Willkür, Sabotage, Druck, Angst Die olympische Achse des Bösen
03.02.2022, 19:27 Uhr
Thomas Bach und Xi Jinping
(Foto: imago images/Xinhua)
Nun gehen sie also los, die Olympischen Winterspiele in Peking. Doch wohl selten war weniger Vorfreude auf das größte Sportfest der Welt als in diesem Jahr. Und das liegt nicht nur an der Corona-Pandemie, sondern an einer brisanten politischen Gemengelage.
Wenn an diesem Freitag die Olympischen Winterspiele (!) in Peking (!) eröffnet werden, droht der Weltpolitik wieder eine Partie Russisch Roulette. Und passender könnte dieses Bild kaum sein. Denn folgt Wladimir Putin, der russische Präsident, seiner Aggressionslogik der vergangenen Sportgroßereignisse, dann setzt er militärische Attacken wieder in zeitliche Nähe zur olympischen Glückseligkeit. So war es 2008, als er mit Beginn der Sommerspiele in Peking den Kaukasuskrieg mit Georgien eskalierte (damals als mächtiger Ministerpräsident), und so war es 2014, als er nach dem olympischen Heimspiel in Sotschi die ukrainische Krim von seinen Soldaten annektieren ließ. Was nun im Februar 2022 passieren wird, das weiß niemand. Was man aber weiß: Putin hat in der Dauerauseinandersetzung mit der Ukraine reichlich Militär an die Staatsgrenze verlegen lassen und eine mächtige Drohkulisse aufgebaut.
Die aber dürfte nun vorerst schweigen. Denn Putin will seinem autoritären Freund Xi Jinping in den kommenden zwei Wochen die Weltbühne überlassen. China, Peking, darf sich erneut als Gastgeber für das größte Sportfest des Planeten, präsentieren. IOC-Präsident Thomas Bach und seine Getreuen haben das vor sieben Jahren so entschieden. Der deutsche Sportfunktionär pflegt ebenfalls ein enges Verhältnis zu Putin. Und für gute Freunde schiebt womöglich selbst der russische Präsident seine Pläne ein wenig auf. Offiziell will er ja auch gar keinen militärischen Konflikt mit der Ukraine.
Drohkulisse steht schon
Das aber ist nur der weltpolitische Schatten, der auf diesen Spielen lastet. Viele andere kommen hinzu. Da ist natürlich die Corona-Pandemie und die international heftig kritisierte, weil knallharte und mit zahlreichen Einschnitte in die Rechte der Menschen verbundene Zero-Covid-Strategie des Landes. Da sind die massiven Verstöße der Regierung um Präsident Xi gegen die international geltenden Menschenrechte.
Da sind wieder einmal olympischer Gigantismus und eine erstaunliche Ignoranz beim Thema Nachhaltigkeit. Und dann sind da noch die Ängste der Athleten und Trainer vor Spionage, vor Sabotage, Willkür und vor der Äußerung einer womöglich unangemessenen Meinung. Und was unangemessen in einem Land sein könnte, das Meinungsfreiheit nur mit Parteilinie gleichsetzt, das bewerten die Parteikader.
Auch hier wurde bereits eine entsprechende Drohkulisse aufgebaut. Von offiziellen Stellen wurden bereits Strafen angekündigt. Yang Shu, Vize-Generaldirektor für internationale Beziehungen des Organisationskomitees, hatte gesagt: "Jede Äußerung, die sich mit dem olympischen Geist deckt, wird sicherlich geschützt sein. Jedes Verhalten oder Äußerungen, die sich dagegen richten, können mit einer bestimmten Bestrafung geahndet werden, insbesondere wenn sie chinesische Gesetze oder Regeln verletzen."
Schreckensszenarien überall
In welche Richtung man sich in Peking dreht, überall lauern Schreckensszenarien. Von gefälschten Corona-Tests, um Konkurrenten oder kritische Geister von den Wettbewerben auszuschließen, über die totale Überwachung der Athleten über eine App bis hin zum möglichen Ausspähen von höchst sensiblen Daten der Teams. Denkbar scheint irgendwie vieles bis alles. Das Thema Doping ist da noch nicht mal inkludiert. Wie lässt sich das alles mit dem Geist zusammenbringen, den Bach auch für diese Spiele ausruft: Eine Feier des Friedens, der Solidarität und der Freundschaft?
Kritische Töne pariert der IOC-Boss wie einst als Fechter auf der Planche. In den 1970er-Jahren allerdings souverän und erfolgreich (er war sogar Olympiasieger). Mittlerweile ignorant und stets in jene Richtung beugend, aus der er jede Verantwortung von sich wegschieben kann. Dass das knallhart am Kommerz und dem Erschließen neuer Märkte orientierte IOC mit der Vergabe der Spiele den Regierungen eine Legitimation für ihr (aggressives) Handeln gibt, der Weltverband würde das niemals eingestehen.
Am Tag vor der Eröffnung betonte Bach einmal mehr, dass das IOC "keine politischen Themen" kommentiere, ansonsten geriete man "inmitten von Spannungen und politischen Kräften. Dann riskieren wir die Existenz der Olympischen Spiele." Diese seien schließlich mit dem Olympischen Frieden verbunden. Für sein IOC gelte die "politische Neutralität", alles andere gefährde "unsere Mission, die Welt zu vereinen". Wieder so eine Winderei. Vor vier Jahren, bei den Spielen in Südkorea, wagte sich Bach mit seiner Rolle als eine Art Friedensstifter zwischen dem Norden und dem Süden sehr wohl auf politisches Terrain und rückte sich für seinen Einsatz in die Nähe des Friedensnobelpreis. Nun ist das IOC tatsächlich nicht bekannt für politische Statements. Aber vor den Spielen 2008 sprach Boss Jaques Rogge das Thema Menschenrechte und deren Achtung zumindest mal an. Dass sich die Lage seither deutlich verschlechtert hat? Für das IOC offenbar kein Argument, auf das einzugehen lohnt.
Tja, wie viel von diesem Frieden an der ukrainischen Grenze in den nächsten Tagen zu spüren sein wird? Wie viel Frieden die Uiguren und Tibeter finden, die in chinesischen Internierungs- und Umerziehungslagern gefangen gehalten werden? Wie viel Frieden die Vertreter der niedergeknüppelten Demokratiebewegung in Hongkong finden? Beim IOC ist das wohl kein Thema. Man könne "nicht garantieren", dass eine Resolution der Vereinten Nationen respektiert wird, sagte Bach. Das IOC könne allein "darum bitten", den Olympischen Frieden einzuhalten. Punkt. Mögen die Spiele lieber beginnen!
Enthemmter Gigantismus
Diese Spiele werden der Welt in den kommenden 16 Tagen wieder gigantische Bilder bringen. Und die Medien werden sie bei all der kritischen Berichterstattung im Vorfeld sportlich und emotional transportieren. Dann wird es nicht mehr um die schweren Schatten auf diesem Sportfest gehen. Dann geht es um unerwartete Helden, die niemand kannte. Um für unbesiegbar gehaltenen Helden, die plötzlich bittere Tränen der Niederlage weinen (müssen). Um Sportler, die einfach nur glücklich sind, ein kleiner Teil der großen olympischen Geschichte zu sein. Niemand mag es den Athleten verdenken. Die Spiele sind immer noch die größte Sportbühne der Welt, der Titel in den meisten Disziplinen der prestigeträchtigste der Welt. Und vermutlich auch der lukrativste. Sport ist eben auch Arbeit, die sich auszahlen muss.
Faszinierende Bilder werden die Chinesen auch von ihren gigantischen Anlagen präsentieren, die nicht mehr in das auch vom Sport oft betonte Weltbild von Demut und Nachhaltigkeit passen wollen. Die extra für die Spiele gebaute Skisprunganlage ist die längste der Welt (womöglich auch die teuerste?), die neue Bob- und Rodelbahn ist die größte weltweit. Angeblich soll sie 2,3 Milliarden Euro gekostet haben. Damit wäre das von China offiziell veranschlagte Budget von 3,5 Milliarden Euro zu großen Teilen aufgebraucht. Ob die Spiele wirklich so "einfach" geplant sind wie versprochen? Zweifel an den Zahlen sind angebracht. Zumal massive Investitionen in Infrastruktur und das neue Skigebiet nicht eingerechnet sein sollen. Das Areal Yanqing in der Region Peking wird im Unterhalt irrwitzige Summen verschlingen.
Denn in der Nähe der Wüste Gobi gelegen, ist es zwar eine durchaus kalte, aber eben auch sehr trockene Region. Im Winter fallen hier nicht mehr als fünf Zentimeter Schnee. Das Wasser für die künstlichen Flocken wird über neue Rohrleitungen aus 60 Kilometern Entfernung hergepumpt. Alles über grünen Strom - versichern zumindest die Organisatoren. Dass für das Areal Teile eines Naturreservats geopfert wurden? Darüber wird lieber nicht gesprochen. Und wenn, dann nur gereizt. Muss das alles sein?
Verfolgung statt Transparenz
Die Region leidet an akuter Wasserarmut. Davon spricht man, wenn eine Person nur rund 300 Kubikmeter pro Jahr zur Verfügung hat, in Peking sind es nur 170! Die höchste Stufe des Absurden ist damit indes (noch) nicht erreicht. Für die perfekte Inszenierung soll auch die Umgebung künstlich weiß gemacht werden, staubtrockene Hänge neben weißen Bändern zerstören den Eindruck der perfekten Idylle.
Immerhin (wenn man eine kleine Einschränkung möchte) wird das Skigebiet nach den Olympischen und Paralympischen Spielen touristisch weiter genutzt. Wie die Zukunft der anderen Mega-Anlagen ausschaut? Weiße Elefanten oder fortwährende Nutzung? Im Skispringen ist China nicht mal ein Entwicklungsland (im Auslauf der Schanzenanlage soll im Sommer Fußball gespielt werden), im Schlittensport gibt es immerhin ein paar Athleten, die im Weltcup dabei sind (weit entfernt von der Spitze). Wenn die Wettkampfstätten nicht vor sich hinvegetieren wie etwa in Athen, dann wäre viel erreicht. An das Thema "Amortisieren" braucht man ohnehin keinen Gedanken zu verschwenden.
Was die Chinesen über die Spiele denken? Ob sie Stolz spüren oder wütend sind aufgrund der Umwälzungen und Einschnitte? Kaum ehrlich zu erspüren. Wie die ARD-Doku "Inside China" offenbart, ist es kaum möglich für Journalisten, an Meinungen zu kommen, die nicht auf Linie der Kommunistischen Partei sind. Die Reporter werden ständig verfolgt. Drohen Menschen doch mal offen zu sprechen, ist stets ein KP-Kader in der Nähe. Man kann nur ahnen, wie viel Druck ausgeübt wird. Um auszubrechen, um ehrliche Einblicke zu bekommen, braucht es viel Mut. So wie ihn die ehemalige Ärztin Xue Yinxian vor wenigen Jahren aufbrachte, und gegenüber der Dopingredaktion der ARD flächendeckendes Doping chinesischer Athleten in den 80- und 90er-Jahren aufdeckte.
An diesem Freitag um 13 Uhr deutscher Zeit werden die Spiele eröffnet. Trist wegen Corona, trist wegen der politischen Lage. Laut einer aktuellen ARD-Umfrage empfinden 66 Prozent der Deutschen die Vergabe nach China als falsch, Vorfreude auf den Beginn ist bei Zuschauern und Sportlern kaum wahrzunehmen. Viele westliche Staaten, darunter Deutschland, boykottieren eine Teilnahme auf diplomatischer Ebene. Allein wird Xi Jinping aber nicht sein. Thomas Bach ist natürlich da, Wladimir Putin auch. Umgeben werden die mächtigen Protagonisten der Welt- und Sportpolitik von einer Runde, die sich wie die Hitliste der Autokraten liest, wie es die "Süddeutsche Zeitung" schreibt. Zu ihnen gehört auch Kassym-Schomart Tokajew. Der Präsident von Kasachstan ließ erst vor wenigen Wochen einen Aufstand im eigenen Land niederschießen. Kasachstan war übrigens neben Peking der einzige Bewerber für die Olympische Winterspiele 2022…
Quelle: ntv.de