Politik

Sesselstreit verzögert NSU-Prozess Richter gibt Pressestelle Schuld

Gerichtssprecherin Margarete Nötzel informiert Journalisten über die Verschiebung des Prozesses. Wie das jetzt weitergeht, weiß sie auch nicht.

Gerichtssprecherin Margarete Nötzel informiert Journalisten über die Verschiebung des Prozesses. Wie das jetzt weitergeht, weiß sie auch nicht.

(Foto: dpa)

Im Streit um die Medienplätze zieht das OLG München die Notbremse: Der Prozess wird verschoben, die Akkreditierung beginnt von vorn. Wie das gehen soll, ist unklar. Der Vorsitzende Richter gibt der Pressestelle des Gerichts eine Mitschuld an dem Chaos.

Nach heftigem Gezerre um die Vergabe von Journalistenplätzen hat das Oberlandesgericht (OLG) München den NSU-Prozess kurzfristig um knapp drei Wochen verschoben. Die Akkreditierungen für Medien sollen komplett neu vergeben werden, teilte das Gericht überraschend mit. Deshalb verschiebt sich der Beginn der Hauptverhandlung gegen die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe und vier weitere Beschuldigte auf dem 6. Mai. Ursprünglich sollte der Prozess diesen Mittwoch starten.

Das Bundesverfassungsgericht hatte am Freitag angeordnet, dass Plätze für Journalisten ausländischer, insbesondere türkischer Medien reserviert werden müssen. Diese hatten zunächst keinen der 50 festen Plätze ergattert. Acht von zehn Mordopfern der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) stammten aus der Türkei, ein Opfer war griechischer Herkunft. Die türkische Zeitung "Sabah" hatte wegen der Platzvergabe in Karlsruhe geklagt.

Nur einzelne Medien informiert

Auch Götzel wusste, dass er die Handbremse ziehen musste.

Auch Götzel wusste, dass er die Handbremse ziehen musste.

(Foto: dpa)

Der Vorsitzende Richter gab der Pressestelle des Gerichts eine Mitschuld an der Verzögerung: Sie habe "einzelnen Medienvertretern bereits vorab die voraussichtliche Berücksichtigung der Akkreditierung nach der Reihenfolge der Eingänge mitgeteilt", heißt es in einem Vermerk, der der Nachrichtenagentur dpa vorliegt. Zudem sei in einer E-Mail an Journalisten auf eine falsche Stelle der Verfügung zur Akkreditierung hingewiesen worden, schreibt der Senatsvorsitzende Manfred Götzl.

Trotz dieser ungleichen Startbedingungen hatte das OLG die Akkreditierungen nach der Reihenfolge des Eingangs vergeben. Im Gegensatz zu anderen Strafverfahren gab es kein spezielles Kontingent für ausländische Medien. Acht der zehn Mordopfer der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" stammten aus der Türkei. Ein weiteres Opfer war griechischer Herkunft.

Mehr Fragen als Antworten

Wie das neue Akkreditierungsverfahren nun ablaufen soll, weiß das Gericht offenbar noch nicht. "Ich habe nicht die geringste Ahnung, nach welchen Kriterien der Senat das neue Akkreditierungsverfahren machen wird", sagte Nötzel. "Ich habe noch keine Informationen, wie das ablaufen wird." Auf Nachfrage von n-tv.de zeigte sich die Pressestelle des OLG ratlos, wann und wie sich Journalisten nun für den Prozess akkreditieren können. Wahrscheinlich würden darüber in Kürze per Pressinformation Einzelheiten bekannt gegeben. "Einfach E-Mails lesen", lautete der erschöpfte Rat einer bereits heiseren Mitarbeiterin.

Entscheidung macht viele Beteiligte nicht glücklich

Die Entscheidung des Gerichts stieß auf geteilte Reaktionen. "Das ist eine souveräne Entscheidung der Justiz. Ich habe volles Vertrauen in die deutsche Gerichtsbarkeit, dass hier richtig entschieden wird", sagte Außenminister Guido Westerwelle (FDP). "Das ist die richtige Konsequenz aus der viel diskutierten Pannenserie der letzten Wochen", so der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Michael Konken. Ähnlich äußerte sich die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju).

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, sagte der Zeitung "Die Welt", er könne die Entscheidung nachvollziehen. "Das Gericht hat viele Fehler gemacht, die nun zu diesem Schritt geführt haben." Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Opfer und deren Angehörige, Barbara John, reagierte mit Kritik. "Das ist eine mittlere Katastrophe", sagte sie der "Berliner Zeitung". Viele Angehörige hätten sich emotional auf den Beginn eingestellt, Fahrkarten gekauft und teils Urlaub genommen. Einige Nebenkläger könnten am neuen Termin nicht teilnehmen. "Auf diesen Kosten dürfen sie nicht sitzenbleiben. Die muss das Oberlandesgericht München übernehmen", sagte John der "Welt".

Zuviel für das OLG?

Auch Anwälte von Angehörigen kritisierten die OLG-Entscheidung. "Es ist mehr als ärgerlich, dass der Prozessauftakt verschoben wird", teilten die Nebenklagevertreter Stephan Lucas und Jens Rabe - sie vertreten Kinder des ersten Mordopfers Enver Simsek. "Es bleibt zu hoffen, dass es dem Gericht fortan gelingt, das Verfahren so zu moderieren und zu organisieren, dass es den berechtigten Interessen aller Beteiligten gerecht wird."

Die Nebenklagevertreterin Angelika Lex sagte: "Es erweckt den Eindruck, dass das Gericht diesem Verfahren nicht gewachsen ist." Das Bundesverfassungsgericht habe einen Weg vorgezeichnet. Sie meine, dass dann "das Gericht den Mut haben sollte, den Weg zu gehen". Lex vertritt die Witwe des in München ermordeten Griechen Theodoros Boulgarides. Für die Angehörigen sei die Verschiebung erneut eine ungeheure psychische Belastung. "Meine Mandantin ist vollkommen fassungslos darüber, dass der Prozessbeginn jetzt verschoben ist."

Auch die Klägerin "Sabah" ist nicht rundum glücklich mit der Münchner Entscheidung. Der komplette Neustart sei bedauerlich, sagte der stellvertretende Chefredakteur Ismail Erel. "Aber wir müssen die Entscheidung respektieren und hoffen, dieses Mal von Anfang an dabei zu sein." Anwalt Ralf Höcker sprach von der zweitbesten Lösung. "Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wäre es nicht unbedingt notwendig gewesen, das Akkreditierungsverfahren zu wiederholen."

Zschäpes Anwalt ist zufrieden

Zschäpes Verteidigung bezeichnete die Entscheidung des Gerichts hingegen als folgerichtig. "Nachdem unter anderem wegen technischer Fehler einige Medien später von der Akkreditierungsfrist erfahren hatten, stand das gesamte Verfahren infrage", sagte Anwalt Wolfgang Stahl. "Hätte das Gericht anders entschieden, hätten wir in der Hauptverhandlung beantragt, das Verfahren auszusetzen und ein neues Akkreditierungsverfahren durchzuführen." Die Verschiebung bedeute aber auch "eine Verzögerung zu Lasten unserer Mandantin".

Die Verfassungsrichter hatten angeordnet, "eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an Vertreter von ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten zu vergeben". Dies sei etwa mit einem Zusatzkontingent von mindestens drei Presseplätzen möglich. "Die Schaffung eines zusätzlichen Platzkontingents wäre ohne einen nicht ganz unbeträchtlichen organisatorischen Aufwand nicht möglich gewesen", sagte OLG-Sprecherin Nötzel. Auch dabei hätten alle dieselben Chancen haben müssen.

Quelle: ntv.de, ppo/hvo/sba/AFP/dpa

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