Von der Grenzparty in die Freiheit Picknick durchlöchert Eisernen Vorhang
15.08.2014, 07:54 Uhr
DDR-Flüchtlinge überschreiten die Grenze nach Österreich.
(Foto: dpa)
Das "Paneuropäischen Picknick" vor 25 Jahren im ungarischen Sopron ist ein Meilenstein auf dem Weg der Überwindung der Teilung Europas. Hunderte DDR-Bürger nutzen das Ereignis zur Flucht. Ungarn hat kurz zuvor begonnen, die Grenzanlagen abzubauen.
Geplant war eine harmlose Grenzparty von Ungarn und Österreichern, im heißen Sommer 1989. Oppositionelle aus der ungarischen Grenzstadt Sopron hatten für den 19. August zu einem "Paneuropäischen Picknick" geladen. Für drei Stunden sollte das Schloss des alten, hölzernen Grenztores geöffnet werden, damit eine Handvoll angemeldeter Gäste aus beiden Ländern auf der Grenze trinken und feiern könnten. Es ging eher um ein Symbol.
Über Flugblätter verbreitete sich die Picknick-Einladung unter den Tausenden in Ungarn urlaubenden DDR-Bürgern - bis zu Campern am Balaton (Plattensee). Auch viele Flüchtlinge aus Ostdeutschland, die in Budapest der Dinge harrten, bekamen Wind von der Grenzparty - und fühlten sich eingeladen. Für sie ging es nicht um Symbole, sondern um die Freiheit.
Als die geladenen Gäste gerade kontrolliert wurden, traf der Ansturm von knapp 700 DDR-Bürgern die Grenzposten völlig unvorbereitet. Verantwortlich war der ungarische Grenzkommandeur Arpád Bella. Sollte er auf die Flüchtlinge schießen lassen? Ein großes Blutvergießen wäre die Folge gewesen. Stattdessen befahl er seinen Soldaten, mit dem Gesicht zur österreichischen Grenze in Stellung zu gehen. "Da wir hinten keine Augen haben, konnten wir niemanden aufhalten", sagte der pensionierte Oberstleutnant vor wenigen Tagen dem österreichischen Magazin "Profil".
Grenzzaun durchgeschnitten

Die Außenminister Österreichs und Ungarns, Alois Mock (links) und Gyula Horn, durchschneiden am 27. Juni 1989 den Grenzzaun.
(Foto: dpa)
Bellas Entschluss, die Flucht zu tolerieren, e ntfaltete eine gewaltige Tragweite. Zwar waren die ungarischen Grenzschutzanlagen schon weitgehend abgebaut; die Fotos, die Österreichs und Ungarns Außenminister Alois Mock und Gyula Horn am 27. Juni beim Durchschneiden des Grenzzauns bei Klingenbach zeigten, gingen um die Welt. Doch beim "Paneuropäischen Picknick" kam es zum ersten Massenexodus durch den Eisernen Vorhang, und das Loch wollte oder konnte niemand mehr stopfen. Am 11. September wurden die ungarischen Grenzen für alle Ostdeutschen zur Ausreise geöffnet. Das Ventil war offen. Zwei Monate später fiel die Berliner Mauer.
Die Idee zu dem Frühstück kam den Initiatoren vom Ungarischen Demokratischen Forum nicht aus heiterem Himmel: Der Ostblock war bereits tiefen Erschütterungen ausgesetzt. Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow hatte von Moskau aus zur "Perestroika" geblasen. Auch Ungarn steuerte auf Reformkurs. Der Budapester Reformkommunist Imre Pozsgay gehörte gar, gemeinsam mit Österreichs letztem Erbprinzen Otto von Habsburg, zu den Schirmherren des "Paneuropäischen Picknicks". Habsburg nahm an dem Picknick selbst gar nicht teil, er warb aber besonders wirksam dafür. Erich Honecker soll deswegen nach seinem Sturz behauptet haben, Habsburg habe den Sargnagel in seinen Sarg geschlagen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte den Schauplatz des Picknicks beim 20. Jubiläum vor fünf Jahren besucht: Ungarn und Ostdeutsche hätten der DDR-Führung dabei "ihren Wunsch nach Freiheit gezeigt", sagte sie damals. Auch Helmut Kohl hatte in seiner Zeit als Kanzler den Grenzort besucht, und dort "den Atem der Geschichte" verspürt. Er sagte vor Ort: "Was hier geschehen ist, hat die Welt verändert."
Quelle: ntv.de, Tobias Schmidt, AFP