Streit um "Gefälligkeitsgutachten" Regierung: Ärzte verhindern Abschiebungen
22.09.2016, 19:38 Uhr
(Foto: dpa)
Nach Ansicht der Bundesregierung verhindern Ärzte mit wohlwollenden Gutachten häufig, dass abgelehnte Asylbewerber abgeschoben werden. Die Ärztekammer sieht das anders.
Die Bundesregierung wirft Ärzten vor, mit zweifelhaften Attesten Abschiebungen zu verhindern. Es werde eine "Vielzahl von Attesten vorgelegt, die auffallen, weil immer wieder die gleichen Ärzte mit gleichlautendem Inhalt oder fehlender fundierter Begründung Reiseunfähigkeit attestieren", zitiert die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei.
Eine größere Anzahl solcher Bescheinigungen enthalte häufig gleich zu Beginn der Ausführungen Formulierungen wie "Verdachtsdiagnose", hieß es weiter. Daran schließe sich das Votum an, es solle "keine Abschiebung erzwungen werden". Die Ärzteschaft wies die Vorhaltungen zurück.
"Der Bundesärztekammer liegen keine Statistiken zu ärztlichen Gutachten in Abschiebeverfahren vor. Auch vonseiten der Bundesregierung konnten keine bundesweiten Zahlen genannt werden, die Vorwürfe von Gefälligkeitsgutachten in Abschiebeverfahren untermauern würden", sagte Präsident Frank Ulrich Montgomery der Zeitung. "Statt Spekulationen über mögliche Gefälligkeitsgutachten abzugeben, muss dafür gesorgt werden, dass die Voraussetzungen für die Gutachtenerstellung stimmen."
Ärzte benötigten für eine gründliche Diagnose körperlicher und seelischer Krankheiten ausreichend Zeit. Wichtig sei auch die fachliche Qualifikation der Gutachter, sagte Montgomery. Daher habe die Ärztekammer ein "Curriculum mit Standards für die Qualifizierung von Gutachtern" erstellt.
Viele Betroffene geduldet
Vor einigen Wochen war bereits Innenminister Thomas de Maiziere in die Kritik geraten, weil er den Medizinern vorgeworfen hatte, zu viele Atteste auszustellen, mit denen abgelehnte Asylbewerber angeblich eine Abschiebung umgehen.
In Deutschland leben nach Angaben der Bundesregierung fast 550.000 abgelehnte Asylbewerber. Die größte Gruppe stammt den Angaben zufolge mit rund 77.660 aus der Türkei. Es folgen abgelehnte Bewerber aus dem Kosovo (68.549) und aus Serbien (50.817).
Die große Mehrheit dieser 550.000 Menschen hat inzwischen eine Aufenthaltserlaubnis, hält sich hier also rechtmäßig auf. Fast die Hälfte von ihnen (46,6 Prozent) hat inzwischen ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Weitere 34,8 Prozent haben eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Diese Menschen wurden nach ihrem erfolglosen Asylantrag also aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben, sondern erst eine Zeit lang geduldet und bekamen später ein Bleiberecht.
Bei 18,6 Prozent gilt das allerdings nicht. Ein Teil von ihnen sind Geduldete - also Menschen, die beispielsweise wegen einer schweren Erkrankung oder fehlender Papiere vorerst im Land bleiben dürfen, allerdings ohne festen Aufenthaltsstatus. Ein anderer Teil sind Menschen, die keinerlei Anspruch haben, sich in der Bundesrepublik aufzuhalten.
Quelle: ntv.de, jki/rts/AFP