Politik

Unionsstreit bei Caren MiosgaPizza, Wein und Rente: Jens Spahn hat alles zu verlieren

01.12.2025, 02:50 Uhr DSCF2333-2-Zuschnitt-AutorenboxFriederike Zörner
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Jens Spahn muss genügend Abweichler überzeugen, um die Koalition und sich selbst nicht zu gefährden. (Foto: NDR/Thomas Ernst)

Am Dienstag wird über das umstrittene Rentenpaket in der Unionsfraktion abgestimmt. Noch ist nicht klar, ob die Abweichler dem von den Regierungspartnern hart verteidigten Gesetzesvorhaben zustimmen werden. Der Druck auf Fraktionschef Spahn könnte nicht größer sein. Der wehrt sich nach Kräften.

Die Union hat sich "von der SPD über den Tisch ziehen lassen". Die Koalition macht eine Finanzpolitik nach dem Motto "nach mir die Sintflut". Der Bundeshaushalt "wird vor die Wand gefahren". Wenn die Abstimmung diese Woche nicht gut ausgeht, "ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass das auch Herrn Spahn den Kopf kosten könnte".

Es wird Jens Spahn klar gewesen sein, dass dieser Sonntagabend nicht leicht für ihn werden wird. Bei Caren Miosga wird der Unionsfraktionschef wegen des heftig diskutierten Rentenstreits in die Mangel genommen. Ifo-Präsident Clemens Fuest lässt kein gutes Haar an dem Kabinettsbeschluss. RND-Chefredakteurin Eva Quadbeck zählt Spahn ganz offen an. Doch der mit allen politischen Wassern Gewaschene gibt nicht klein bei.

Wenn an diesem Dienstag in der Unionsfraktion darüber diskutiert und abgestimmt werden soll, ob das im Kabinett beschlossene Rentenpaket so im Bundestag abgesegnet wird, ist die Ausgangslage klar: Die junge Gruppe - bestehend aus 18 Abgeordneten - und eine weitere unbestimmte Zahl von Parlamentariern sträubt sich. Die Aufgabe von Spahn ist es, zumindest einen Teil von ihnen doch noch zu überzeugen.

Wie er das zu versuchen gedenkt, stellt er bei Miosga heraus. Ihm geht es um nicht weniger als das "große Ganze". Jede Abstimmung habe Folgen über die Sachfrage hinaus. Riskiere ich mit meinem Votum ein Ende der schwarz-roten Koalition und damit einen politischen Stillstand in Deutschland? In Spahns Lesart würden die Abweichler genau das tun, sollten sie bei ihrer Ablehnung bleiben. "Viele Kollegen ringen noch mit sich", gibt Spahn zu. Eine Mehrheit innerhalb der Fraktion sei noch im Werden.

"Ich drohe nicht"

Und dieses Werden forciert der 45-Jährige aktiv mit persönlichen Gesprächen mit jedem einzelnen Abweichler - teilweise mit Pizza und Wein bei ihm zu Hause. Eine Einschüchterungstaktik, wie verschiedentlich in Medienberichten zu lesen war, will er darin aber nicht erkennen. Es seien lediglich Szenarien besprochen worden, welche Konsequenzen eine Verweigerung haben würde. Dass es etwa auch um schlechtere Listenplätze bei der nächsten Wahl gegangen sein könnte, gibt Spahn nicht zu. So konkret habe er das nicht gesagt. "Ich führe einfach freundliche, klare Gespräche. Ich drohe nicht. Das gehört nicht zu meinem Handwerkszeug." Und: "Es ist jedenfalls niemand nach meinem Eindruck eingeschüchtert gegangen."

Längst ist der Rentenstreit nicht zu einer Sach- sondern zu einer Machtfrage geworden, resümiert Miosga. Spahn versucht, dieses Bild mit versöhnlichen Worten über die sogenannten Rebellen in der jungen Gruppe weichzuspülen. Deren Argumente hätten ein "Möglichkeitenfenster geöffnet". Schon im Sommer nächsten Jahres soll die Rentenkommission Vorschläge unterbreiten, wie eine (wirkliche) Reform des Rentensystems aussehen könnte. Etwa mit einem höheren Renteneintrittsalter, einem niedrigeren Rentenniveau als die viel beschworenen 48 Prozent usw. (Einzelheiten lesen Sie hier).

Doch mit der SPD sei keine große Reform zu machen, unken die anderen Talkshowgäste. Das Thema Rente sei für die Sozialdemokraten so wichtig, wie für die Union die Beschränkung irregulärer Migration, innere Sicherheit und Wirtschaftswachstum, sagt Spahn. In einer Koalition sei es ein "Geben und Nehmen". Kompromisse müssten mitgetragen werden. Und allen Kritikerinnen und Kritikern sollte doch bitte schön klar sein, dass es zu einem Stillstand bei all den bereits beschlossenen Vorhaben (Energiepolitik, Migration, Bürgergeld …) kommen würde, wenn keine Mehrheit für das Rentenpaket zustande käme.

Verteilungskonflikte werden vertagt

Aber wie konnte es überhaupt zu dieser angespannten Situation kommen? Wieso wurde auf die Bedenken der einzelnen Abgeordneten nicht schon vor dem Kabinettsbeschluss eingegangen? Stattdessen gebe es jetzt einen öffentlichen Showdown, der die Koalition - mal wieder - in ein schlechtes Licht rückt, wirft Miosga ein. Er akzeptiere, "dass wir am Ende auch eine Manöverkritik machen müssen", sagt Spahn. Aber erst, wenn das Manöver vorüber sei.

Den Vorwurf, dass er nicht die nötigen Lehren aus dem Debakel um die gescheiterte Richterinwahl von Frauke Brosius-Gersdorf gezogen hat, muss sich der Fraktionschef an der Stelle gefallen lassen. Dass er es ungleich schwerer als seine Vorgänger hat, veranschaulicht Spahn mit einem Zahlbeispiel. Bei den Großen Koalitionen unter Angela Merkel hatte die Regierung im Bundestag zum Teil eine so komfortable Mehrheit, dass auch mal 50 Abgeordnete gegen etwas stimmen konnten und die Mehrheit stand trotzdem. Heute bahnt sich schon bei einem Dutzend eine Koalitionskrise an.

Inhaltlich kann Clemens Fuest die Kritik der Jungen Gruppe indes gut verstehen. Durch das im Kabinett beschlossene Rentenpaket kämen zwölf Milliarden Euro in jedem Bundeshaushalt an zusätzlichen Ausgaben dazu. Viel Geld, das an anderer Stelle investiert werden sollte. Schon jetzt würde ein Drittel der Steuereinnahmen in die Rentenzuschüsse fließen. Tendenz in einer alternden Gesellschaft: steigend. Im Streben nach einem ausgeglichenen Haushalt könnten nur unpopuläre Steuererhöhungen bei den wachsenden Kosten Abhilfe schaffen. Das wiederum belaste die ohnehin schon schwächelnde Wirtschaft.

Und dass jetzt eine Rentenkommission noch einmal Reformpunkte prüfen solle, findet der Ökonom vom Ablauf her falsch. "Die Kommission kann nur sagen: Nehmt erst mal das, was ihr gerade beschlossen habt, zurück. Und das wird natürlich die SPD nicht akzeptieren. Das ist eine Alibiveranstaltung, mit der jetzt die Leute beruhigt werden." Sein Vorwurf: Die Regierung vertage lieber Verteilungskonflikte.

Es darf auch mal "ruckeln und knallen"

Dass die SPD eine Mitschuld an der verfahrenen Situation trägt, stellt Journalistin Quadbeck heraus. Ein Beharren auf den Kabinettsbeschluss stehe dem Anspruch von guten Parlamentariern entgegen, "dass sie natürlich die Möglichkeit haben, ein Gesetz noch mal zu verbessern, es zu verändern und Nuancen zu ändern". Ob das Vehikel der Rentenkommission tatsächlich noch im Nachgang gravierende Änderungen inspirieren kann, sieht auch sie skeptisch. Mit Blick auf die anstehenden fünf Landtagswahlen im kommenden Jahr sagt sie: "Da kann ich mir nicht vorstellen, dass die Einigungsfähigkeit von Union und SPD größer wird, als sie jetzt ist."

Spahn lässt diese Kritik routiniert an sich abperlen. Es geht wieder um das "große Ganze". Die gesamtgesellschaftliche und globale Gemengelage. Zukunftsaussichten, die durch ein herbeigeführtes Wirtschaftswachstum, viel positiver aussehen könnten - falls es zu einem solchen Wachstum tatsächlich kommt. Und Kompromisse gehörten in einer Koalition, die nach seiner Lesart "keine Wunschkoalition" ist, nun mal dazu.

Eine Stunde lang windet sich der erfahrene Strippenzieher. Er erträgt das Dauerfeuer der Anwürfe mit Fassung. Clemens Fuest sieht sich zu der Bemerkung hingerissen, er wünsche ihm Erfolg bei einer richtigen Rentenreform. Diese, versichert Spahn glaubhaft, will er unbedingt. "Die normative Kraft des Faktischen wird dazu zwingen, richtigerweise, dass wir schon nächstes Jahr ganz andere Debatten werden führen müssen", drückt er es nebulös aus.

Niemand möchte wohl in der Haut des Fraktionschefs stecken. Der vertritt wacker das Mantra, dass es im Politbetrieb auch mal "ruckeln und knallen" kann. Diskussionen seien ganz normal - und essenziell. Dabei hat sich seine Union selbst in diese vertrackte Lage manövriert. Und Spahn warb seinerzeit offensiv dafür, genau dieses Amt in dieser Legislatur bekleiden zu dürfen. "Ist es mühsam? Ja. Ist es anstrengend? Ja. Fliegen wir (…) dabei gelegentlich aus der Kurve? Ja. Aber wir haben - sorry, dass ich das so sage - die verdammte Pflicht, dass Union und SPD das erfolgreich machen." Er sei zuversichtlich, dass die Mehrheit am Ende stehen wird, sagt Jens Spahn. Das sei seine Aufgabe. Ob das auch am Ende dieser Woche noch so sein wird, haben seine Fraktionskollegen in der Hand.

Quelle: ntv.de

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