"Verfassungskonform, überfällig" SPD stellt sich im Streit um Grundrente taub
31.05.2019, 16:00 Uhr
Arbeitsminister Heil bekommt bei der Grundrente sehr viel Gegenwind.
(Foto: imago images / photothek)
Seiner Grundrente hat Arbeitsminister Heil den wohlklingenden Namen "Respektrente" verpasst. Doch das Label hilft dem Gesetzentwurf wenig: "Verfassungswidrig", "unseriös" und "doppelt so teuer, wie angesetzt", bemängeln Experten. Die SPD hat dem vernichtenden Urteil wenig entgegenzusetzen.
Die SPD hat Vorwürfe zurückgewiesen, die von ihr geplante Grundrente sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Vorhaben sei durchaus "verfassungskonform", erklärte die stellvertretende SPD-Fraktionschefin Katja Mast in Berlin. Die Grundrente erkenne die Lebensleistung von Menschen an, die 35 Beitragsjahre in der gesetzlichen Rentenversicherung haben. "Das ist längst überfällig."
Mast wies damit die Einschätzung des Sozialrechtlers Heinz-Dietrich Steinmeyer zurück, die von Arbeitsminister Hubertus Heil geplante Grundrente sei verfassungswidrig. Steinmeyer vertritt die Auffassung, Heils Grundrente verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz in Artikel 3 des Grundgesetzes. Ausnahmen von der Gleichbehandlung bedürften der Rechtfertigung, schrieb Steinmeyer in einem Gutachten für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.
Die INSM wird von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanziert und kritisiert seit Längerem die Rentenpolitik der Großen Koalition. Zugleich war der Rentenexperte Steinmeyer schon mehrfach für das Arbeitsministerium tätig.
Laut Gutachten lasse das Bundesverfassungsgericht eine Ungleichbehandlung zu, wenn ein Gesetz einen "sozialstaatlich motivierten typisierenden Ausgleich von Nachteilen" anordnet - etwa für Zeiten der Kindererziehung und Pflege. Da Heil aber keinen konkreten Nachteil ausgleichen, sondern die Beitragsjahre der Geringverdiener pauschal aufwerten wolle, schieße das Gesetz "in verfassungswidriger Weise über das Ziel hinaus".
FDP: "Mit der Gießkanne"
Steinmeyers Ausführungen schloss sich die FDP an. Ihr Rentenexperte Johannes Vogel erklärte: "Nahezu täglich kommen neue Studien und Hinweise auf den Tisch, die klar belegen: Die SPD-Grundrente ist leider ein schlechtes, nicht gegenfinanziertes und unfaires Modell." Geld werde "mit der Gießkanne ausgegeben, ohne eine dauerhaft solide Finanzierung sicherzustellen".
Gleichzeitig gingen viele Rentner leer aus, die wirklich wenig hätten. "Die Große Koalition muss dieses Modell deshalb beiseite legen und stattdessen endlich zielgenau gegen Altersarmut vorgehen", erklärte Vogel. Zudem werde der Gleichheitsgrundsatz in der Rentenversicherung ausgehebelt, weil Einzahlungen und Ansprüche nicht mehr in Zusammenhang stünden.
Deutsche Rentenversicherung: "Finanzkonzept nicht seriös"
Bei der Deutschen Rentenversicherung gab es ebenfalls Bedenken gegen Heils Pläne. Der Geschäftsführer der Rentenversicherung Baden-Württemberg, Andreas Schwarz, kritisierte in der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten" das Finanzierungskonzept sei "nicht seriös". Versprochen worden seien einst fünf Milliarden Euro aus der Steuerkasse. Die Kosten würden nun mit zunächst 3,8 Milliarden Euro pro Jahr beziffert, die man allerdings über "ungedeckte Schecks und Griffe in andere Sozialkassen" begleichen wolle.
Schwarz verwies auf die von Heil vorgesehene Abschaffung der sogenannte Mövenpick-Steuer für Hoteliers. Dies sei eine "alte Kamelle" und "dem Wahlkampf geschuldet", sagte Schwarz. Zudem werde mit geplanten Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer, die Deutschland nicht allein einführen könne, das "Fell des Bären verteilt, den man noch nicht erlegt hat".
Gutachter: Kosten doppelt so hoch
Auch gegen den Kostenansatz des SPD-Ministers für die Grundrente meldete ein Gutachter Bedenken an: Danach könnte die Einführung einer Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung fast doppelt so viel kosten, wie von Heil veranschlagt wird. Berechnungen des Finanzwissenschaftlers Bernd Raffelhüschen im Auftrag der Stiftung Marktwirtschaft ergaben Mehrkosten in Höhe von sieben Milliarden Euro. Laut der Zeitung "Die Welt" rechnete Raffelhüschen mit der Verdopplung der ursprünglich veranschlagten 3,8 Milliarden bereits im Jahr der geplanten Einführung 2021.
Bis 2025 errechnete der Experte einen Anstieg auf jährlich 8,3 Milliarden Euro. Anstatt der angegebenen Gesamtsumme von 21,5 Milliarden Euro bis 2025 addierte Raffelhüschen laut "Welt" die Gesamtkosten in diesem Zeitraum auf 38 Milliarden Euro.
Beim Koalitionspartner dringt die SPD mit ihrem Gesetz bisher nicht durch. Erst vor wenigen Tagen war das Arbeitsministerium mit seinen Grundrentenplänen auf Widerstand im Kanzleramt gestoßen. Kanzlerin Merkel hatte den Gesetzentwurf nicht für die Ressortabstimmung freigegeben.
Quelle: ntv.de, mau/AFP/DJ