vier Wochen nach Israel reisen und viele politische Gespräche führen. Ob das nun noch möglich ist, steht in den Sternen.
Zum Deutschlandtag kommen hochkarätige Gäste: Friedrich Merz, Markus Söder, Ursula von der Leyen und Carsten Linnemann. Was wollen Sie denen mit auf den Weg geben?
Zunächst einmal unterstreichen diese Gäste den Stellenwert der Jungen Union. Alle, die wir angefragt haben, haben zugesagt. Es freut mich besonders, dass auch Swetlana Tichanowskaja kommt. Unsere Botschaft ist zum einen die Solidarität mit Israel. Die andere Botschaft ist: bei den wichtigen Themen klare Kante gegen die Ampel zu zeigen.
Dann sprechen wir darüber. In die Migrationspolitik ist einige Bewegung gekommen. Die EU will an den Außengrenzen Lager errichten, in denen über Asyl entschieden wird, es soll Grenzkontrollen zur Schweiz geben und Abschiebungen erleichtert werden. Reicht das?
Nein. Die EU-Krisenverordnung bewirkt vielleicht ein bisschen, in drei Jahren. Und selbst dagegen hat sich die Ampel quergestellt.
Die Krisenverordnung ist aber nur ein Teil der grundsätzlichen Einigung, über Asyl schon an den Außengrenzen zu entscheiden.
Das ist der richtige Weg. Aber diesen Weg hat die Ampel so lange blockiert, bis der Bundeskanzler sagen musste: Liebe Frau Baerbock, ich entscheide jetzt ohne Sie. Europäische Maßnahmen sind richtig, aber wir sollten auch nationale Maßnahmen ergreifen.
Was stellen Sie sich vor?
Der Fokus sollte auf den Sozialleistungen liegen. Das ist zunächst einmal ein Pull-Faktor, ein Anreiz nach Deutschland zu kommen. Zugleich haben die Regierungschefs der Herkunftsländer keinen Anreiz, ein Rückführungsabkommen zu schließen. Denn sie wissen, dass pünktlich zum Monatsersten ein nicht kleiner Teil des Sozialgelds in die Heimat überwiesen wird.
Dann ist Ihre Grundannahme, dass die Menschen gar nicht verfolgt werden, sondern Wirtschaftsflüchtlinge sind.
Das ist zum großen Teil die Realität.
Aber die wichtigsten Herkunftsländer sind die Länder Syrien und Afghanistan. In Syrien ist immer noch Krieg, wenn auch in geringerem Ausmaß als früher, und in Afghanistan muss um sein Leben fürchten, wer nicht auf Taliban-Linie liegt.
In Syrien haben wir sicherlich eine differenzierte Sicherheitslage. Wir haben auch sehr viele Menschen in Deutschland, die vorgeben, aus Afghanistan zu sein. Sie haben aber keine Pässe mehr, um das nachzuweisen. Dafür haben wir keine Handhabe. Am Ende des Tages müssen wir die Pull-Faktoren verringern. Die Länder, die 2015 auf einem ähnlichen Kurs waren wie wir, Österreich, die skandinavischen Länder, haben genau das gemacht. Die Kombination aus offenen Grenzen und offenem Sozialstaat ist auf Dauer nicht kompatibel.
Sie haben Sympathien für das dänische Modell gezeigt. Dort gab es auch Pläne, Asylbewerber nach Ruanda zu schicken. Ist das ein Ziel für Sie, unabhängig von der Umsetzbarkeit?
Nein. Wir sollten aber darüber nachdenken, gezielt Flüchtlingskontingente selber zu definieren, wie es Thorsten Frei (der parlamentarische Geschäftsführer der Union, Anm. d. Red.) vorgeschlagen hat. Statt ein unbegrenztes Versprechen auf individuelles Asyl und eine Verfahrensprüfung in Deutschland sollte man sich so ehrlich machen und eingestehen, dass wir das nicht einhalten können.
Warum nicht?
Weil es einfach zu viele Flüchtlinge auf der Welt gibt. Die können wir nicht alle aufnehmen. Unsere Gesellschaft ist nur begrenzt aufnahmefähig. Das ist ein Fakt. Mir ist klar, dass das eine schwierige Debatte ist. Man sollte aber eines nicht tun: Alle Vorschläge zu einer Begrenzung sofort als inhuman canceln. Denn in Wahrheit ist unser jetziges System inhuman.
Inwiefern?
Das Rennen, das wir in Gang gesetzt haben, können nur die Stärksten gewinnen. Die Schwächsten bleiben zurück. Das ist die Realität.
Aber wo zieht man die Grenze? Selbst wenn man gesagt hätte, wir nehmen eine Million Ukrainer als Kontingent auf, was ist dann mit denen, die danach kommen?
Dann kann man eine neue Entscheidung treffen und das Kontingent erweitern. Wichtig ist es, den Automatismus zu durchbrechen: Wer europäischen Boden betritt, bekommt Asylleistungen in Deutschland. Das ist de facto der Zustand. Das kann kein langfristiges Konzept sein.
Sie sprechen sich auch für Aufnahmeprogramme aus, um die vermeintlich tatsächlich Schutzbedürftigen zu holen. Aber woher soll die politische Dynamik dafür kommen, wenn einmal die Schotten dichtgemacht wurden? Ist das nicht nur ein Feigenblatt, um nicht als Unmensch dazustehen?
Nein. Ich wäre jedenfalls dafür. Noch einmal: Das jetzige System ist inhuman. Jetzt sind die Schwächsten außen vor. Das sollten wir ändern.
Die Sozialleistungen sind das deutsche Existenzminimum, insofern lässt sich da nicht viel kürzen.
Wenn das Verfassungsgericht ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt, ist das zu akzeptieren. Aber das verbietet dem Gesetzgeber nicht, auf neue Lagen neue Antworten zu finden.
Kann man mit der Migration den Aufstieg der AfD erklären?
Es ist nicht der einzige, aber natürlich der entscheidende Grund. Ich mache mir große Sorgen. Wenn zu einer schwierigen gesellschaftlichen Stimmung noch eine handfeste wirtschaftliche Krise kommt, wundern mich deren Umfrageergebnisse nicht. Wir müssen Lösungen finden, damit nicht am Ende diejenigen an die Macht kommen, die überhaupt keinen humanitären Anspruch in der Politik haben.
Sie sind nun ein gutes Jahr Vorsitzender der Jungen Union und haben in der Zeit viel erlebt. Was ist für Sie besonders in Erinnerung geblieben?
Mir fällt als Erstes meine Reise in die Ukraine ein. Im Frühjahr war ich in Butscha, Irpin und Kiew und habe dort mit vielen jungen Leuten gesprochen. Sie kämpfen mit ihrem Leben für Demokratie und Freiheit. Das setzt unsere Probleme in Deutschland sehr ins Verhältnis. Diese Menschen haben mich wahnsinnig beeindruckt und mir auch Mut in diesen schwierigen Zeiten gemacht.
Mit Johannes Winkel sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de