Politik

Gipfel der Misstöne Polen lassen Barroso abblitzen

Die polnischen Regierungszwillinge haben jetzt auch den Vorsitzenden der EU-Kommission, Jose Manuel Barroso, abblitzen lassen: Barroso ist es auch in einem einstündigen Telefonat nicht gelungen, Polen von der Forderung nach neuen Verhandlungen über die Stimmengewichtung in der EU abzubringen. Der Kommissionschef habe das Gespräch mit dem polnischen Ministerpräsidenten Jaroslaw Kaczynski gesucht, um vor dem am Donnerstag beginnenden Brüsseler EU-Gipfel den polnischen Standpunkt noch einmal zu erörtern, sagte ein Mitarbeiter Kaczynskis.

Im polnischen Präsidentenpalast berieten Kaczynski, sein Zwillingsbruder Staatspräsident Lech Kaczynski, Außenministerin Anna Fotzga und Chefunterhändler Marek Cichocki noch in den Abendstunden über das Vorgehen in Brüssel. Fotzga sagte in einer Pause der Gespräche vor Journalisten, sie sei "verhalten optimistisch", dass der Gipfel mit einem Erfolg für Polen ende. Wahrscheinlich werde Präsident Lech Kaczynski das polnische Verhandlungsteam führen.

Polen bemühe sich weiterhin darum, dass das Stimmengewicht der einzelnen Mitgliedsländer aus der Quadratwurzel der Bevölkerungszahl berechnet werde, sagte Jaroslaws Kacyznskis Staatssekretär Andrzej Sados über das Gespräch mit Barroso.

Jede Menge Streitthemen

Die Anzahl der Streitthemen, die bei dem Brüsseler Gipfel auf den Tisch kommen könnten, wird von der Ratspräsidentschaft auf "unter 15" beziffert.

In dem deutschen Vorschlag für das Mandat wird auf die polnische Forderung nicht eingegangen. In einem Verweis wird betont, dass zwei Länder - Polen und Tschechien - Änderungen wünschten. Polen habe in dieser Frage auch in den letzten Verhandlungsrunden "kein Entgegenkommen gezeigt", hieß es ergänzend. Es sei jetzt Sache dieser zwei Länder, die anderen 25 zu überzeugen. Tschechien lenkte inzwischen ein: Prag unterstütze zwar den Vorschlag aus Warschau grundsätzlich, sagte Regierungschef Mirek Topolanek, er habe aber von seinen Koalitionspartnern kein Mandat für ein Veto in dieser Frage erhalten.

Raus und rein in der Grundrechtecharta

Dem deutschen Vorschlag zufolge wird es in dem Mandat auch einen rechtsverbindlichen Verweis auf die EU-Grundrechtecharta geben. Eine Klausel hält fest, dass es damit aber keine Eingriffe in die nationale Gesetzgebung geben darf. Damit ging Merkel auf Wünsche der Briten ein. In der Innen- und Rechtspolitik soll es so genannte Op-Out-Klauseln geben, die es einzelnen Ländern erlauben, bestimmte Gemeinschaftsregeln der EU nicht zu übernehmen.

Misstöne aus London

Für Missstimmung in der Union hatte zuletzt Großbritannien wegen deutlicher Differenzen in der Außen- und Sicherheitspolitik der Gemeinschaft gesorgt. Aus Diplomatenkreisen verlautete, Großbritannien habe überraschend Vorschläge unterbreitet, die letztlich eine Verwässerung der ursprünglich vereinbarten Ziele bedeuteten. So sollten etwa die Befugnisse des geplanten EU-Außenministers so deutlich beschnitten werden, dass kaum noch etwas übrig bleibe, berichtete ein EU-Diplomat nach einem rund fünfstündigen Treffen mit Vertretern der Staats- und Regierungschefs.

Die neuen Vorgaben hätten vor allem unter den Delegierten der deutschen Ratspräsidentschaft für Verärgerung gesorgt, berichtete der Diplomat weiter. Schließlich habe Premierminister Tony Blair diese Punkte bei seinen jüngsten Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht angesprochen.

"Gipfel schlecht vorbereitet"

Die britische Außenministerin Margaret Beckett legt noch nach und kritisiert die "schlechte Vorbereitung" des EU-Gipfels durch die deutsche Ratspräsidentschaft. Sie sei "frustriert" über den Mangel an detaillierten Verhandlungen, sagte Beckett nach britischen Medienberichten. "Wir haben angenommen, dass es nachhaltige Gespräche und Entwürfe gibt. Aber das war schlicht nicht so", sagte sie. Die Vorbereitungen seien nicht so gewesen, "wie sich das die meisten Menschen vorgestellt haben".

Es werde "schwierig", den deutschen Vorschlägen zu einem neuen EU-Vertrag bis zum Ende des Jahres zuzustimmen, betonte Beckett. Die meisten EU-Mitglieder "wollen die Tatsache nicht wahrhaben, dass es keine neue Verfassung geben wird". Großbritannien sei nicht bereit, einen Vertrag zu unterzeichnen, der die von Premierminister Tony Blair gezogenen "roten Linien" überschreite und britische Rechte beschneide.

Spanien droht mit Veto

Nach dem britischen Vorstoß droht inzwischen Spanien Presseberichten zufolge mit einem Veto. Sollte Großbritannien auf dem EU-Gipfel in Brüssel darauf beharren, die Kompetenzen eines künftigen europäischen Außenministers zu beschneiden, werde Madrid die Einführung eines ständigen EU-Präsidenten blockieren, hieß es. Für dieses Amt hatte der französische Präsident Nicolas Sarkozy den scheidenden britischen Premierminister Tony Blair vorgeschlagen. "Einen neuen Vertrag um jeden Preis wird Madrid nicht akzeptieren", zitierte die Zeitung "El Pas" einen spanischen Diplomaten. Für den Posten des EU-Außenministers ist der spanische EU-Spitzendiplomat Javier Solana vorgesehen.

Spanien werde in dieser Frage unter anderem von Portugal, Luxemburg, Belgien, Italien und Ungarn sowie von EU-Kommissionspräsident Jos Manuel Barroso unterstützt, hieß es weiter. "Wir halten es für unannehmbar, dass die größten Probleme heute von zwei Ländern wie Großbritannien und Polen ausgehen, die nicht einmal den Versuch gemacht haben, den EU-Verfassungsvertrag zu ratifizieren und nun Vorteile daraus ziehen wollen", sagte der Staatssekretär für Europafragen, Alberto Navarro. In Spanien war der Vertragstext im Februar 2005 mit überwältigender Mehrheit in einer Volksabstimmung angenommen worden.

Quelle: ntv.de

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