Worum es geht in NRW Röttgen muss zurückrudern
09.05.2012, 18:37 Uhr
Norbert Röttgen sieht die Merkel-Frage jetzt ganz anders.
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Das ging schnell: Über Nacht ändert CDU-Spitzenkandidat Röttgen seine Meinung darüber, was die NRW-Wahl bedeutet. Sie habe doch nichts mit Kanzlerin Merkel zu tun, so der Umweltminister. Intern hatte es offenbar erhebliche Verstimmungen wegen der Interpretation gegeben. Aber auch Ministerpräsidentin Kraft hat ein Problem.
CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen sorgt mit seiner Wahlkampftaktik in Nordrhein-Westfalen für Unmut in der eigenen Partei. Nach internen Irritationen stellt er klar, dass er die Landtagswahl nun doch nicht als Votum über den EU-Sparkurs von Kanzlerin Angela Merkel verstanden wissen wolle.
"Am Sonntag steht nicht der Kurs von Angela Merkel in Europa zur Abstimmung, sondern der Schuldenkurs von Frau Kraft in Nordrhein-Westfalen", sagte der Bundesumweltminister der "Welt". Er fügte hinzu: "Allerdings hat dieser Kurs Bedeutung über die Landesgrenzen hinweg." Noch am Dienstag hatte er betont, die NRW-Wahl sei auch eine Abstimmung über Merkels Europapolitik.

Die Spitzenkandidaten von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, der Piratenpartei und der Linkspartei (l-r): Kraft, Röttgen, Löhrmann, Lindner, Paul und Schwabedissen.
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In der Unions-Spitze gab es Unmut und Befremden über Röttgens Vorgehen. Die Aussagen wurden teilweise so interpretiert, dass er im Angesicht der drohenden Niederlage die Kanzlerin und CDU-Chefin in Mithaftung nehmen wolle. In seinem Umfeld wurde dies als abwegige Unterstellung gewertet.
Merkel selbst betonte, sie sehe in der Landtagswahl keine Schicksalswahl für die Bundes- und die Europapolitik. "Die Wahl am Sonntag ist eine wichtige Landtagswahl für Nordrhein-Westfalen, nicht mehr und nicht weniger", sagte die CDU-Chefin den "Ruhr Nachrichten". "Die Bundesregierung arbeitet dessen ungeachtet verlässlich, erfolgreich und vertrauensvoll weiter zusammen."
Röttgen sagte der "Welt", es geht in NRW um die Frage, welche Art von Politik sich durchsetze: Sparen oder Schulden machen. Und ob in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland eine Regierung abgewählt werde, "die Verschuldung für Verantwortung hält und sich dabei auf die Seite derjenigen Kräfte in Europa schlägt, die zugunsten kurzfristiger Wahlgeschenke die Stabilität und damit die Zukunft des Euro aufs Spiel setzen".
In der Union wird zudem von vielen kritisiert, dass Röttgen es offen lässt, ob er bei einer Niederlage auch als Oppositionsführer in Nordrhein-Westfalen bleiben würde. Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) sagte dem "Spiegel": "Röttgen ist unser bester Wahlkämpfer. Sein Zögern und Zaudern in der Frage, was er nach der Wahl macht, treibt die Wähler von der CDU zur FDP."
Rot-Grün stark
Eine neue Umfrage sieht Rot-Grün unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) kurz vor dem Wahl im Aufwind. Die SPD käme nach der repräsentativen Befragung des Instituts Yougov auf 37 Prozent. Die Grünen können mit 12 Prozent rechnen, die CDU unter Röttgen nur mit 30 Prozent. Die FDP wäre mit 6 Prozent im Landtag, die Piraten mit 8,5. Die Linke würde es mit 3,5 Prozent nicht wieder schaffen. Damit hätte Rot-Grün eine Mehrheit.
Die SPD meinte, Röttgen wolle im Angesicht der drohenden Niederlage die Verantwortung auf Kanzlerin Merkel abwälzen. "Lieber Norbert, mit politischer Feigheit verdient man sich nicht den Respekt der Wählerinnen und Wähler", sagte Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Röttgen versuche, die Wahl zu einer Abstimmung über Merkels Sparkurs in Europa umzudeklarieren.
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin warf Röttgen vor, auf einen gefährlichen Populismus-Kurs umzuschwenken. "Herr Röttgen merkt doch, dass ihm das Wasser bis zum Halse steht", sagte Trittin. "Und in der Not flüchtet er sich jetzt in den Populismus, polemisiert gegen den neuen französischen Präsidenten Hollande und bedient ein antieuropäisches Ressentiment." Röttgen hatte betont, als Ministerpräsident würde er verhindern, dass Steuergelder für "Wahlversprechen in Frankreich" vergeudet würden.
Derweil zeigte sich Kraft optimistisch, dass Rot-Grün am Sonntag eine stabile Mehrheit erringen kann. Bisher gab es nur eine Minderheitsregierung von SPD und Grünen. "Wir kämpfen für eine stabile rot-grüne Mehrheit mit einer starken SPD", sagte Kraft. "Deshalb hoffe ich auf eine hohe Wahlbeteiligung, denn das ist die Grundvoraussetzung für klare Verhältnisse."
Aufträge auf dem Prüfstand
In Sachen "klare Verhältnisse" gerät die rot-grüne Regierung allerdings selbst unter Erklärungsdruck. Dabei geht es um die Frage, ob die Regierung Kraft nach dem Wahlkampf 2010 "Dankeschön-Aufträge" an die Kommunikationsagentur eines früheren Journalisten vergeben hat. Der soll laut "Stern" als anonymer Autor im Blog "Wir-in-NRW" versucht haben, die schwarz-gelbe Vorgängerregierung von Jürgen Rüttgers (CDU) mit Enthüllungen aus dem Amt zu hebeln.
Krafts Regierungssprecher, Staatssekretär Thomas Breustedt, bestätigte Aufträge an den Unternehmer, dementierte aber parteipolitische Motive. Demnach sind an den Inhaber der Düsseldorfer Agentur Steinkuehler seit 2010 Aufträge für Broschüren und andere Öffentlichkeitsinitiativen des Familienministeriums im Gesamtwert von rund 300.000 Euro erteilt worden. "Für alle Publikationen hat es ordnungsgemäße Vergabeverfahren beziehungsweise öffentliche Aufträge gegeben", sagte Breustedt.
Im Wahlkampf 2010 hatte das Webblog "Wir-in-NRW" starken Einfluss auf die politische Meinungsbildung genommen. Unter Pseudonymen des Schriftstellers Kurt Tucholsky veröffentlichten Autoren Enthüllungen, die ausschließlich Rüttgers' CDU trafen. Dazu zählten Dokumente zur "Rent-a-Rüttgers-Affäre" um Angebote für bezahlte Gespräche mit dem Ministerpräsidenten sowie Peinlichkeiten aus dem E-Mail-Verkehr zwischen der Düsseldorfer Staatskanzlei und der CDU-Zentrale.
Quelle: ntv.de, jmü/dpa