"Probleme leicht und rasch lösen" Orban handzahm und drohend
18.01.2012, 17:53 UhrAuch die Finanzmärkte warten auf eine Lösung des Streits zwischen der EU und Ungarn. Die Kompromissbereitschaft von Premier Orban im Europaparlament wird mit Erleichterung zur Kenntnis genommen. Denn nur so kann es neue Kredite für das klamme Land geben. Doch Orban macht auch klar, dass er die Richtung seiner Politik nicht ändern wird.
Ungarns Regierungschef Viktor Orban ist im Streit über Verstöße seines Landes gegen EU-Recht einen Schritt auf die EU-Kommission zugegangen. In einem Schreiben an Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso habe er sich bereiterklärt, über die von der Kommission verlangten Gesetzesänderungen zu sprechen, erklärte Orban im Europäischen Parlament in Straßburg. "Die Probleme können leicht und rasch gelöst werden", fügte er an. Im Übrigen hätten die Bedenken, die die Brüsseler Kommission geäußert habe, nichts mit der neuen ungarischen Verfassung zu tun, sondern nur mit Durchführungsbestimmungen.
Orban verteidigte allerdings auch die Bilanz seiner Regierung, die innerhalb von eineinhalb Jahren "enorm viel geleistet" habe. 356 Gesetze seien verabschiedet, die noch aus der kommunistischen Zeit stammende Verfassung durch eine neue ersetzt worden. Der Staatshaushalt sei nun stabil, die Leistungsbilanz positiv, paramilitärische Organisationen seien abgeschafft worden. Minderheiten, auch Roma und Sinti, würden geschützt. Er habe auch die Verwaltung, die Justiz, das Sozialversicherungs- und Steuersystem erneuert, sagte Orban. Bei diesem Tempo sei es nur "natürlich", dass es auch Streitfragen gebe.
Orban will zudem am kommenden Dienstag in Brüssel mit Barroso zusammentreffen. "Ich erwarte schnelle Ergebnisse von dem Treffen", sagte er dazu. Zu konkreten Streitthemen nahm Orban im Europaparlament nicht Stellung.
"In Richtung eines autokratischen Systems"
Allerdings musste sich der Premier massive Kritik am politischen Kurs seiner Regierung anhören – vor allem von Vertretern der Linken, Liberalen und Grünen. Betroffen seien Menschen, die zuvor gegen Nazi-Deutschland und gegen den Kommunismus gekämpft hätten, sagte der Chef der sozialdemokratischen Fraktion, Hannes Swoboda. Ihre Freiheit werde nun wieder beschnitten. Orban habe sein Land in der Tat erneuert - aber in Richtung eines autokratischen Systems, sagte der Ko-Vorsitzende der Grünen, Daniel Cohn-Bendit. Der neu gewählte sozialdemokratische sagte, in letzter Konsequenz könne man Ungarn auch das Stimmrecht entziehen. Diese Möglichkeit besteht, wenn ein EU-Mitgliedsland nachhaltig gegen die Grundwerte der Union verstößt.
Vertreter der Europäischen Volkspartei (EVP), unter ihnen mehrere Abgeordnete von Orbans Fidesz-Partei, wiesen die Vorwürfe vehement zurück. Die ungarische Verfassung gewähre den "besten Minderheitenschutz" in der EU, auch sei in ihr die EU-Grundrechtecharta verankert, sagte der CSU-Abgeordnete Bernd Posselt. Die Kritik an Orban sei "ideologischer Zirkus".
Nach Befürchtung der EU ist die Unabhängigkeit der Zentralbank, der Datenschutzbehörde und des Justizbereichs von staatlichem Einfluss nicht gesichert. Allerdings konnte die Union schon im vergangenen Jahr im Mediensektor auf diese Weise nur die striktesten Vorschriften abwenden. In der Praxis kann die Regierung die Medien weiter gängeln.
Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit
Barroso sagte in Straßburg, es gehe um mehr als um die bloße Einhaltung von EU-Rechtsvorschriften. Ungarn müsse auch die europäischen Grundwerte wie Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit einhalten. Ungarn müsse ein anerkanntes EU-Mitglied bleiben. "Es ist eine Debatte mit Ungarn und ... für Ungarn, wir wollen keinen Schatten des Zweifels über die Demokratie in irgendeinem unserer Mitgliedstaaten." Zudem gebe es insgesamt Probleme mit der "politischen Kultur" in Ungarn, etwa beim Umgang mit der Opposition. Die Kommission werde die Lage beobachten und gegebenenfalls weitere Schritte einleiten, sagte Barroso.
"Wir werden uns in diesem Fall der Macht beugen, nicht den Argumenten", hatte Orban zuvor bereits der "Bild"-Zeitung gesagt. Wenn die EU Probleme mit der beschlossenen Aufstockung des Finanzrats der Notenbank habe, "werden wir bereitwillig den Forderungen nachkommen. Sogar wenn es zum Nachteil der Notenbank ist", sagte Orban. Vorwürfe, seine Regierung handle undemokratisch, wies Orban zurück. "Wer uns den Willen zur Demokratie abspricht, dem empfehle ich einen Blick in unsere Verfassung", sagte er. "Ungarn ist und bleibt demokratisch und ein Land der Freiheitskämpfer. Wir stehen für unsere Werte und unsere Nation, auch wenn es Gegenwind gibt."
Die EU-Kommission sandte zudem ein Beschwerdeschreiben nach Budapest, in dem sie Ungarn mahnt, die Pressefreiheit zu achten. Anlass ist die Nicht-Erneuerung von Lizenzen für den regierungskritischen Sender "Klubradio". "Beim Respekt für Medienfreiheit und -vielfalt geht es nicht nur um die technisch richtige Anwendung von EU-Recht und nationalem Recht, sondern auch - und noch wichtiger - darum, diese Grundprinzipien in der Praxis anzuwenden und zu fördern", heißt es in dem Schreiben. Die Kommission werde die Situation weiter im Auge behalten.
Ungarn ist seit Antritt der rechtsgerichteten Fidesz-Regierung unter Orban vor knapp zwei Jahren immer stärker auf Konfrontationskurs mit der EU. Mit Hunderten Gesetzesänderungen krempelt Orban das Land um. Viele der neuen Vorschriften zielen darauf ab, die Macht seiner mit Zwei-Drittel-Mehrheit regierenden Partei zu stärken. Allerdings geht es für Budapest auch ums Geld. Das krisengeplagte Land hatte Ende 2011 Finanzhilfe von EU und IWF beantragt. Die Verhandlungen über das Kreditprogramm liegen jedoch auf Eis, solange die Unabhängigkeit der Zentralbank nicht gesichert ist. An den Finanzmärkten sorgte Orbans Verhandlungsbereitschaft nun für die Hoffnung, dass ein Kreditpaket für Ungarn doch nicht in weiter Ferne ist. Der Forint legte um ein Prozent zu, die Zinsen auf Staatsanleihen gingen deutlich zurück.
Kaczynski kritisiert EU
Nach dem EU-Vertrag darf sich die Regierung eines Landes nicht in die Geldpolitik der Zentralbank einmischen, um deren Unabhängigkeit zu gewährleisten. Der ungarische Zentralbankrat muss aber der Regierung die Tagesordnung seiner Sitzungen vorlegen und Minister können an den Beratungen teilnehmen. Besonders umstritten ist die Aufstockung des Zentralbankrats um einen von der Regierung entsandten Vertreter.
Die nationalkonservative Opposition in Polen kritisierte unterdessen die EU scharf wegen der Einleitung juristischer Schritte gegen Ungarn. "Die EU hat sich nicht am vorherigen Regime gestört, das ein riesiges Haushaltsdefizit hatte. Jetzt, wo Demokratie und grundlegende Ordnung nach Ungarn zurückgekehrt sind, stören sie sich an Ungarn", sagte Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski in Warschau. Der nationalkonservative Oppositionspolitiker hatte im vergangenen Jahr angekündigt, im Fall eines Wahlsiegs ein "zweites Ungarn" anzustreben.
Quelle: ntv.de, rts/AFP/dpa