Politik

"Wir sind bei gefühlten 12 Prozent" Die Linke kämpft gegen die Pleite

Kämpft mit ihrer Partei gegen das Absinken in die politische Bedeutungslosigkeit: Spitzenkandidatin Schwabedissen.

Kämpft mit ihrer Partei gegen das Absinken in die politische Bedeutungslosigkeit: Spitzenkandidatin Schwabedissen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Im Jahr 2012 spricht keiner mehr über die Linkspartei. Nach dem Scheitern in Schleswig-Holstein geht es bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ums politische Überleben. Spitzenkandidatin Schwabedissen gibt sich dennoch optimistisch und spricht über die Generation nach Lafontaine und Gysi. Sie sagt: "Wir wollen vieles anders machen."

Die Spitzenkandidaten der NRW-Landtagswahl (v.l.): Schwabedissen, Kraft, Löhrmann, Röttgen, Lindner und Paul.

Die Spitzenkandidaten der NRW-Landtagswahl (v.l.): Schwabedissen, Kraft, Löhrmann, Röttgen, Lindner und Paul.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Mikrofone auf der Bühne sind schon angeschaltet, die meisten Plätze im Saal noch leer. Immer wieder dringen Bruchstücke aus den Lautsprechern. "Das ist unser einziger gemeinsamer Termin im Wahlkampf", sagt die FDP-Frau zum CDU-Mann. Kurz darauf fragt einer: "Wer von euch ist denn gut im Witze erzählen?". Die Stimmung zwischen den Landespolitikern von CDU, SPD, Grünen und FDP ist gemütlich und einträchtig. Man kennt sich, schätzt sich, arbeitet seit Jahren gut zusammen.

Ein Platz ist leer, als die Gesprächsrunde mit den 150 Verdi-Mitgliedern in Oberhausen beginnt. Katharina Schwabedissen kommt eine halbe Stunde zu spät. Die Bahnfahrt war turbulent, wird sie später sagen. Sie setzt sich auf den freien Platz genau in die Mitte der vier. Was sie und ihre Partei wollen, macht die Frau mit dem roten Schal und den Turnschuhen schnell klar: einen Mindestlohn von zehn Euro. "Wer voll arbeitet, soll nicht noch zusätzliches Geld beziehen müssen. Es kann nicht sein, dass eine Erzieherin mit 1200 Euro nach Hause geht", sagt Schwabedissen, die gelernte Krankenschwester ist. Der Spitzensteuersatz soll erhöht werden. Umverteilung von oben nach unten. Die Linke ist gegen Leiharbeit ("Menschen verleiht man nicht") und gegen die Erweiterung der Ladenöffnungszeiten. Außerdem warnt sie vor dem klammen Zustand der Kommunen. "Es fehlt das Geld fürs Schwimmbad, und in Schulen kommen die Decken herunter", sagt sie und schaut vorwurfsvoll in die Runde. Schluss mit Kuscheln.

Die Betriebs- und Personalräte von Verdi applaudieren. Ihnen gefällt das, was Schwabedissen sagt. Die Linke legt den Finger in die Wunde. Sie ist unliebsamer Erinnerer, Anwalt des kleinen Mannes und das schlechte Gewissen der anderen Parteien. Die Etablierten liegen in vielen Positionen kaum auseinander. Die Linke ist die einzige echte Oppositionspartei. Das müsste sie eigentlich unentbehrlich machen. Doch mit vier Prozent würde die NRW-Partei mit Spitzenkandidatin Schwabedissen den Einzug in den Landtag derzeit verpassen.

"Vor fünf Jahren wurden wir dafür ausgelacht"

Die letzten Umfragen

Laut den letzten Umfragen können die Parteien in Nordrhein-Westfalen mit folgenden Ergebnissen rechnen:

  • SPD: 37-38,5 Prozent
  • CDU: 30-31 Prozent
  • Grüne: 11 Prozent
  • Piraten: 7,5-9 Prozent
  • FDP: 5-6 Prozent
  • Die Linke: 3-4 Prozent

Quelle: Infratest Dimap, 3. Mai 2012; Forschungsgruppe Wahlen, 4. Mai 2012; YouGov, 9. Mai 2012

NRW ist ein hoch verschuldetes Bundesland. Jede dritte Kommune hat einen Nothaushalt. Sport- und Kultureinrichtungen müssen schließen. Es gibt viele Arbeitslose. Jedes vierte Kind lebt unter der Armutsgrenze. Eine Million Menschen arbeiten und beziehen trotzdem Transferleistungen. Doch die Partei profitiert nicht davon, dass viele Menschen unzufrieden sind. "Viele der Betroffenen wählen längst nicht mehr, sie haben kein Vertrauen, dass Parteien einlösen, was sie versprechen. Die Verdrossenheit ist zu groß", sagt Schwabedissen im Gespräch mit n-tv.de. Die Verankerung in Betrieben und Wohnvierteln in NRW ist bisher noch nicht gelungen.

Vor dem Einzug in den Landtag galt der NRW-Landesverband sogar parteiintern als Sammelbecken für Sektierer und Radikale. Doch die 11 Linken-Abgeordneten betreiben nicht nur Blockade. Stattdessen gestalten sie erstmals in einem westlichen Bundesland die Politik mit. 16 Vorhaben brachten SPD und Grüne allein in ihrem ersten Jahr zusammen mit den Linken durch, mehr als mit FDP und CDU. "Wir haben sehr gute Arbeit geleistet", sagt Schwabedissen. Ob die Abwahl des Oberbürgermeisters in Duisburg, die Abschaffung der Studiengebühren, das Tariftreuegesetz – ohne den Druck von Links wäre das alles nicht passiert.

Riesenfreude über den Einzug in den Landtag: die NRW-Linken im Mai 2010.

Riesenfreude über den Einzug in den Landtag: die NRW-Linken im Mai 2010.

(Foto: picture alliance / dpa)

Von der Linkspartei gesetzte Themen wie die Einführung von Mindestlöhnen sind inzwischen längst in der Mitte des Parteiensystems angekommen. "Vor fünf Jahren wurden wir dafür ausgelacht, und jetzt wollen alle einen Mindestlohn", sagt Schwabedissen. Doch die Partei schlägt keinen Nutzen daraus, sie verkauft sich nicht gut genug. "Wir hätten mehr Öffentlichkeitsarbeit betreiben müssen." Obwohl die Partei ihre Forderungen in die politische Debatte einbringen konnte, verliert sie an Zustimmung unter den Wählern. Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte sagt n-tv.de: "Viele ihrer Themen wurden von anderen Parteien übernommen. Das klassisch scharfe oppositionelle Alleinstellungsmerkmal ist nicht mehr erkennbar."

Die Entwicklung der Linkspartei war lange Zeit vor allem eine Erfolgsgeschichte. Die Fusion von WASG und PDS zog 2005 mit 8,7 und 2009 mit 11,9 Prozent fulminant in den Bundestag ein. Sogar das, was der PDS in 15 Jahren stets verwehrt schien, gelang plötzlich: der Sprung in die westlichen Landtage in Hessen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.

Die Jüngeren wollen mitreden

Doch heute kämpft die Partei noch um ihren Platz im neuen Sechsparteiensystem. Der Glanz des Neuen ist weg, die Linke hat deutlich an Anziehungskraft eingebüßt. Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus verlor sie ihre Regierungsbeteiligung. In Bremen gelang der Wiedereinzug in den Landtag nur haarscharf. Und im Saarland, wo immerhin Oskar Lafontaine der Spitzenkandidat ist, verloren die Linken über fünf Prozent. Nach der deutlichen Schlappe am vergangenen Wochenende in Schleswig-Holstein droht die Partei nun auch in Nordrhein-Westfalen den Wiedereinzug in den Landtag zu verpassen. Viele Nicht- oder Protestwähler haben sich von der Partei abgewendet. "Die Linke hat an Attraktivität eingebüßt. Wer ein bisschen gegen den Mainstream wählen will, kann auch die Piraten wählen", sagt Korte.

Schwabedissen will in den letzten Tagen vor der Wahl noch möglichst viele unentschlossene Wähler überzeugen.

Schwabedissen will in den letzten Tagen vor der Wahl noch möglichst viele unentschlossene Wähler überzeugen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Partei trägt selbst dazu bei, dass sie in der Gunst der Wähler seit einem Jahr auf Tiefflug ist. Unter den Vorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst machte die Linke vor allem durch Selbstbeschäftigung und interne Konflikte Schlagzeilen. Ein Glückwunsch-Telegramm an Fidel Castro, krude Äußerungen von Lötzsch über Mauerbau und Kommunismus – viel mehr ist nicht in Erinnerung geblieben aus den Jahren 2010 bis 2012. "Einige der Debatten waren nicht hilfreich", sagt auch Schwabedissen. Politisch tritt die Partei kaum mehr in Erscheinung.

Vor einigen Wochen trat Lötzsch zurück. Parteichef Klaus Ernst betonte, die Nachfolge erst Anfang Juni führen zu wollen. Doch das gelingt nicht. Fast täglich melden sich Linken-Politiker zu Wort, um die Debatte zu kommentieren. Versunken in die eigene Führungsfrage taumelt die Partei durch den Wahlkampf. Schwabedissen und ihre Mitstreiter sind die Leidtragenden. "Manche Leute nutzen es aus, wenn sie ein Mikrofon haben, um damit in die Zeitung zu kommen. Ich finde das sehr ärgerlich", sagt sie.

Schwabedissen ist Westlinke, kommt aus der WASG und gehört zu den jungen Politikern in der Partei, die erst nach der Wiedervereinigung politisiert wurden und jetzt auch Ansprüche anmelden. Die Linke müsse sich verändern, es sei Zeit für einen Generationswechsel, sagt sie. Der Blick sei immer sehr fokussiert auf "die Alten". Alle redeten von Gysi und von Lafontaine, doch es müsse auch Platz sein für die Jüngeren. "Nichts gegen Oskar, er ist eine wichtige Person", sagt sie. "Aber wir wollen vieles anders machen und haben ein anderes Bild von Parteistruktur."

"Mehr als jetzt können wir nicht machen"

Die Gesprächsrunde bei Verdi ist inzwischen vorbei. Während ihre vier Kollegen von CDU, SPD, FDP und Grünen schon verschwunden sind, steht Schwabedissen noch mit einigen Menschen zusammen. "Na Katharina, bleibst du noch in Oberhausen?", fragt ein Mann mit beiger Weste und einem "Atomkraft? Nein danke"-Aufnäher. "Leider nicht", sagt sie. "Mein Kalender ist im Moment so voll."

Und wenn es nicht klappt mit den fünf Prozent? "Für die Bundestagswahl wäre das sicherlich kein gutes Zeichen, aber wir werden auf jeden Fall weiter Politik machen", sagt Schwabedissen. Auch die Grünen seien aus Landtagen rausgeflogen und hätten sich wieder berappelt. "Das gehört zum Entwicklungsprozess einer jungen Partei." Natürlich sei es schwieriger, außerhalb der parlamentarischen Bühne Politik zu machen. Aber das Potenzial sieht sie weiterhin. Die europäische Krise werde noch nach Deutschland kommen. "Dann ist es Zeit, auf die Straße zu gehen und zu zeigen: 'Leute, wir lassen uns das nicht mehr gefallen‘."

Auch für Politikwissenschaftler Korte hat die Partei eine Berechtigung im Parteiensystem. "Als markante linke Opposition sind sie nicht entbehrlich. Sie sind die Einzigen, die eine altsoziale Besitzstandswahrung zum Thema machen." Es sei schade, wenn das nicht auf Widerhall stoße.

Schwabedissen muss jetzt weiter. In ein paar Minuten fährt ihr Zug nach Aachen. Dort hat sie den nächsten Termin. "Wir kämpfen. Mehr als jetzt können wir nicht machen." Sie setzt jetzt auf den Endspurt im Wahlkampf. "Ich denke, wir kriegen das noch gedreht", sagt sie im Gehen. "Wir erhalten viel Zuspruch von den Menschen. Draußen auf der Straße sind wir bei gefühlten 12 Prozent."

Quelle: ntv.de

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