Bomben, Todeslisten, Waffenlager Prozess zeigt Horror des deutschen Dschihad
08.09.2014, 06:31 Uhr
Die Bilder der blauen Sporttasche samt der Fahndungsfotos schreckten Deutschland im Dezember 2012 auf.
(Foto: picture alliance / dpa)
Vier Männer stehen in Düsseldorf vor Gericht: Es sind deutsche Dschihadisten, die laut Anklage Zivilisten und politische Gegner töten wollten. Die Männer könnten die Verhandlung als Podium nutzen, um ihre menschenverachtende Ideologie zu preisen.
Aus dem Autoradio ertönen Koranzitate: "Sie fragen dich nach der Beute. Sag: Die Beute gehört Allah und dem Gesandten." Marco G. fährt mit einem seiner Komplizen durch die Straßen Leverkusens. Die Stimme des Predigers, die aus den Boxen schallt, verhindert, dass eine unbehagliche Stille eintritt. G. und sein Komplize sind schweigsam in dieser Nacht. Sie befinden sich auf ihrer letzten Erkundungsfahrt vor dem Anschlag. Wenn sie sich dann doch unterhalten, fantasieren sie. Sie stellen sich den Schock der Parteimitglieder vor, wenn sie vom Tod ihres Vorsitzenden erfahren.
Um 0.30 Uhr halten die beiden Männer ein paar Hundert Meter vor dem Haus ihrer "Beute". Es ist das Haus von Markus Beisicht, dem Chef der islamkritischen Partei Pro NRW. Diese Nacht noch soll es geschehen, spätestens am nächsten Morgen. Dann will G. wieder hier im Auto sitzen, während seine Komplizen bei Beisicht klingeln. Öffnet er die Tür, strecken sie ihn mit Schüssen nieder - lautlos. Zwei Pistolen samt Schalldämpfern liegen bereit.
So, wie die Bundesanwaltschaft die Pläne rekonstruiert hat, kommt es allerdings nicht. Die Polizei hat das Auto von Marco G. verwanzt und hört alles mit, was in jener Nacht zum 13. März 2013 vorgeht. Die Beamten schreiten rechtzeitig ein, überwältigen G. und seinen Komplizen und nehmen zwei weitere Männer in Wohnungen in Bonn und Essen fest. Ein Ermittlungscoup.
Heute nun beginnt der Prozess gegen den 27 Jahre alten G. und die anderen Männer am Oberlandesgericht in Düsseldorf. Und dabei geht es nicht nur um die Frage, ob sie sich eines Mordversuchs schuldig gemacht haben. Es geht auch um die Frage, ob sie eine islamistische Terrorvereinigung in Deutschland gegründet haben, es geht um Rohrbomben, Todeslisten und den Zusammenprall ideologischer Extreme. Der Prozess hat das Potenzial, den Menschen den Schrecken eines deutschen Dschihad vor Augen zu führen.
Konvertiten mit deutschen Pässen
Die Anklage übernimmt die Bundesanwaltschaft, weil es um Fragen des Staatsschutzes geht, um die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik. Sie macht G. als "geistigen Urheber" der Anschlagspläne aus. Und schildert schon in der Anklageschrift seine fortschreitende religiöse Radikalisierung.

Der Zünder zündete nicht. Die Bundesanwaltschaft spricht von einem fragilen Mechanismus oder einer Fehlkonstruktion.
(Foto: picture alliance / dpa)
Wie so viele fundamentalistische Islamisten in Deutschland ist G. demnach ein Konvertit. Erst im Erwachsenenalter tritt er zum Islam über. Nach und nach taucht er in die Bonner Salafisten-Szene ein. Restlos aufgestachelt wird er im Frühjahr 2012. Die islamkritische Partei Pro NRW führt unter dem Motto "Freiheit statt Islam" einen provokanten Landtagswahlkampf. Sie stellt unter anderem Mohammed-Karikaturen öffentlich zur Schau. Laut der Bundesanwaltschaft eine "nicht hinnehmbare Provokation" für den Angeklagten, eine Provokation, die ihn zum Handeln antreibt - zunächst allein.
G. durchforstet demnach das Internet nach Anleitungen zum Bau von Rohrbomben und bestellt die notwendigen Teile. Am 10. Dezember 2012 soll er einen Sprengsatz versteckt in einer blauen Sporttasche auf Gleis 1 des Bonner Hauptbahnhofs platziert haben. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft will G. damit möglichst viele Menschen töten, doch die Bombe zündet nicht - laut Anklage entweder wegen eines Konstruktionsfehlers oder einer instabilen Zündvorrichtung.

Mitglieder von Pro NRW protestieren im September 2012 in Bonn gegen den Islam.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Bilder von jener blauen Sporttasche und des Einsatzes von Sprengstoffexperten schrecken Deutschland dennoch auf. Wochenlang wird vergeblich nach dem Täter gesucht. Dass womöglich G. dafür verantwortlich zeichnet, erfahren die Ermittler erst nach seiner Festnahme in Leverkusen. Nach Angaben der "Süddeutschen Zeitung" hat G. in Untersuchungshaft eine Sozialarbeiterin angesprochen und sie gebeten, seine Frau und seinen Sohn von seinem Kühlschrank fernzuhalten. Da könnte was explodieren. Die Ermittler stießen auf G.'s Sprengstofflager - ein Einweckglas, gefüllt mit weißem Pulver.
Kurz nach dem gescheiterten Anschlagsversuch auf dem Bonner Bahnhof sucht G. sich laut der Bundesanwaltschaft Verbündete. Er gewinnt den 43 Jahre alten Albaner Enea B. für seine Sache, den 25-jährigen Deutsch-Türken Koray D. und den 24-jährigen Deutschen Tayfun S. Der Bundesanwaltschaft zufolge gründen sie spätestens am 22. Dezember 2012 eine radikalislamistische Gruppierung mit dem Ziel, Schusswaffen und Sprengstoffattentate auf führende Pro-NRW-Politiker zu verüben. Als zusätzlicher Motivationsschub für die Truppe gilt eine Audiobotschaft der "Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU)" aus dem Internet, die den Titel "Tod der Pro NRW" trägt.
Im "Kölner Stadt Anzeiger" heißt es, dass G. sich wenig später eine Liste mit 28 Namen ausdruckt. 9 davon markiert er mit rotem Stift. Pro-NRW-Chef Beisicht steht ganz oben auf G.s Todesliste.
Pro NRW will beim Prozess "Flagge" zeigen
Wenn alles stimmt, was die Bundesanwaltschaft zusammengetragen hat, muss Marco G. mit lebenslanger Haft rechnen. Er hätte sich des versuchten Mordes, der versuchten Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion sowie der Bildung einer terroristischen Vereinigung, der Verabredung zum Mord und eines Verstoßes gegen das Waffengesetz schuldig gemacht. Seinen Komplizen drohen bis zu 15 Jahre Haft, weil sie an dem gescheiterten Sprengstoffanschlag auf den Bonner Bahnhof vermutlich nicht beteiligt waren.
Die Verteidiger geben sich naturgemäß skeptisch. "Das Beweisgebilde der Bundesanwaltschaft ist sehr instabil - leicht wird deren Beweisführung nicht", sagte etwa der Verteidiger von Enea B. der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Was die Angeklagten in Leverkusen wollten, ist zum Beispiel völlig unklar." Auch der Verteidiger von Marco G. sieht "eine Menge Angriffspunkte". Schon bei der angeblichen Zündfähigkeit der Bombe werde "viel mit Mutmaßungen statt mit Fakten operiert." Prozessbeteiligte rechnen damit, dass der Prozess am Ende zwei Jahre dauern könnte.
Als sicher gilt, dass der Prozess für Aufsehen sorgen wird. Und das nicht nur, weil die Angeklagten die Verhandlungen nutzen dürften, um für ihre Ideologie zu werben. Einer der Männer bezeichnete den Generalbundesanwalt bereits als "Feind". Der Prozess dürfte auch für Aufsehen sorgen, weil er zudem den rechtsradikalen Mitgliedern von Pro NRW ein Podium bieten könnte. Richter Frank Schreiber hat aus Angst vor einem Missbrauch der Verhandlung für den politischen Kampf zwar schon den Antrag von Pro-NRW-Chef Beisicht, als Nebenkläger aufzutreten, abgelehnt. Die islamfeindliche Partei hat aber bereits zu einer Mahnwache am ersten Prozesstag aufgerufen. In dem Schreiben heißt es: "Da neben mehreren salafistischen Prozessbeobachtern auch zahlreiche Medienvertreter aus dem In- und Ausland erwartet werden, ist es wichtig, vor Ort Flagge zu zeigen."
Quelle: ntv.de