"Demokratisches, islamisches Land" Rebellen stürmen letzte Bastionen
16.09.2011, 20:10 Uhr
Kämpfe um Sirte: Die Rebellen haben in Teilen die Stadt offenbar schon eingenommen.
(Foto: REUTERS)
Der Sturm auf Gaddafis letzte Hochburgen in Libyen läuft. Die Rebellen sollen Sirte bereits unter Kontrolle haben, der Kampf um Bani Walid läuft noch. Derweil besucht der türkische Ministerpräsident Erdogan Tripolis und lässt sich feiern. Der libysche Übergangsrat erklärt prompt die Mischung aus Islam und Demokratie in der Türkei zum Vorbild.
In Libyen suchen die Rebellen die militärische Entscheidung und drängen mit aller Macht auf die letzten Bastionen des früheren Machthabers Muammar al-Gaddafi. Nach der Küstenstadt Sirte haben Kämpfer der neuen libyschen Führung mit Bani Walid eine weitere Hochburg angegriffen. Wie ein Sprecher des Nationalen Übergangsrates mitteilte, drangen die Einheiten in die Wüstenstadt rund 170 Kilometer südöstlich von Tripolis ein.
Kämpfer des Übergangsrats erklärten, sie hätten bereits die Hälfte von Gaddafis Heimatstadt Sirte unter ihrer Kontrolle. Wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP meldete, schienen sich Gaddafis Truppen an den südlichen Rand der Stadt zurückgezogen zu haben. Vom Flughafen wurden weiter heftige Gefechte gemeldet. Es waren dutzende Fahrzeuge mit schweren Maschinengewehren sowie drei Panzer zu sehen.

Mit den mittlerweile berühmten und schwerbewaffneten Pickups stürmen die Rebellen auch in Richtung Bani Walid.
(Foto: REUTERS)
Die Kämpfer des Übergangsrats waren am Donnerstagmorgen von Misrata aus mit hunderten Fahrzeugen aufgebrochen, "um die Stadt zu befreien". Vor Sirte hatte sich der Konvoi aufgeteilt, um die Stadt von drei Seiten aus anzugreifen. Bei der ersten Offensive wurden am Donnerstagabend elf ihrer Kämpfer getötet und 34 weitere verletzt. Daraufhin hatten sich ihre Truppen 60 Kilometer westlich von Sirte für den nächsten Angriff gesammelt.
Auch in Bani Walid waren die Kämpfer des Übergangsrats nach eigenen Angaben auf dem Vormarsch. Der nach dem Sturz von Tripolis im August untergetauchte Gaddafi wird in Sirte, Bani Walid oder Sebha vermutet.
Erdogan sucht Einfluss
Derweil traf der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan in Tripolis ein. Er wurde auf dem Flughafen vom Chef des Übergangsrats, Mustafa Abdul Dschalil, sowie Regierungschef Mahmud Dschibril empfangen. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz erklärte der Übergangsrat die türkische Demokratie zum Vorbild. "Wir wollen ein demokratisches, islamisches Land nach dem Vorbild der Türkei werden", sagte Dschalil. In Kairo war Erdogan diese Woche noch von den ägyptischen Muslimbrüdern kritisiert worden, weil er für das türkische Modell eines säkularen Staates, der Raum bietet für moderate Islamisten, geworben hatte.
Erdogan rief die verbliebenen Anhänger von Gaddafi auf, den Kampf aufzugeben und ein weiteres Blutvergießen zu vermeiden. Widerstand, der sich gegen den Willen eines größeren Teils des Volks reichte, habe keine Aussicht auf Erfolg, sagte Erdogan in der von Fernsehsendern übertragenen Ansprache. "Das ist ein Kampf für Freiheit und Demokratie", sagte er.
Vor der Pressekonferenz hatte Erdogan in der libyschen Hauptstadt öffentlich gebetet. Augenzeugen berichteten, Erdogan habe zusammen mit Mitgliedern des Übergangsrates und einfachen Bürgern auf dem Märtyrerplatz (vormals: Grüner Platz) im Stadtzentrum der Freitagspredigt gelauscht. Ein libyscher Beobachter meinte, derartige Gesten kämen bei der mehrheitlich islamisch-konservativen Bevölkerung Libyens gut an.
UN erkennen Rebellen an
Libyen wird nun auch offiziell bei den Vereinten Nationen vom Nationalen Übergangsrat der Gaddafi-Gegner vertreten. Die Vollversammlung der 193 UN-Mitgliedsstaaten stimmte dafür, den bisher dem Regime von Gaddafi vorbehaltenen Sitz den neuen Machthabern zu übertragen. Das Votum der UN-Vollversammlung kommt einer Anerkennung der neuen Regierung durch die Vereinten Nationen gleich. Trotz Widerstandes aus Südafrika und linksgerichteter Länder Lateinamerikas ging der Antrag mit großer Mehrheit durch.
Der UN-Sicherheitsrat will nach Informationen aus diplomatischen Kreisen möglichst schnell die Entsendung einer ersten UN-Mission abschließend besprechen und voraussichtlich auch beschließen. Der geplante UN-Einsatz UNSMIL (United Nations Support Mission in Libya) würde dem Übergangsrat in Tripolis zunächst für drei Monate mit etwa 200 zivilen Experten zur Seite stehen.
Der am Freitag im Sicherheitsrat behandelte Entwurf sah außer der UNSMIL auch die Aufhebung des Flugverbots über Libyen sowie die Freigabe weiterer eingefrorener Guthaben des gestürzten Gaddafi-Regimes vor.
NATO will Einsatz beenden
Der Libyeneinsatz der NATO steht nach den Worten des NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen kurz vor dem Abschluss. "Wir sind in der allerletzten Phase", sagte Rasmussen. Einen genauen Termin wollte er aber nicht nennen. "Wir sind sehr entschlossen, den Einsatz zu beenden, sobald dies die Lage zulässt." Der Einsatz der NATO hatte am 31. März begonnen.
Inzwischen erklärte Guinea-Bissau, Gaddafi doch kein Exil bieten zu wollen. Präsident Malam Bacai distanzierte sich ausdrücklich von Äußerungen seines Regierungschefs, wonach das Land Gaddafi "mit offenen Armen" empfangen würde. Die Präsidentschaft sei "besorgt" über die Äußerungen von Ministerpräsident Carlos Gomes Junior und besonders über die daraus gezogenen Schlüsse, hieß es in einer Erklärung. Die Präsidentschaft gehe "nicht in dieselbe Richtung" und wolle vielmehr den Dialog mit der neuen libyschen Führung intensivieren.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP