Rücktrittsforderung lauter Sarrazin im Kreuzfeuer
04.10.2009, 13:00 UhrAuch die Bundesbankgewerkschaft hält Vorstandsmitglied Thilo Sarrazin nach dessen abfälligen Äußerungen für nicht mehr tragbar. Die Gewerkschaft erklärte, sie unterstütze Bundesbankpräsident Axel Weber, der Sarrazin den Rücktritt nahegelegt hatte. "Mit seinen Äußerungen hat Sarrazin dem Ansehen der Deutschen Bundesbank erheblichen Schaden zugefügt", erklärte die Gewerkschaft. Er sei "deshalb als Mitglied des Vorstandes der Deutschen Bundesbank nicht mehr tragbar". Die Bundesbankgewerkschaft kritisierte insbesondere die "ehrverletzende Art und Weise der Äußerungen".
Weber hatte sich am Samstag beim Jahrestreffen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank in Istanbul zu dem Fall geäußert. Er kritisierte dabei den "Reputationsschaden", der der Bank entstanden sei, wie ein Bundesbanksprecher bestätigte. Wer gegen den Verhaltenskodex des Instituts verstoße, müsse "mit sich selbst ins Gericht gehen."
"Kleine Kopftuchmädchen"
Sarrazin hatte sich in einem Interview mit der Zeitschrift "Lettre International" äußerst kritisch zur sozialen und politischen Lage in Berlin geäußert. Besonders hart war Sarrazin mit türkischen und arabischen Einwanderern ins Gericht gegangen. Nach der heftigen Kritik hatte Sarrazin erklärt, nicht jede Formulierung sei "gelungen" gewesen und sich entschuldigt. Nach Medienberichten kannte Weber den umstrittenen Text allerdings vor der Veröffentlichung und hatte Sarrazin im Vorfeld um Änderungen gebeten.
Über die Besetzung des Vorstandes entscheidet nicht die Bundesbank selbst, sondern die Politik. Sie kann ihn aber auch nicht einfach abberufen. Sarrazin war Anfang Mai nach siebenjähriger Senatszugehörigkeit in Berlin in die Bundesbank-Zentrale nach Frankfurt am Main gewechselt.
In dem Interview hatte er unter anderem gesagt, 70 Prozent der türkischen und 90 Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin würden den deutschen Staat ablehnen. "Eine große Zahl an Arabern und Türken hat keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel, und es wird sich auch vermutlich auch keine Perspektive entwickeln. Das gilt auch für einen Teil der deutschen Unterschicht, die einmal in den subventionierten Betrieben Spulen gedreht oder Zigarettenmaschinen bedient hat. (...) Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert."
Türkische Verbände empört
Vor allem bei den türkischen Verbänden in Deutschland und regional in Berlin waren Sarrazins Äußerungen auf Empörung gestoßen. Die türkische Zeitung "Hürriyet" schrieb am Freitag von "schockierenden Worten" Sarrazins. Er habe die Türken und andere Ausländer damit beleidigt. Die größte türkische Tageszeitung in Deutschland bezeichnete Sarrazin als "unverschämt". Er habe "wie ein NPD- Mitglied" gesprochen.
Der Berliner SPD-Ortsverband Alt-Pankow hat nach Informationen des RBB-Radiosenders 88,8 einen Antrag auf ein Parteiordnungsverfahren gegen Sarrazin mit dem Ziel des Ausschlusses aus der SPD gestellt. Der Antrag muss laut SPD-Satzung in Berlin nun von der zuständigen Kreisschiedskommission im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf behandelt werden. Dort ist Sarrazin auch nach seinem Abschied aus dem Senat und aus Berlin als Parteimitglied gemeldet.
Sarrazins Äußerungen sind auch ein Fall für die Berliner Staatsanwaltschaft geworden. "Das Landeskriminalamt prüft in Absprache mit der Staatsanwaltschaft, ob durch den Wortlaut des Interviews die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten sind und sich ein Anfangsverdacht für einen strafbaren Inhalt ergibt", sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Die Prüfung erfolge von Amts wegen. Noch sei kein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP