"Einen geilen Vorstand wählen" Piratin Weisband lässt die Halle jubeln
28.04.2012, 12:44 Uhr
Die Aufmerksamkeit ist ihr sicher: Marina Weisband, die scheidende Geschäftsführerin der Piraten.
(Foto: dpa)
Beim Bundestreffen der Piraten bejubelt sich die Partei selbst: "Wir waren jung, wir waren klein, wir haben Geschichte geschrieben", sagt Noch-Geschäftsführerin Weisband. Und kündigt an, die Gesellschaft verändern zu wollen. Die Organisatoren des Parteitags warnen die Journalisten vor Hackern und drohen ihnen mit Rausschmiss.
Marina Weisband wirkt nervös. Kurz vor ihrer Erklärung als scheidende Geschäftsführerin der Piratenpartei redet sie unter vier Augen mit Pressesprecherin Anita Möllering. Weisband trägt einen weißen Rock mit viel Spitze, er erinnert an ein Hochzeitskleid. In der Nacht vor dem Bundesparteitag in Neumünster hatte sie noch getwittert: "Nachts aufwachen. Ideen für morgen aufschreiben. Wieder schlafen gehen. Ich. Drei oder vier Mal." Nun steht sie am Rednerpult und sagt: "Hallo, liebe Menschen."
Sofort geht die 24-Jährige in die Vollen: "Wir waren jung, wir waren klein, und wir haben Geschichte geschrieben." Jubel brandet auf in den Holstenhallen in Neumünster. Ihre Rede ist kurz, aber sie bringt auf den Punkt, was diese Partei so anders macht, warum so viele Menschen die Piraten wählen und bei den kommenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein am 6. Mai sowie in Nordrhein-Westfalen wohl wählen werden. Umfragen sehen sie in beiden Ländern bei 9 Prozent der Stimmen.
"Wie definieren wir Arbeit neu?"
Die Piraten sind die Partei, denen offenbar besonders die jungen Menschen in Deutschland zutrauen, die Realitäten der individuell technisierten Gesellschaft in Politik umzusetzen. Im Detail heißt das: Urheberrecht reformieren, Vorratsdatenspeicherung verhindern, Basisdemokratie ermöglichen. Im Saarland war der Großteil der Piratenwähler unter 24 Jahre alt. Weisband stellt die Fragen dazu: "Wie definieren wir Arbeit neu? Was sollen unsere Kinder in der Schule lernen?" Die Partei wolle die Gesellschaft verändern, sagt sie.
"Neues wird erstmal abgewehrt", kritisiert die Noch-Geschäftsführerin Attacken aus den anderen Politiklagern. Damit meint sie nicht nur die Partei an sich, sondern auch ihre Ideen. "Wir machen der Gesellschaft ein Angebot, und es ist an der Gesellschaft, dieses Angebot zu prüfen." Eines davon ist die Reform des Urheberrechts. Im Grundsatzprogramm heißt es zwar, das nicht kommerzielle Kopieren von Werken solle legalisiert werden, es betont aber auch die "wirtschaftlichen Interessen der Urheber". Das Thema wird unter Mitgliedern ständig und nicht abschließend diskutiert. Möglich wäre auch ein Mittelweg, wie etwa eine pauschale Medienabgabe - ähnlich der GEZ für Funk und Fernsehen im öffentlich-rechtlichen Bereich.
Organisatoren warnen vor Hackern
Seit der Berlin-Wahl im vergangenen Jahr, als die Piraten 8,9 Prozent der Stimmen holten, hat sich die Anzahl ihrer Mitglieder verdoppelt - und der Altersdurchschnitt um 8 Jahre auf rund 40 erhöht. Die Gründungsriege, eine Gruppe aus Hackern und Netzaktivisten, hat sich verwässert. Die Presse wird beim Bundesparteitag trotzdem gewarnt, nur sichere Verbindungen zu nutzen. "Versuche, über die (Funk-)Netzwerkverbindungen in andere Rechner einzudringen sind möglich", heißt es in der Einladung. Vor Ort werden die Journalisten aufgefordert, nicht die Bildschirme der Anwesenden abzufilmen - oder man müsse sie aus der Halle werfen.
Weisband streift auch die aktuelle Debatte über rechtsextreme Tendenzen in der Partei. "Ich will dafür kämpfen, dass alle Menschen gleich behandelt werden, unabhängig von Herkunft, Meinung, sozialem Status", sagt sie. Es ist ihre Reaktion auf die Diskussion, die öffentlich groß geführt wurde. Auf den Tischen liegen Zettel, die zu einer Demo gegen Rechtsextremismus in Bonn aufrufen, am 1. Mai. In Berlin-Kreuzberg dürften sich die linken Aktivisten freuen.
Die Delegierten sind aufgeregt
Weisband sagt: "Lasst uns einen geilen Vorstand wählen." Dann beginnt die Piratenpartei ihren Bundesparteitag. Bei den Piraten wird die Führung jährlich neu gewählt, so auch dieses Wochenende in Neumünster. Wer gewinnt, ist noch offen - im Vergleich zu anderen Parteien sei das "ganz außergewöhnlich", sagt die frühere Grünen-Vorsitzende und Piratin Angelika Beer bei n-tv. Beer kommt aus Neumünster, sie ist seit 2009 bei den Piraten aktiv. "Wir machen Politik, um die Strukturen zu verändern", sagt sie. "Wir kandidieren nicht gegen andere Parteien, sondern für einen neuen Politikstil."
Über 2000 Mitglieder wollten nach Neumünster kommen, zu Beginn des Parteitags sind es rund 1500. Eine gewisse Aufgeregtheit dominiert die anwesenden Piraten, das könnte auch mit der Aufmerksamkeit zu tun haben, die der Partei derzeit zuteil wird. 280 Pressevertreter hatten sich vorab akkreditiert.
"Wahrscheinlich werden wir einen neuen Rekord aufstellen und zum größten Parteitag in der Geschichte der Bundesrepublik werden", so der bisherige stellvertretende Bundesvorsitzende Bernd Schlömer. Ein Grund dürfte sein: Über gestellte Anträge dürfen sämtliche angereisten Mitglieder abstimmen - klassische Delegierte gibt es bei den Piraten nicht. Die gibt es nur online, wo Piraten ihre Stimme anderen für Anträge zur Verfügung stellen können.
Quelle: ntv.de