Haft wegen Punk-Gebets Pussy Riot schuldig
17.08.2012, 13:33 Uhr
Ein Moskauer Gericht spricht die angeklagten Musikerinnen der Punk-Band Pussy Riot schuldig. Die Frauen werden wegen Rowdytums motiviert durch religiösen Hass zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt.
Ein Moskauer Gericht hat die drei Mitglieder der russischen Punkband Pussy Riot nach ihrem Protest gegen Präsident Wladimir Putin sowie die enge Verbindung von orthodoxer Kirche und Kreml wegen "Rowdytums aus religiösem Hass" schuldig gesprochen und zu zweijährigen Haftstrafen verurteilt. Die drei Frauen hätten "keine Reue gezeigt", die "öffentliche Ordnung verletzt" und die "Gefühle der Gläubigen beleidigt", sagte Richterin Marina Syrowa.
Die Staatsanwaltschaft hatte für jede der Frauen, die in einem Glaskasten und in Handschellen der Urteilsverkündung zuhören, drei Jahre Haft gefordert. Sie hatten am 21. Februar in der wichtigsten Moskauer Kathedrale mit einem Punkgebet gegen die Rückkehr Putins in den Kreml sowie die enge Verzahnung von Staat und Kirche in Russland protestiert. Die Verteidigung bezeichnet den Prozess als politisch motiviert.
Auch die Bundesregierung hat das Verfahren kritisiert. Das Verhalten gegen die Musikerinnen und ihre andauernde Untersuchungshaft seien völlig unverhältnismäßig, sagte der Menschenrechtsbeauftragte Markus Löning. Die Protestaktion der Band sei allenfalls eine Ordnungswidrigkeit.
"Absurdistan, wie sich aus einer künstlerisch politischen Aktion ein hunderte Seiten langes Urteil basteln lässt", twitterte die Osteuropa-Expertin der Grünen, Marieluise Beck, als Beobachterin aus dem Gerichtsaal. "Habe Mühe, Anflüge von sexistischem Denken abzuwehren, diese Elfen im Glaskäfig und dagg. die Staatsmacht, die eher nach ZK Mieder aussieht." "Im Gericht stehen sich das schöne, moderne und das muffige alte SU Russland ggüber", heißt es in einem anderen Tweet. Wie die Journalisten muss sie die langwierige Urteilsverkündung im Stehen verfolgen. Die Bänke wurden zuvor aus dem Gerichtsaal entfernt. Einige der Journalisten berichteten von Übergriffen der Sicherheitskräfte. Der n-tv-Reporter Peter Leontjew berichtete, er habe einen Schlag auf den Kopf bekommen.
Vor dem Gericht protestierten mehrere Hundert Demonstranten für die Freilassung von Pussy Riot, darunter zahlreiche bekannte Oppositionelle. Die Polizei nahm einige von ihnen fest, so auch den ehemaligen Schachweltmeister Garri Kasparow.
Kritik von Bundestagsabgeordneten
Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Alechina und Jekaterina Samuzewitsch sind seit längerem politisch aktiv und engagierten sich in Kunst- und Umweltgruppen. Während die Staatsanwaltschaft den Frauen vorwarf, aus "religiösem Hass und Feindschaft gegenüber den Gläubigen" gehandelt zu haben, und drei Jahre Haft forderte, verlangte die Verteidigung ihre Freilassung.
Insbesondere Tolokonnikowa sorgte während des Prozesses mit ihrer Kritik an dem Gericht für Aufsehen, dessen Handeln sie als politisch motiviert bezeichnete. Der Prozess sei vergleichbar mit den berüchtigten Schnellverfahren unter dem sowjetischen Diktator Josef Stalin, sagte sie in ihrer Schlusserklärung. "Unser Platz ist in Freiheit und nicht hinter Gittern", sagte Tolokonnikowa. "Pussy Riot sind Nachfahren der Dissidenten."
Zahlreiche Künstler, Intellektuelle und Politiker im In- und Ausland solidarisierten sich mit Pussy Riot. Zu ihren Unterstützern zählen die Sängerin Madonna, die Musikerin Peaches und die Künstlerin Yoko Ono. Auch 120 Bundestagsabgeordneten äußerten in einem gemeinsamen Brief ihre Sorge über den Prozess. Am Tag der Urteilsverkündung sind in Moskau und St. Petersburg sowie in Städten wie Berlin, London und Paris Solidaritätskundgebungen geplant.
Straflager droht
Die orthodoxe Kirche ist in ihrer Haltung gespalten. Während Patriarch Kirill aus Protest gegen das "Punkgebet", das er als "Blasphemie" bezeichnete, ein öffentliches Massengebet leitete, kam aus den unteren Rängen Widerspruch. Mehrere Priester kritisierten den Prozess und die Nähe der Kirche zur Regierung. Obgleich sich 70 Prozent der Russen als orthodoxe Christen bezeichnen, fand in Umfragen die Mehrheit die Behandlung der Frauen, die seit Monaten in Untersuchungshaft sitzen, unangemessen hart.
Zusätzliche Sympathie schlägt den Musikerinnen entgegen, weil zwei von ihnen kleine Kinder haben: Tolokonnikowa hat mit dem Künstler und Aktivisten Piotr Wersilow eine kleine Tochter. Alechina hat einen fünfjährigen Sohn.
Die drei Sängerinnen könnten sich bald über Jahre mit Mörderinnen und Diebinnen in Baracken mit bis zu 120 Frauen wiederfinden Von insgesamt 727.000 Häftlingen sitzen in den 46 Straflagern in Russland derzeit rund 59.000 Frauen ein. Frauen aus Moskau werden nicht zwangsläufig in Lagern nahe der Hauptstadt inhaftiert, sondern können sich hunderte Kilometer entfernt wiederfinden. Die Pussy-Riot-Sängerinnen könnten dann weit weg von ihren Familien und Kindern festgehalten werden.
Quelle: ntv.de, jga/dpa/rts/AFP