Politik

Bolivien vor der Wende? Referendum soll entscheiden

In dem südamerikanischen Armenhaus Bolivien liefern sich die linksgerichtete Regierung von Evo Morales und die konservative Opposition seit Monaten einen Krieg der Volksabstimmungen. Seit der Wahl von Morales Ende 2005 zum ersten Indio-Präsidenten des Landes trifft sein Ziel eines ethnisch ausgerichteten Sozialismus auf den erbitterten Widerstand konservativ-wohlhabender Kreise. Dabei geht es auch um eine Neuverteilung des nationalen Reichtums zugunsten der verarmten Indio- Mehrheit im Westen des Landes.

Der Minister im Präsidentenamt, Juan Ramn Quintana, warnte sogar, das Land befinde sich "an der Schwelle zu einem Putsch". Gespalten ist es auf jeden Fall schon jetzt. Morales kann kaum noch in Gebiete reisen, in denen die Opposition das Sagen hat. Ein Gipfeltreffen mit Venezuelas Präsident Hugo Chvez und Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner in der südbolivianischen Stadt Tarija musste aus Sicherheitsgründen kurzfristig abgesagt werden.

Provinzen erklären Autonomie

Seit Jahresbeginn entschieden die Bürger von vier Provinzen, sich aus dem "Projekt Morales" auszuklinken und stimmten mit großer Mehrheit für eine weitgehende Autonomie. Morales erklärte alle vier Abstimmungen für verfassungswidrig und daher null und nichtig. Verhindern konnte er sie aber auch nicht. Am 10. August will er der Opposition nun bei einem landesweiten Referendum einen Denkzettel verpassen. Dabei sollen die etwa vier Millionen wahlberechtigten Bolivianer darüber abstimmen, ob Morales und sein Vizepräsident lvaro Garca Linera sowie acht von neun Präfekten ihres Amtes enthoben werden sollen.

Die verfassungsrechtliche Lage ist jedoch infolge der Schwäche der Institutionen verworren. Nach Umfragen kann Morales damit rechnen, bei der von ihm selbst angesetzten Volksabstimmung im Amt bestätigt zu werden. Das vom Parlament verabschiedete Gesetz über das Referendum besagt nämlich, dass die Opposition mindestens eine Stimme mehr für eine Amtsenthebung des Präsidenten bekommen muss, als das Ergebnis, mit dem dieser 2005 gewählt worden war.

Das Gesetz ist jedoch mit heißer Nadel gestrickt und legt schon den Grundstein für neuen Streit. Nach Einschätzung des Präfekten von La Paz, Jos Luis Paredes, ist nicht klar, ob die Opposition eine Stimme mehr als die 1.544.374 Stimmen erhalten muss, die Morales 2005 erhielt - oder eine Stimme mehr als die 53,74 Prozent, denen das damals entsprach.

Zahl der Wahlberechtigten gestiegen

Inzwischen ist die Zahl der Wahlberechtigten von 3.713.705 auf 4.090.711 gestiegen, 377.006 mehr als 2005. Bei einem knappen Ergebnis könnte es genau auf diesen Unterschied ankommen. Das Verfassungsgericht ist faktisch handlungsunfähig, weil von den fünf Richtern vier von der Regierung Morales aus dem Amt gedrängt wurden. Für Beschlüsse aber bedarf es mindestens dreier Richter.

Die Opposition um die Führer der Autonomiebewegung und den früheren Präsidenten Jorge Quiroga (2000-2002) von der Partei Podemos versucht denn auch mit allen Mitteln, das Referendum zu verhindern. Dass es vom Parlament überhaupt angesetzt wurde, war vermutlich eher ein Betriebsunfall. Jedenfalls hat kaum jemand in Bolivien eine schlüssige Antwort auf die Frage parat, warum die Vertreter von Podemos am 8. Mai plötzlich für das Referendum stimmten, das Morales angesichts des Widerstandes der Opposition eigentlich schon zu den Akten gelegt hatte.

Die Probleme Boliviens und seiner 9,2 Millionen Einwohner, von denen 60 Prozent in Armut leben, werden durch das zusätzliche Referendum sicher nicht gelöst. Die Opposition wird auch weiterhin versuchen, Morales, wo sie kann, Steine in den Weg zu legen, damit sein Traum von einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts bolivianischer Prägung möglichst nie Wirklichkeit wird. Die Umverteilung des Wohlstands aus dem rohstoffreichen Osten des Landes zugunsten der vor allem im westlichen Hochland lebenden Indios ist für sie ein rotes Tuch. Und einen Sieg von Morales werden sie auch kaum anerkennen, weil das ganze Verfahren der Ansetzung des Referendums zu viele juristische Weichstellen hat.

Jan-Uwe Ronneburger, dpa

Quelle: ntv.de

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