EU bestellt Premier zum Rapport ein Papandreou beharrt auf Referendum
01.11.2011, 23:00 Uhr
Papandreou hat mit seinem Plan über eine Volksabstimmung Europa brüskiert und sein politisches Überleben aufs Spiel gesetzt.
(Foto: dpa)
Griechenlands Premier Papandreou ist trotz des Widerstands in den eigenen Reihen entschlossen, ein Referendum über den Sparkurs abzuhalten. Schon am Freitag könnte der Plan Geschichte sein - dann stellt er im Parlament die Vertrauensfrage. Die EU reagiert verärgert auf den Alleingang und beruft ein Sondertreffen ein.
Griechenlands Premierminister Giorgos Papandreou hält trotz vehementer Kritik aus dem In- und Ausland an seinem Plan fest, eine Vertrauensabstimmung und ein Referendum über den Sanierungskurs abzuhalten. Das berichtete Vize-Regierungssprecher Angelos Tolkas am Rande einer Krisensitzung des Kabinetts in Athen. Zuvor war sogar über einen möglichen Rücktritt des Ministerpräsidenten gemutmaßt worden.
Nun sieht es so aus, als entscheide sich das Schicksal Papandreous am Freitag. Dann steht die Vertrauensfrage des Premiers zur Abstimmung. Seine Mehrheit im Parlament bröckelt zusehends. Die Abgeordnete Milena Apostolaki, ein führendes Mitglied von Papandreous Panhellenischer Sozialistischer Bewegung (PASOK), gab ihren Austritt aus der Fraktion bekannt. Sie beklagte, das Referendum führe zur "Spaltung" Griechenlands. Papandreous Mehrheit im Parlament verringert sich dadurch auf 152 von insgesamt 300 Abgeordneten. In einem Brief verlangten sechs Führungskräfte der PASOK-Partei den Rückzug Papandreous. "Das Land braucht dringend eine politisch legitimierte Regierung", zitierte die Nachrichtenagentur ANA aus dem Schreiben.
Offiziell zeigt sich Papandreou siegessicher. Die Regierung sei sicher, die Abstimmung für sich zu entscheiden, um mit ihren Plänen voranzuschreiten, sagte Regierungssprecher Tolkas. Einige politische Beobachter meinen jedoch, ein Detail der Kabinettssitzung deute auf einen Regierungswechsel hin: Etliche Führungsposten in der griechischen Armee wurden neu vergeben. Es sei üblich, dass Regierungen in Griechenland die Führung der Streitkräfte mit ihnen nahestehenden Offizieren besetzen, wenn sie befürchten, demnächst die Macht abgeben zu müssen. Das Verteidigungsministerium bezeichnete die Personalentscheidungen dagegen als "gewöhnlich" und "seit Langem geplant".
Papandreou muss zum Rapport

Die Gerüchteküche in Athen läuft auf Hochtouren.
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Die Nachricht über das geplante Referendum hatte in Europa ein politisches Erdbeben ausgelöst. Die neu aufgeflammte Griechenland-Krise soll auf einem Sonder-Spitzentreffen am Mittwoch in Cannes vor dem G20-Gipfel besprochen werden. Das teilte die Bundesregierung mit. Zuvor hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy in einem Telefonat die Lage erörtert. Eurogruppen-Chef Claude Juncker bestätigte, dass die Entscheidung Papandreous nicht mit seinen europäischen Kollegen abgesprochen war. An dem Sondertreffen werden neben Merkel und Sarkozy auch die Spitzen von Europäischer Union, EU-Rat, Europäischer Zentralbank (EZB) sowie des Internationalen Währungsfonds (IWF) teilnehmen.
Was in Cannes besprochen werden dürfte, daran ließ der französische Präsident keinen Zweifel. Die Euroländer erwarteten für ihre Solidarität Gegenleistungen der Griechen, sagte Sarkozy. Das auf dem Euro-Gipfel in der vergangenen Woche beschlossene Paket sei der "einzige Weg" aus der griechischen Schuldenkrise. Die Absicht von Premierminister Giorgios Papandreou, die Griechen über die Hilfsmaßnahmen abstimmen zu lassen, habe "ganz Europa überrascht".
Papandreou hatte am Montagabend überraschend eine Volksabstimmung über ein neues internationales Rettungspaket angekündigt. Der Regierungschef erklärte zudem, er wolle im Parlament die Vertrauensfrage zu stellen, um sich die Unterstützung der Abgeordneten für die verbleibende Regierungszeit bis 2013 zu sichern. "Wir vertrauen den Bürgern. Wir glauben an ihr Urteilsvermögen. Wir glauben an ihre Entscheidung", sagte Papandreou vor Abgeordneten seiner sozialistischen Partei. "Der Willen des Volkes ist bindend."
Telefonleitungen glühen
Die Schockwellen aus Athen erschüttern die gesamte Europäische Union. Während , zeigte sich die Politik überrascht bis verärgert. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagte, er sei "irritiert" von der Entscheidung des griechischen Ministerpräsidenten und sprach von einem "merkwürdigen" Verhalten. Es könne nicht sein, dass Griechenland nicht die eigene Misere bekämpfen wolle, aber auch auf großzügige Hilfen der Europäer hoffe. Brüderle mahnte die Bundesregierung und die Europäer, sich gegen einen Staatsbankrott des Landes zu wappnen. Wenn das griechische Volk gegen die vereinbarten Auflagen, die die Gegenleistung für Hilfen sind, stimme, "dann wird es meines Erachtens zu einem Staatsbankrott kommen", sagte Brüderle im Deutschlandfunk.

Das Duo Sarkozy/Merkel wird in Cannes wieder gefordert sein (im Bild: Protestaktion gegen den G20-Gipfel).
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Die politische Spitze der EU gab ein äußerst reserviertes Statement ab. "Wir nehmen die Entscheidung der griechischen Stellen, eine Volksabstimmung durchzuführen, zur Kenntnis", heißt es in einer Stellungnahme von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. "Wir vertrauen darauf, dass Griechenland seinen Verpflichtungen gegenüber der Eurozone und der internationalen Gemeinschaft nachkommen wird." Van Rompuy und Barroso erklärten, sie hätten bereits mit Papandreou telefoniert. Sie stünden auch im Kontakt mit anderen Mitgliedern der Eurozone. Sie arbeiteten jetzt an der sofortigen Umsetzung der Entscheidungen des Euro-Gipfels, "die jetzt nötiger denn je sind".
Die neuen Zweifel am Hilfspaket für Griechenland setzen vor allem das schuldengeplagte Italien und das um sein Top-Rating besorgte Frankreich unter Druck. In Italien forderte die oppositionelle Demokratische Partei Präsident Giorgio Napolitano auf, die Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi sofort abzusetzen. Noch vor dem G20-Gipfel am Donnerstag in Cannes solle Napolitano eine neue Regierung bilden, die mit der Krise fertig werden könne.
Der schwer angeschlagene Berlusconi selbst kritisierte die geplante Volksabstimmung in Griechenland. Die Ankündigung Athens sei "unerwartet" und habe wenige Tage nach dem Durchbruch beim Euro-Krisengipfel in Brüssel wieder "Unsicherheit" an den Finanzmärkten geschaffen, erklärte Berlusconi. "Es gibt keinen Zweifel daran, dass die griechische Entscheidung, ein Referendum zum vorgesehenen Rettungsplan der Europäischen Union zu starten, schwer auf dem Handel lastet". Investoren trennten sich massenweise von italienischen Staatspapieren. Die Rendite für zehnjährige italienische Staatsanleihen stiegen wie die Risikoaufschläge auf neue Rekordwerte.
Der französische Präsident Nicolas Sarkozy berief für den späten Nachmittag seine wichtigsten Minister ein, um über Konsequenzen aus der Ankündigung Griechenlands zu beraten. In der Kette der sechs Euro-Länder, die von den Ratingagenturen mit der Top-Note AAA bewertet werden, gilt Frankreich wegen seiner hohen Schulden als das schwächste Glied. Die Risikoaufschläge auf französische zehnjährige Staatsanleihen stiegen am Dienstag ebenfalls auf den höchsten Wert seit der Euro-Einführung. Zudem wären französische Banken, die in Griechenland besonders engagiert sind, von einer Staatspleite Griechenlands besonders betroffen.
Trittin lobt Papandreou
Die Oppositionsparteien in Deutschland haben Respekt für die Entscheidung Papandreous geäußert. Papandreou gehe mit dem Referendum zwar ein "großes Risiko" ein, sagte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Er beweise damit aber auch "Mut, für seine politischen Überzeugungen zu streiten" und die Bevölkerung "in einer sehr riskanten Abstimmung" von der Notwendigkeit des Reformprogramms zu überzeugen.
Auch der SPD-Europapolitiker Martin Schulz zeigte Verständnis für Papandreous Entscheidung. Papandreou sei seit Monaten einer "Blockadepolitik der konservativen Opposition" ausgesetzt, die er nun offenbar durchbrechen wolle, sagte Schulz dem "Spiegel". Der Ministerpräsident wolle sich nun ein Mandat vom Volk für seine Politik holen. "Das kann ich nachvollziehen", sagte Schulz, der wie auch Trittin vor Spekulationen über einen griechischen Staatsbankrott infolge einer Niederlage bei dem Referendum warnte.
SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, die konservative Opposition in Griechenland zu einer Aufgabe ihres Blockadekurses zu bewegen. "Jetzt ist auch Frau Merkel gefragt", erklärte Gabriel. "Wenn sie ihre Parteifreunde in Griechenland von der Notwendigkeit der eingeleiteten Reformschritte überzeugt, braucht Europa weder eine Volksabstimmung noch die Vertrauensfrage von Herrn Papandreou zu fürchten." SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier rief die Griechen zur Unterstützung des Reformkurses auf. Er hoffe, dass sich die griechischen Wähler im Klaren seien, dass sie "Verantwortung nicht nur für ihr eigenes Land, sondern für ganz Europa tragen", sagte Steinmeier.
Die Linkspartei wies die Kritik an dem geplanten Referendum zurück. Er habe "völliges Unverständnis" für das "Demokratieverständnis der meisten europäischen Politiker, die mit Blick auf die Finanzmärkte vor einem Referendum warnen und sich so den Finanzmärkten unterwerfen", kritisierte der Linken-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko. Parteichef Klaus Ernst erklärte, das Einbrechen der Börsenkurse nach der Ankündigung aus Athen zeige, dass "Demokratie und Finanzmarktkapitalismus nicht miteinander vereinbar" seien.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa/rts