"Sollen öffentliche Klos polieren" Pussy Riot spaltet Russland
14.08.2012, 15:59 Uhr
Mitglieder der Band warten auf einen Interviewtermin.
(Foto: REUTERS)
Die Punkband Pussy Riot spaltet mit ihrem schrillen Punkgebet gegen Kremlchef Putin in einer Kathedrale nicht nur Politik und Kirche. Auch Russlands Kulturbetrieb zeigt sich wegen der inhaftierten Musikerinnen tief zerstritten. Einer der Vorwürfe gegen das Trio: Der Aufritt in der Kirche sei nur billige PR gewesen.
Schon vor ihrem Protest in einer Kirche gegen Kremlchef Wladimir Putin haben die Musikerinnen der Moskauer Punkband Pussy Riot mit radikalen Kunstaktionen Furore gemacht. Doch erst ihre Inhaftierung nach dem umstrittenen Punkgebet gegen den Ex-Geheimdienstchef machte die Künstlerinnen berühmt. Weltweit In Russland aber ist die Kulturwelt tief gespalten nicht nur im Umgang mit Pussy Riot, sondern mit moderner Kunst allgemein.
Nicht wenige russische Promis in Kultur und Showbusiness sind der Meinung, die Punkband sei in der Moskauer Erlöserkathedrale - einem Heiligtum der russisch-orthodoxen Kirche - nur aufgetreten, um zu provozieren und berühmt zu werden. "Sie haben das wegen billiger Eigenwerbung gemacht und nicht für das Wohl des Landes", wettert etwa die Starballerina Anastassija Wolotschkowa. "Dass diese Mädels im Gefängnis sind, ist ein Geschenk, ihre Sternstunde."
Mehrheit der Russen lehnt Aktion ab
Wolotschkowa widerspricht damit den Teilen der Kulturelite, die wie Pussy Riot das Recht auf freie Meinungsäußerung verteidigen. "Mögen sie für Wahrheit kämpfen, indem sie öffentliche Klos auf Hochglanz polieren", ätzt Wolotschkowa. Pussy Riot ruft zum Sturz der "autoritären Oligarchie" aus korrupten Beamten und kremltreuen Milliardären nach dem Vorbild der gewaltsamen Umbrüche in der arabischen Welt auf - die große Mehrheit der Russen lehnt das ab.
Zuvor hatte schon der Filmregisseur, Schauspieler und Oscarpreisträger Nikita Michalkow ("Die Sonne, die uns täuscht") die Aktion der Frauen verurteilt, weil damit die Gefühle von Gläubigen verletzt worden seien. Der Putin-Freund warnte vor einer "hysterischen Diktatur des Liberalismus" in Russland. Viele andere Kulturschaffende schweigen sich zu politischen Prozessen traditionell lieber aus, um für ihren Job keine Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.
Doch kaum ein anderes Ereignis polarisiert die russische Gesellschaft gegenwärtig so sehr wie der Fall Pussy Riot. Immer mehr Literaten, Filmleute, darunter auch Anhänger Putins, sowie Musiker und andere Künstler solidarisieren sich mit den Aktionskünstlerinnen, auch wenn sie deren Vorstellung von Kunst nicht teilen.
Prominente setzen sich für das Trio ein
Zu den Unterzeichnern eines offenen Appells für die Freilassung der drei Frauen gehören Prominente wie die Schriftstellerin Ljudmila Ulizkaja, die Musiker Boris Grebenschtschikow und Andrej Makarewitsch und die junge Schauspielerin Tschulpan Chamatowa, die sich vor der Präsidentenwahl im März offen für Putin ausgesprochen hatte.
Die Gruppe Pussy Riot mit ihren inhaftierten Protagonistinnen Nadeschda Tolokonnikowa (22), Maria Aljochina (24) und Jekaterina Samuzewitsch (30) setze inzwischen Trends in der aktuellen Szene russischer Protestkunst, sagt der Kulturforscher Alek Epstejn. Der 37-Jährige stellte jüngst seinen Katalogband "Kunst auf den Barrikaden" vor - kurz vor dem für diesen Freitag erwarteten Urteil im Prozess gegen die drei Angeklagten wegen Rowdytums aus religiösem Hass.
Dutzende Künstler haben sich inzwischen von dem als beispiellos kritisierten Justizskandal um Pussy Riot inspirieren lassen, wie Epstejn schildert. Der Prozessausgang werde ein Signal sein für die Entwicklung der Kunst im größten Land der Erde.
Epstejn zieht bei einem Vortrag in der Galerie Gelman im alternativen Moskauer Kunstzentrum Winsawod Parallelen zur russischen Gruppe Woina, die wegen ihrer Aktionen ebenfalls schon Haft in Kauf nahm. In der russischen Kunst aber sei "intellektueller Radikalismus" bis heute schwer zu finden, resümiert der Experte. Er würdigt Pussy Riot daher als "Symbol des radikalen Widerstandes", als "Musen eines neuen Denkens", als Feministinnen, die auch Tabuthemen wie Homosexualität und die Verzahnung von Macht und Kirche aufgreifen.
Weil es in Russland Kunst, die mit politischen Provokationen und religiösen Symbolen spielt, traditionell schwer hat, hatten einige Künstler nach Putins Rückkehr in den Kreml am 7. Mai demonstrativ das Weite gesucht. Einige hatten erklärt, dass ihnen die Luft zum freien Atmen fehle, weil das System jede Kreativität im Keim ersticke.
Quelle: ntv.de, Ulf Mauder, dpa