NATO-Gipfel beendet Rasmussen wird Chef
04.04.2009, 16:55 UhrDie 28 Staats- und Regierungschefs der NATO haben sich bei ihrem Gipfel in Straßburg nach erbittertem Ringen doch noch auf die Ernennung von Anders Fogh Rasmussen zum neuen Generalsekretär des Bündnisses geeinigt. Amtsinhaber Jaap de Hoop Scheffer gab die Entscheidung bekannt und gratulierte Rasmussen. Rasmussen nannte die NATO die "erfolgreichste Friedensbewegung der Welt" und kündigte an, alles zu tun, um die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen.
An dem Streit drohte der Jubiläums-Gipfel fast zu scheitern. Die Ernennung des neuen Generalsekretärs für das Nordatlantische Verteidigungsbündnis beendete die zweitägigen Feierlichkeiten zum 60-jährigen Bestehen der NATO. Gemeinsam mit Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy war Bundeskanzlerin Angela Merkel Gastgeberin des Gipfels. Überschattet wurde das Treffen in Straßburg und Kehl durch Ausschreitungen militanter NATO-Gegner auf französischer Seite.
Lange Blockade durch Türkei
Die von den USA und Europa favorisierte Benennung des dänischen Ministerpräsidenten als Nachfolger für den scheidenden NATO-Generalsekretär hatte zuvor wegen des Widerstands der Türkei infrage gestanden. Besonders Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich am Freitag und erneut am Samstag für Rasmussen starkgemacht, sich aber zunächst nicht gegen Bedenken der Türkei durchsetzen können. Die Türkei hatte gegen den Dänen Vorbehalte wegen dessen Haltung im Streit über die 2006 zuerst in Dänemark veröffentlichten Mohammed-Karikaturen. "Zum Schluss hat doch die Kraft gesiegt, Einigkeit zu zeigen", so Merkel.
Zugeständnisse an die Türkei
Offenbar erfolgte die türkische Zustimmung zu Rasmussen nach Einflussnahme durch US-Präsident Barack Obama. Wie in Straßburg aus Diplomatenkreisen verlautete, räumte Obama mit dem türkischen Präsident Abdullah Gül und Rasmussen die Bedenken der Türkei aus. Zunächst war unklar, welche Zusagen genau Ankara erhalten hatte. In Deutschland hatte die Blockadehaltung der Türkei für eine Diskussion über die Verhandlungen über einen EU-Beitritt des Landes gesorgt. Nach Einschätzung von Diplomaten wäre ein Scheitern der Allianz bei der Nachfolge de Hoop Scheffers auch auf die Gastgeber des Treffens, Merkel und Sarkozy, zurückgefallen.
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagte in einer von türkischen Fernsehsendern übertragenen Pressekonferenz, die Türkei habe für die Zustimmung von Obama "Garantien" erhalten. Die Türkei wolle, dass der kurdischen Sender Roj TV geschlossen werde, bekräftigte Erdogan. Zudem müssten die gestörten Beziehungen zu den islamischen Staaten verbessert werden. Türkische Sender berichteten zudem, ein Türke solle Stellvertreter Rasmussens werden.
Der künftige NATO-Generalsekretär will "sein Äußerstes" für eine enge partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Türkei tun. Er wolle sich nicht im Einzelnen zum türkischen Widerstand gegen seine Ernennung äußern, sagte Rasmussen zum Abschluss des NATO-Gipfels in Straßburg. Der Däne ergänzte: "Ich habe für die von der Türkei erhobenen Fragen volles Verständnis. Ich will mich für eine gute Partnerschaft mit der islamischen Welt einsetzen. Sie ist von entscheidender Bedeutung für unsere gemeinsame Sicherheit."
Über die von der türkischen Regierung verlangte Schließung von Roj TV mit Sitz in Kopenhagen sagte er: "Wir nehmen die türkischen Hinwendungen sehr ernst, denn wir sind gegen jede Form terroristischer Aktivitäten." Die dänischen Behörden würden alle Vorwürfe genau untersuchen. "Wenn Roj TV an terroristischen Aktivitäten beteiligt ist, werden wir alles tun, um die Station zu schließen", versicherte Rasmussen.
Merkel fährt zufrieden nach Hause
Nach den Worten von Bundeskanzlerin Merkel hat die NATO Handlungsfähigkeit bewiesen. Es sei trotz der Vorbehalte der Türkei gelungen, Rasmussen einstimmig zum neuen Generalsekretär zu benennen. Das sei "die wichtige Voraussetzung dafür, dass die NATO als handlungsfähig anerkannt wird", sagte Merkel. "Ich fahre sehr zufrieden nach Hause."
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy lobte die Zusammenarbeit mit Merkel, die maßgeblich zur Ernennung von Rasmussen beigetragen habe. "Die Zeit der internationalen Gipfel, wo nur geredet wird, um keine Entscheidung anschließend zu treffen, ist vorbei." Deswegen sei die Kraft der "deutsch-französischen Achse" wirklich von Bedeutung. Er und Merkel seien diejenigen gewesen, die die "hervorragende Kandidatur von Rasmussen" unterstützt hätten. Sarkozy dankte erneut US-Präsident Obama. Die Zusammenarbeit mit ihm sei einfach gewesen. Er habe Führungskraft gezeigt und sein Wort gehalten.
"Exzellenter Gipfel"
De Hoop Scheffer sprach von einem "exzellenten Gipfeltreffen". Die Allianz habe sich auf eine neue Strategie zu Afghanistan geeinigt. Das bedeute unter anderem verstärkte Anstrengungen für die Ausbildung von Polizisten und Soldaten. "Zu Afghanistan hat der Gipfel seine Aufgabe erledigt", sagte der scheidende Generalsekretär. Merkel zeigte sich froh, dass die US-Regierung sich zur "vernetzten Sicherheit" - also von den Arbeiten am Wiederaufbau des Landes und der militärischen Sicherheit - in Afghanistan bekenne. "Dieses Konzept wird jetzt hundertprozentig mit der neuen Afghanistan-Strategie der USA umgesetzt."
Außerdem wird ein neues "strategisches Konzept" der NATO auf den Weg gebracht. "Wir denken, dass das sehr notwendig ist", sagte de Hoop Scheffer. Die derzeitige Strategie stammt aus dem Jahre 1999. Die Theorie müsse mit der Praxis in Einklang gebracht werden, vom Kampf gegen die Piraterie über Cyberkrieg bis zu Afghanistan. Das neue "strategische Konzept" solle beim nächsten NATO-Gipfel beschlossen werden. Das "strategische Konzept" definiert die grundsätzlichen Aufgaben, Ziele und Perspektiven des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses. Das letzte wurde 1999 in Washington verabschiedet.
Kopenhagen: Rasmussen folgt Rasmussen
Der 56 Jahre alte Rasmussen tritt Anfang nächster Woche als dänischer Ministerpräsident ab. Das kündigte ein Regierungssprecher in Kopenhagen an. Die Nachfolge soll Rasmussens rechtsliberaler Parteikollege und Namensvetter Lars Lkke Rasmussen (44) antreten. Er ist derzeit Finanzminister in der liberal-konservativen Minderheitsregierung. Der bisherige Regierungschef soll sein NATO-Amt am 1. August antreten. Rasmussen führt das Kabinett seit Ende 2001.
Obama in Prag
Nach Abschluss der NATO-Gipfel flog US-Präsident Obama mit seiner Frau Michelle nach Prag weiter. Präsident Vaclav Klaus und der geschäftsführende Regierungschef Mirek Topolanek begrüßten Obama.
Am Sonntag sind zunächst bilaterale Gespräche Obamas mit der tschechischen Führung geplant. Im Anschluss will Obama in einer Rede vor der Prager Burg seine Vorschläge für eine atomwaffenfreie Welt darlegen. Dann trifft Obama bei einem EU-USA-Gipfel die Staats- und Regierungschefs aller 27 EU-Länder, darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Unter tschechischer EU- Ratspräsidentschaft sollen dabei die internationale Klimapolitik und die Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA diskutiert werden.
Quelle: ntv.de