"Willkommen zu Hause, Heiliger Vater" Papst und Merkel beraten Finanzkrise
22.09.2011, 15:27 Uhr
Merkel traf den Papst im Haus der deutschen Bischofskonferenz.
(Foto: dpa)
Papst Benedikt XVI. trifft Kanzlerin Merkel und bespricht mit ihr die Krise Europas. Dabei geht es auch um Glauben - an die Gestaltungskraft der Politik. Der Papst beklagt vorher einen Mangel an Religion in Deutschland. Mit Spannung wird nun seine umstrittene Rede im Bundestag erwartet. Benedikt XVI. versteht aber seine Kritiker: "Das ist normal in einer freien Gesellschaft."
Der Papst und die Bundeskanzlerin unter vier Augen: Angela Merkel hat mit Benedikt XVI. die Schuldenkrise erörtert. "Wir haben über Finanzmärkte gesprochen, über die Tatsache, dass die Politik schon die Kraft haben sollte, für die Menschen zu gestalten und nicht getrieben zu sein", sagte die Kanzlerin nach einem Treffen mit dem Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche in Berlin. Dies sei eine sehr große Aufgabe in der Zeit der Globalisierung.
Auch Europa sei Thema der Unterredung gewesen, sagte Merkel. "Ich habe hier noch einmal sehr, sehr deutlich gemacht, dass die europäische Einigung für uns Deutsche unverzichtbar ist." Sie bedeute Wohlstand und Freiheit. Von der Kanzlerin bekam der Papst ein jahrhundertealtes Notenblatt mit gregorianischen Gesängen aus einem deutschen Messbuch geschenkt. Papst Benedikt XVI. hatte eine Majolika, ein speziell angefertigtes keramisches Kunsthandwerk, mit einem Brunnenmotiv als Gastgeschenk mitgebracht.
Papst vermisst Religiosität
Papst Benedikt XVI. war am Morgen in Berlin zu seiner viertägigen Deutschlandreise gelandet. Zum Auftakt seines Staatsbesuchs beklagte er eine zunehmende Gleichgültigkeit der Gesellschaft gegenüber der Religion. "Es bedarf aber für unser Zusammenleben einer verbindlichen Basis, sonst lebt jeder nur noch seinen Individualismus", mahnte der Papst beim Empfang im Garten von Schloss Bellevue. Im menschlichen Miteinander gelinge Freiheit zudem nicht ohne Solidarität.
Wie die Religion der Freiheit bedürfe, bedürfe auch die Freiheit der Religion, zitierte Benedikt XVI. den Sozialreformer Wilhelm von Ketteler. Zugleich betonte er, anders als andere Staatsmänner sei er nicht nach Deutschland gekommen, um bestimmte politische oder wirtschaftliche Ziele zu verfolgen, "sondern um den Menschen zu begegnen und über Gott zu sprechen". Die Bundesrepublik sei durch die Verantwortung vor Gott und die Kraft der Freiheit zu dem geworden, was sie heute sei. Sie brauche diese Dynamik.
Beim Empfang mit militärischen Ehren am Amtssitz des Bundespräsidenten bedankte sich das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche für den "liebevollen Empfang".
Kritik vom Präsidenten
Allerdings musste sich der Papst auch Kritik gefallen lassen, die zumindest indirekt und in Andeutungen zur Sprache kam. Bundespräsident Christian Wulff begrüßte den Papst mit den Worten: "Willkommen zu Hause, Heiliger Vater." In deutlicher Form mahnte er dann aber eine Annäherung zwischen evangelischer und katholischer Kirche an. "Ich bin fest davon überzeugt: Das Trennende zwischen den christlichen Kirchen bedarf der Begründung, nicht das Gemeinsame", sagte er. Daher gebe es hier noch viel zu tun. Am Freitag will der Papst im Augustinerkloster in Erfurt, einer frühen Wirkungsstätte Martin Luthers, Vertreter der evangelischen Kirche in Deutschland treffen. Der Papst hat betont, hiervon seien keine Sensationen zu erwarten.
Wulff unterstrich, Kirche und Staat seien in Deutschland zu Recht getrennt. Die Kirche sei aber keine Parallelgesellschaft. Sie lebe mitten in der Gesellschaft und mitten in dieser Zeit. Ihr Einsatz etwa für Arme und Schwache sei "großartig und unverzichtbar für den Zusammenhalt".
"Klar und ehrlich"
Die Erwartungen an den Besuch des Pontifex in seinem Heimatland sind groß. Die katholische Kirche steckt in einer tiefen Krise, wurde vom Skandal um den vielfachen Missbrauch Minderjähriger in katholischen Einrichtungen erschüttert. Viele Gläubige haben das Vertrauen in den Klerus verloren und wünschen sich Reformen. Eine Forderung ist, wiederverheirateten Geschiedenen die Teilnahme an der Kommunion zu ermöglichen. Viele hoffen auf Signale für ein besseres Miteinander von Katholiken und Protestanten.

Mahnende Worte: Der Papst erinnert daran, dass Freiheit allein nicht funktionieren kann.
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Der Bundespräsident - selbst Katholik, geschieden und in zweiter Ehe verheiratet - spielte auf die Probleme an. Die Kirche sei herausgefordert von Fragen wie: "Wie barmherzig geht sie mit den Brüchen in den Lebensgeschichten von Menschen um? Wie mit den Brüchen in ihrer eigenen Geschichte und mit dem Fehlverhalten von Amtsträgern?" Damit spielte Wulff auf den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche an und auf die Situation wiederverheirateter Geschiedener, die sich die Teilnahme an der Kommunion wünschen.
Trotz dieser kritischen Worte lobte Vatikansprecher Federico Lombardi Wulffs Rede als "klar und ehrlich". Der Papst habe Wulffs Worte "sehr geschätzt" und dies auch zum Ausdruck gebracht, indem er die Ansprache abweichend von seinem Redemanuskript als "tief" bezeichnet habe
Die Atmosphäre bei den ersten Programmpunkten des Besuchs bezeichnete Lombardi als "sehr positiv". Der Papst sei bereits bei seiner Anreise am Morgen aus Rom "gelassen und zufrieden" gewesen. "Das war wirklich ein guter Anfang für uns und den Papst", sagte Lombardi. Auch der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, sprach von einer "guten Atmosphäre", in der die Papstreise begonnen habe.
Warten auf den Bundestag
Am Morgen war der Papst auf dem Flughafen Tegel von Wulff und seiner Ehefrau Bettina sowie Kanzlerin Angela Merkel willkommen geheißen worden. Zur Begrüßung des Gastes aus Rom auf dem Flughafen waren auch fast das gesamte Bundeskabinett sowie zahlreiche geistliche Würdenträger gekommen. Schüler überreichten dem gebürtigen Bayer zur Ankunft in seiner Heimat Blumen, das Wachbataillon der Bundeswehr feuerte 21 Salutschüsse ab. Für den 84-Jährigen ist es nach 2005 und 2006 der dritte Besuch in seinem Heimatland. In Berlin gilt die höchste Sicherheitsstufe, weite Teile der Innenstadt sind für den Verkehr gesperrt. 6000 Polizisten waren im Einsatz.
Mit Spannung erwartet wird die erste Rede eines Papstes vor dem Deutschen Bundestag am Nachmittag. Rund 100 Abgeordnete insbesondere der Linksfraktion sowie von SPD und Grünen haben angekündigt, die Rede zu boykottieren. Sie sehen die religiöse Neutralität des Staates bedroht. Aus Protest gegen die Positionen des Papstes in der Sexuallehre werden für den Abend zudem bis zu 15.000 Teilnehmer an einer Demonstration erwartet, der sich auch Abgeordnete des Bundestags anschließen wollen.
70.000 Gläubige im Stadion
Auf dem Flug von Rom nach Berlin bezeichnete der Papst die Proteste als Teil eines demokratischen Staates. "Das ist normal in einer freien Gesellschaft." Viele Menschen freuten sich jedoch über seinen Besuch. Zugleich zeigte er Verständnis dafür, dass Gläubige nach den Missbrauchsskandalen enttäuscht seien und sagten, "dies ist nicht länger meine Kirche". Er rief die Katholiken aber auf, ihr nicht den Rücken zu kehren. Im Netz des Herrn seien "gute wie schlechte Fische". Die Kirche müsse Wege finden, die innerkirchlichen Skandale aus eigener Kraft zu meistern.
Abschluss des ersten Tages bildet am Abend eine Heilige Messe des Papstes mit 70.000 Gläubigen im Olympiastadion. Der Besuch soll bis Sonntag dauern, neben Berlin will der Papst auch Erfurt und Freiburg besuchen.
Quelle: ntv.de, tis/dpa/AFP/rts