
Sehen so beste Freune aus?
(Foto: picture alliance/AP Photo)
Xi Jinping herrscht allein über China, das war vor wenigen Monaten einhellige Meinung. Doch die Omikron-Variante des Coronavirus und die Freundschaft zum russischen Präsidenten Putin treiben den chinesischen Staatschef in die Enge. Hat er sich aus dem Amt gezockt?
Als Anfang Februar reihenweise westliche Staats- und Regierungschefs die Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele boykottieren, kann sich der chinesische Präsident Xi Jinping auf seinen "besten Freund" verlassen: Russlands Präsident Wladmir Putin, ein "alter Freund der Chinesen", besucht den Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas in Peking. Der Angriff auf die Ukraine kommt dabei anscheinend schon zur Sprache: Wie die "New York Times" knapp einen Monat später - Anfang März - berichtet, soll die chinesische Führung die russische gebeten haben, mit dem Krieg doch bitte zu warten, bis die Olympischen Spiele vorbei sind.
Gesagt, getan: Am 20. Februar begehen Sportlerinnen und Sportler aus aller Welt in Peking die Abschlussfeier. Einen Tag später entsendet Wladimir Putin russische Truppen in die Ostukraine, um in den selbsternannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk für "Frieden" zu sorgen, wie er meint. Am 24. Februar greift das russische Militär die gesamte Ukraine an.
Autokraten halten zusammen, aber beste Freunde? Xi bewundere Putin durchaus, weil dieser global einflussreicher sei, als es die russische Macht rechtfertige, meint China-Experte Tim Rühlig von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Aber sollte Putin wirklich Xis bester Freund sein, sage das mehr über die Schwierigkeiten des chinesischen Staatschefs aus, Freunde zu finden als darüber, wie gut diese Partnerschaft sei.
Ukraine-Talk bei Olympia
Rhetorisch befinden sich China und Russland nach dem Angriff auf die Ukraine auf einer Linie. Die Staatsorgane der Volksrepublik übernehmen die russische Propaganda beinahe ungefiltert, obwohl die Kommunistische Partei ihre Prinzipien damit gewissermaßen über Bord wirft. Für gewöhnlich tritt sie als Schutzherr der territorialen Souveränität auf, in die sich andere Staaten nicht einzumischen haben, zum Beispiel wenn es um Xinjiang, Tibet oder Inseln im Ost- oder Südchinesischen Meer geht.
Dennoch ist in der chinesischen Öffentlichkeit keine Kritik an Russland zu hören. Bei näherer Betrachtung fällt allerdings auf, dass sich die wirtschaftliche Unterstützung auf nur wenige Bereiche beschränkt. Auch im chinesischen Staatsapparat soll der russische Angriff auf die Ukraine und die chinesisch-russische Freundschaft bisweilen für Unmut sorgen.
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Es gebe einzelne Stimmen, die auf die russische Verletzung des Völkerrechts hinweisen, erklärt China-Analyst Rühlig. Das werde als problematisch erachtet, weil China doch Großmacht sein wolle und deshalb international verantwortungsvoll handeln müsse. "Das sehen sie als gefährdet an."
"Das ist im Wahljahr nicht günstig"
Die Volksrepublik steht nicht bedingungslos an der russischen Seite, ist der DGAP-Experte überzeugt. Denn der Angriff auf die Ukraine sei eigentlich nicht im Interesse des Landes. Die Kommunistische Partei hasse Unsicherheiten und Risiken - speziell in Jahren, in denen ein Parteikongress anstehe, wie in diesem. Im Herbst will sich Xi zum dritten Mal zum Generalsekretär der KP und somit zum chinesischen Staatschef wählen lassen. Deutlich einfacher, wenn der engste Verbündete nicht mit dem Einsatz von Atomwaffen droht.
Das autokratische Bündnis ist eine reine Zweckgemeinschaft. Der russische Präsident braucht dringend einen Abnehmer für Erdöl und Erdgas, nachdem er die übrige russische Wirtschaft im Alleingang zerstört hat. Chinas Staatschef sucht Verbündete, falls es im Streit um Taiwan oder das Südchinesische Meer tatsächlich zu einer militärischen Auseinandersetzung mit den USA, Australien, Großbritannien und vielleicht der EU kommen sollte.
Aus diesem Grund haben die beiden Präsidenten Anfang Februar ein umfangreiches Abkommen geschlossen, das allerdings Gefahren birgt. "Man stelle sich einmal vor, Putin würde diesen Krieg tatsächlich verlieren", sagt Rühlig. "Dann hätte Xi auf die komplett falsche Karte gesetzt. Das ist im Wahljahr nicht günstig."
Null-Covid bis zum bitteren Ende
Der China-Analyst zweifelt dennoch nicht an einer Wiederwahl des chinesischen Staatschefs. Aber bei dem Parteikongress gehe es auch darum, wie viele Verbündete Xi auf wichtigen Posten platzieren könne, sagt er. Am Ende des vergangenen Jahres waren sich so ziemlich alle Beobachter einig: sehr, sehr viele. Xi war dabei, Alleinherrscher zu werden.
Dann aber schwappte die Omikron-Welle nach China. Der Rest der Welt hatte zu diesem Zeitpunkt bereits akzeptiert, dass man mit dem Coronavirus leben muss, nicht aber der chinesische Staatschef. Xi setzt nach wie vor auf die Null-Covid-Strategie, um zu beweisen, dass die Volksrepublik besser mit der Pandemie klarkommt als die USA oder Europa.
Anfangs stimmte das, inzwischen klappt das aber nur noch mit drakonischen Maßnahmen: Eine Stadt nach der anderen musste in den vergangenen Monaten in einen strengen Lockdown geschickt und abgeriegelt werden. Fabriken wurden geschlossen, Menschen zu Hause oder in Quarantänelagern eingesperrt, häufig ohne Lebensmittel oder Medikamente. Oft auch deutlich länger, als eigentlich gedacht: Im chinesischen Wirtschafts- und Finanzzentrum Shanghai war der Lockdown erst in der vergangenen Woche und damit erst nach zwei Monaten vorbei. Ein riesiger Fehler, der die Bevölkerung wütend gemacht und die chinesische Wirtschaft ins Wanken gebracht hat.
"Das wäre das absolute Horrorszenario"
"Chinas Führung fliegt ihr eigenes Narrativ um die Ohren", hat Jörg Wuttke, der Präsident der EU-Handelskammer in China, die Situation vor wenigen Wochen in einem Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung" beschrieben. Xi habe sich gleich in zwei Sackgassen manövriert: "Er kann an der Covid-Politik nichts ändern, und er kann auch bei seiner Freundschaft zu Putin nichts ändern."
Das sieht auch Tim Rühlig so. Eine Kriegsniederlage, die Russland geopolitischen Einfluss kostet? "Das wäre das absolute Horrorszenario für Peking", sagt der China-Analyst. "Das verfolgt man sehr genau und mit großer Sorge. Denn die Handlungsoptionen für Peking wären sehr gering, der Schaden aber immens."
Womöglich auch persönlich. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos sprach George Soros aus, was noch vor wenigen Monaten undenkbar erschien: Der US-amerikanische Milliardär stellte die Wiederwahl des chinesischen Staatschefs infrage. Das halten die allermeisten der China-Beobachter trotz der offensichtlichen Fehler, die Xi begangen hat, für ausgeschlossen. Aber der Traum der Alleinherrschaft scheint ausgeträumt. Über Jahre trat Ministerpräsident Li Keqiang, die politische Nummer zwei der Volksrepublik, öffentlich kaum in Erscheinung. Seit einigen Wochen erklärt er plötzlich prominent im Rampenlicht der chinesischen Staatsorgane, wie es mit Coronavirus und Wirtschaft weitergehen soll.
Ist Wladimir Putin der beste Freund von Xi Jinping? Wahrscheinlich nicht. Aber derzeit vermutlich der wichtigste. Putin muss liefern, sonst hat Xi ein Problem.
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.
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(Dieser Artikel wurde am Montag, 06. Juni 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de