"Eiskalte Machtausübung" Rauswurf der SPD-Minister
20.07.2009, 07:10 UhrNach der fehlgeschlagenen Parlamentsauflösung in Kiel will Ministerpräsident Carstensen (CDU) vorgezogene Neuwahlen über eine "unechte" Vertrauensfrage erzwingen - auf Länderebene ein Novum. Inzwischen hat er die vier SPD-Minister aus dem Kabinett gekegelt; bis Dienstag müssen sie ihre Büros räumen.

Carstensen will mit allen Mitteln sein Ziel durchsetzen: vorgezogene Neuwahlen, um mit der FDP eine Koalition zu bilden.
(Foto: dpa)
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) hat die vier SPD-Minister aus seinem Kabinett entlassen. Das bestätigte die stellvertretende Regierungschefin und Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD). Carstensen zieht damit eine weitere Konsequenz aus dem Scheitern der Großen Koalition.
Außer Erdsiek-Rave müssen auch Lothar Hay (Innen), Uwe Döring (Justiz) und Gitta Trauernicht (Soziales/Atomaufsicht) ihre Ämter abgeben. Bereits am Dienstag sollen sie ihre Büros räumen. Den Umgang mit den vier Ministern bezeichnete Erdsiek-Rave als "würdelos und respektlos". Carstensen hatte ihnen in der Vergangenheit stets gute Arbeit bescheinigt.
"Eiskalte Machtausübung"
"So kann man mit Menschen nicht umgehen", kritisierte Erdsiek-Rave. "Das ist eiskalte Machtausübung", sagte sie. "Das ist ein Umgang miteinander, als hätten wir silberne Löffel geklaut. Erdsiek-Rave sprach von einer großen persönlichen Enttäuschung. Nicht Carstensen habe sie über ihre Entlassung informiert, sondern der Chef der Staatskanzlei, Heinz Maurus. Die vier Minister hätten daher auch darauf verzichtet, die Urkunden persönlich entgegen zu nehmen.
Ihr Nein zur Auflösung des Landtages hatte sie damit begründet, dass die Große Koalition aus ihrer Sicht nicht gescheitert sei. Sie habe das Bündnis als Chance verstanden, Gräben zuzuschütten. "Ich will nicht akzeptieren, dass dies gänzlich gescheitert ist", sagte sie.
Carstensen will Neuwahlen erzwingen
Der Landtag soll am 27. September neu gewählt werden. Die dazu nötige Auflösung des Parlaments war jedoch vorläufig am geschlossenen Widerstand der SPD gescheitert. Der Regierungschef stellte daraufhin die Vertrauensfrage, um über diesen Umweg sein Ziel zu erreichen. Carstensen will die Vertrauensfrage bewusst verlieren, um damit die Neuwahl des Landtags parallel zur Bundestagswahl doch noch zu ermöglichen. Der Ausgang der Abstimmung lasse ihm keine andere Wahl, betonte Carstensen.
Entscheidung nur vertagt

Carstensens SPD-Gegenspieler Stegner hatte bei der Abstimmung über die Parlamentsauflösung seine Fraktion geschlossen hinter sich.
(Foto: AP)
Die Entscheidung darüber fällt aber erst am Donnerstag. Zwischen Antrag und Vertrauensabstimmung müssen laut Gesetz mindestens 48 Stunden liegen. Umfragen zufolge liegt die CDU derzeit klar vor der SPD. Nach den aktuellen Werten würde es deutlich für eine Koalition von CDU und FDP reichen, die beide Parteien auch anstreben.
SPD-Landes- und Fraktionschef Ralf Stegner warf Carstensen erneut vorsätzlichen Koalitionsbruch vor. Dieser sei schon seit längerem mit der FDP verabredet gewesen. Einem Antrag auf Parlamentsauflösung, der mit Unzuverlässigkeit der SPD begründet werde, hätten die Sozialdemokraten nicht zustimmen können. Die Begründung sei vorgeschoben. "Nicht das Parlament ist gescheitert, sondern der Ministerpräsident", sagte Stegner nach der Abstimmung.
Carstensen räumt Fehler ein
Der Regierungschef habe die Koalition gebrochen und dem Parlament die Unwahrheit gesagt, kritisierte Stegner. Der Vorwurf bezieht sich auf eine falsche Angabe Carstensens in einem Brief zu der umstrittenen 2,9-Millionen-Euro-Sonderzahlung an HSH-Nordbank-Chef Dirk Jens Nonnenmacher. Carstensen hatte unzutreffend behauptet, der Beschluss sei mit Einverständnis der Spitzen der Koalitionsfraktionen in Kiel gefasst worden. Am Sonntag gestand Carstensen den Fehler auch offen ein.
Carstensen warf Stegner erneut vor, dieser habe sich aus der Verantwortung gestohlen und ihm das Vertrauen entzogen. Das Land brauche gerade in der aktuellen Krise eine handlungsfähige Regierung. Die Auflösung des Parlaments wäre die "offenste, ehrlichste und sauberste" Möglichkeit gewesen, zu Neuwahlen zu kommen. Aus Sicht Stegners wäre dies dagegen ein Rücktritt des Regierungschefs.
Die SPD wird laut Stegner Neuwahlen nicht blockieren, aber: "Der Weg dahin muss anständig und ehrenhaft sein." Stegner bekräftigte, dass die SPD Carstensen im Landtag nicht das Vertrauen aussprechen werde. Gleiches gilt für die Opposition. Nach der Abstimmung über die Landtagsauflösung wurde die Sitzung unterbrochen und nach mehrmaliger Verschiebung endgültig auf Donnerstag vertagt.
FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki bezeichnete das Abstimmungsverhalten der SPD als "unwürdiges Schauspiel", der Grünen- Fraktionsvorsitzende Karl-Martin Hentschel sprach von einem "Spiel der Eitelkeiten".
Novum auf Länderebene
Die SPD will am Donnerstag namentlich abstimmen lassen. Die Vertrauensfrage ist nur in einigen Länderverfassungen verankert. In Schleswig-Holstein kann Carstensen nach fehlender Zustimmung den Landtag selbst binnen zehn Tagen auflösen. Dazu muss ihm eine Mehrheit der Parlamentarier das Vertrauen entziehen - ein Ausgang, den er selbst anstrebt. Eine solche Vertrauensfrage, die absichtlich schief gehen soll, gilt als "unecht" - auf Länderebene gab es dies noch nie.
FDP legt in Umfragen zu
Nach einer Umfrage von Infratest dimap im Auftrag des NDR sprechen sich mehr als die Hälfte der Bürger für Neuwahlen aus. Würde sofort gewählt, käme die CDU auf 36 Prozent der Stimmen - 4,2 Punkte weniger als bei der Wahl 2005. Die FDP klettert dagegen um 8,4 Punkte auf 15 Prozent. Zusammen reicht das für eine Mehrheit im Landtag. Die SPD würde von 38,7 auf 24 Prozent abrutschen. Die Grünen liegen bei 14 Prozent, ein Plus von 7,8 Punkten. Die Linke würde mit fünf Prozent erstmals in den Landtag einziehen. Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), für den die Fünf-Prozent-Hürde nicht gilt, käme auf drei Prozent.
Quelle: ntv.de, dpa