"Schleichende Militarisierung" SPD fordert Afghanistan-Konzept
28.12.2009, 17:20 UhrDie SPD ruft Außenminister Westerwelle (FDP) dazu auf, unverzüglich Klarheit über die künftige Afghanistan-Strategie der Bundesregierung zu schaffen. Westerwelle kündigt indes an, der Afghanistan-Konferenz Ende Januar fernzubleiben, "wenn dort nicht der zivile Aufbau in den Vordergrund gestellt wird".

Sigmar Gabriel verlangt Klarheit.
(Foto: AP)
"Während Herr zu Guttenberg als Verteidigungsminister alle paar Tage einen neuen Vorschlag veröffentlicht, schweigt der zuständige Außenminister", sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Westerwelle müsse "endlich die schleichende Militarisierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik beenden" und selbst ein Konzept vorlegen. Auf dieser Grundlage könne dann über militärische Entscheidungen beraten werden.
Gabriel sagte weiter, mit der Entscheidung von Präsident Barack Obama, von 2011 an mit dem schrittweisen Abzug der US-Truppen aus Afghanistan zu beginnen, sei auch für die Bundeswehr ein Datum gesetzt. "Deutschland wird wohl kaum länger in Afghanistan bleiben als die USA", betonte er. Dies müssten Merkel und Westerwelle rasch klarstellen.
Kanzleramt früh über Kundus-Luftschlag informiert
Nach Informationen des Deutschlandfunks war das Bundeskanzleramt doch schon vor der Regierungserklärung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am 8. September zum Luftschlag von Kundus über die wichtigsten Einzelheiten der Operation unterrichtet. Ohne näheren Hinweis auf die Quelle berichtet der Sender, dass bereits am Morgen des 8. September ein Vermerk des mittlerweile entlassenen Verteidigungsstaatssekretärs Peter Wichert vorlag, der sich auf den damals vor Ort kommandierenden Oberst Georg Klein bezog. Darin habe es geheißen, die NATO gehe vom Tod unbeteiligter Zivilisten aus.
Als Folge dieser Information habe Merkel in ihrer Regierungserklärung gesagt, wenn es zivile Opfer gegeben habe, bedauere die Bundesregierung dies sehr. Ein Regierungssprecher sagte zu diesem Bericht, das Kanzleramt habe am Morgen des 8. September über denselben Sachstand verfügt wie die Obleute des Außen- und Verteidigungsausschusses. Dieser Personenkreis war am 7. September unterrichtet worden. Der Bericht von Oberst Klein habe tatsächlich erst zwei Tage nach der Regierungserklärung im Bundeskanzleramt vorgelegen, betonte der Sprecher. Im Übrigen habe Merkel bereits am 6. September in einer Pressekonferenz von der Möglichkeit ziviler Opfer gesprochen.
Widerstand gegen Truppenaufstockung
In der schwarz-gelben Koalition verfestigt sich nach einem Bericht des Berliner "Tagesspiegel" der Widerstand gegen die Entsendung zusätzlicher Bundeswehreinheiten nach Afghanistan. FDP-Kreise versicherten demnach, Westerwelle habe intern bereits klargestellt, dass die von den USA gewünschte Truppenaufstockung in Höhe von rund 2500 Soldaten "außerhalb jeder Diskussion" stehe. Eine Aufstockung jenseits einer Größenordnung von 200 Soldaten gemessen an der Mandatsobergrenze werde es "mit Sicherheit nicht geben".

Westerwelle will den zivilen Aufbau in Afghanistan in den Vordergrund stellen.
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Westerwelle drohte überdies, der internationalen Afghanistan-Konferenz am 28. Januar in London fern zu bleiben. "Wenn die Afghanistan-Konferenz in London eine reine Truppenstellerkonferenz wird, fahre ich nicht hin", sagte er dem Magazin "Stern". Notwendig seien ein breiter politischer Ansatz und eine Gesamtstrategie.
CDU-Kritik an Westerwelle
Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz äußerte sich "verwundert" über Westerwelles Ankündigung, die Afghanistan-Konferenz gegebenenfalls zu boykottieren. Ihm seien keine Äußerungen der US- oder anderer Regierungen geläufig, dass die Zusammenkunft zur Truppenstellerkonferenz degradiert werden solle, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag dem "Kölner Stadt-Anzeiger".
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Präsident Nicolas Sarkozy hätten die Konferenz schließlich angeregt, um gemeinsam mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai konkrete Ziele und Zeitpläne für die Stabilisierung seines Landes festzulegen. Gerade wenn es Differenzen in der Sache gebe, bestehe "erfolgreiche Diplomatie" darin, sie "nicht durch die Tonlage zu verschärfen".
Deutsche Zurückhaltung "gesund"
Westerwelle bezeichnete es als "gesund", dass die deutsche Bevölkerung gegenüber Auslandseinsätzen der Bundeswehr zurückhaltend sei: "Wäre es andersherum, würde ich mir Sorgen machen." Er versprach, im Auswärtigen Amt alles zusammenzutragen, um an der Aufklärung des Luftangriffs auf zwei von den Taliban gekaperte Tanklaster am 4. September in Kundus mitzuwirken. "Wenn man diese Bilder sieht, kann kein mitfühlender Mensch darüber hinweggehen", sagte der Außenminister.
Militär schafft physische Sicherheit
Nach dem Willen von Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) soll die deutsche Entwicklungshilfe für Afghanistan künftig enger an den Einsatz der Bundeswehr gekoppelt werden. Niebel kündigte an, die Arbeit von Militär und Polizei sowie zivilen Kräften besser miteinander zu verzahnen. "Es wird keine Militarisierung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit geben. Im Gegensatz zu meiner Amtsvorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul habe ich aber auch keine Bundeswehr-Phobie."
Weiter sagte Niebel: "Militär und Polizei kann physische Sicherheit schaffen. Aber eine Friedensdividende bekommt man nur, wenn sich die Lebenssituation der Betroffenen verbessert. Beides muss Hand in Hand gehen." Der Minister kündigte an, dass von insgesamt 52 Millionen Euro zusätzlicher Entwicklungshilfe mehr als 10 Millionen in die Region Kundus im Norden Afghanistans fließen sollen. Dort hat die Bundeswehr ein großes Feldlager.
Quelle: ntv.de, dpa