Mindestlohn und Homo-Ehe Rot-Grün attackiert im Bundesrat
01.03.2013, 13:16 Uhr
Niedersachsens neuer Ministerpräsident Stephan Weil (M.) wird zu Beginn der Sitzung mit Applaus begrüßt.
(Foto: dpa)
SPD und Grüne nutzen ihre "Gestaltungsmehrheit" im Bundesrat: Die Länderkammer stimmt für die Einführung eines Mindestlohn, für die steuerliche Gleichstellung der Homo-Ehe und gegen den Fiskalpakt. Schwarz-Gelb fühlt sich bereits an die 1990er Jahre erinnert.
Die Bundesratssitzung an diesem Freitag markierte einen Einschnitt in der Politik in Deutschland - zumindest aus Sicht von SPD und Grünen. Denn aus der Länderkammer rollt jetzt eine Welle von Gesetzesinitiativen in Richtung Bundestag. Start war ein Antrag für einen gesetzlichen Mindestlohn, weiter ging es mit der Ausweitung des Ehegattensplittings auf eingetragene Partnerschaften.
"Wir haben eine neue Gestaltungsmehrheit, die wir nutzen wollen", hatte der neue Chef der niedersächsischen Landesvertretung in Berlin, Michael Rüter, angekündigt. Der Hintergedanke ist klar: Der schwarz-gelben Mehrheit im Bundestag soll eine Art "Gegenregierung" durch den rot-rot-grün dominierten Bundesrat entgegengesetzt werden, der die Bundesregierung bei unangenehmen Themen treiben will.
Der normale Fluss der Gesetzesinitiativen in Deutschland wird also auf den Kopf gestellt. Zwar dürften die schwarz-gelben Fraktionen schon aus Selbsterhaltungstrieb vor der Bundestagswahl im September die meisten Vorstöße mit ihrer Mehrheit im Parlament abweisen. Die Projekte würden dann ebenso im Vermittlungsausschuss steckenbleiben wie umgekehrt die Gesetzesvorhaben der Regierung etwa zur Kalten Progression, die wegen der fehlenden eigenen Mehrheit in der Länderkammer nicht mehr durchzusetzen sind.
Aber der Eindruck, nichts mehr durchsetzen zu können, schadet erfahrungsgemäß eher der Regierung - auch wenn Sachsens CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich im Bundesrat in Anspielung auf die Situation 1998 vor einer "Lafontainschen Blockadepolitik" warnte, die weder der SPD noch dem Land nutze.
"Man muss die Mehrheit auch einsetzen"
Als weiterer wichtiger Aspekt im heraufziehenden Wahlkampf wird die Chance gesehen, selbst die Themensetzung der Debatte zu beeinflussen. "Wenn man eine klare Mehrheit hat, muss man sie auch einsetzen", sagte Rüter. Deshalb werde es Gesetzesinitiativen in den Bereichen Tierschutz, Umwelt, Arbeit, Tariftreue oder Landwirtschaft geben.
Zwar kann auch die Opposition im Bundestag Abstimmungen erzwingen. Aber Debatten haben eine andere Wucht, wenn die Länderkammer mehrheitlich hinter Projekten steckt. Niedersachsen organisiert deshalb etwa ein Gesetz für die Rücknahme des umstrittenen Betreuungsgeldes, das der Bundesrat dann in vier Wochen beschließen soll. "Der Bundesrat ist doch auch eine Form der Reparaturwerkstatt für die Bundesregierung und des Bundestages geworden", sagte der SPD-Politiker.
Die Bundesregierung soll auf eine dauerhafte Bewährungsprobe gestellt werden. Denn die Opposition schielt auf die Risse, die sich in der Koalition von CDU, CSU und FDP etwa bei Themen wie der Gleichstellung von homosexuellen Lebenspartnerschaften zeigen. Während die CSU blockiert, hat Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) betont, dass sie die Gleichstellung lieber heute als morgen durchsetzen würde. Schickt der Bundesrat einen entsprechenden Gesetzentwurf der rot-grünen Länder in den Bundestag, müssen sich die Liberalen entscheiden, ob sie entgegen ihrer Überzeugung mit der Union stimmen.
Einen ähnlichen Spagat werden die Regierungsfraktionen beim Betreuungsgeld absolvieren müssen. Denn die FDP will in ihr Wahlprogramm schreiben, dass sie das Betreuungsgeld wieder auf den Prüfstand stellen will. In der SPD spekuliert man darauf, dass die Liberalen aber schon bei einer erneuten Behandlung im Bundestag oder dann im Vermittlungsausschuss umfallen könnten. Auch deshalb betont etwa Entwicklungsminister Dirk Niebel vorsorglich Geschlossenheit in der Koalition: "Wir halten uns an den Koalitionsvertrag. Wir sind vertragstreu."
Neuer Druck bei alten Themen
Die seit der Niedersachsen-Wahl veränderten Mehrheiten im Bundesrat wurden aber am Freitag auch eingesetzt, um eigentlich vereinbarte Projekte wieder zur Disposition zu stellen. So verweigerte Rot-Grün die Umsetzung des europäischen Fiskalpaktes. Zwar war der bereits im Sommer 2012 zwischen Bund, Opposition und Ländern vereinbart worden - und Tillich warnte eindringlich davor, mit der Anrufung des Vermittlungsausschusses die deutsche Position in der EU zu schwächen.
Aber SPD und Grüne haben nun in der Länderkammer ein Machtmittel in die Hand, um Nachverhandlungen zu erzwingen - und wollen das auch einsetzen. Zumal die Opposition das Gefühl hat, dass der Bund seine Zusagen von 2012 nicht eingehalten hat. Deshalb will man nun im Vermittlungsausschuss als Preis für die eigene Zustimmung erreichen, dass der Bund die Gesamthaftung für die geplanten Bund-Länder-Anleihen übernimmt - aus Sicht von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) eine unrealistische Forderung, weil dann auch der deutsche Widerstand gegen die Einführung von Euro-Bonds mit einer Gesamthaftung geschwächt werden würde.
Quelle: ntv.de, hvo/rts