Politik

Seltener Konsens im Bundestag Satte Mehrheit für Atomausstieg

Die Kanzlerin wirft ihre Stimmkarte ein.

Die Kanzlerin wirft ihre Stimmkarte ein.

(Foto: dpa)

Die Abgeordneten des Bundestages stimmen mit 513 Ja-Stimmen für einen Ausstieg aus der Atompolitik. Bis zum Jahr 2022 werden damit alle Atommeiler in Deutschland abgeschaltet. Trotz ihrer Zustimmung zum Ausstieg geißelt die Opposition die Regierung und wirft ihr vor, sich mit fremden Federn zu schmücken.

Der Atomausstieg bis zum Jahr 2022 ist beschlossene Sache. Union, FDP, SPD und Grüne stimmten gemeinsam mehrheitlich für eine entsprechende Änderung des Atomgesetzes. Es gab 513 Ja- und 79 Nein-Stimmen sowie 8 Enthaltungen.

Das neue Atomgesetz sieht vor, dass die sieben ältesten , die nach der Atomkatastrophe von Fukushima zunächst vorläufig abgeschaltet worden waren, nicht mehr ans Netz gehen sollen, auch nicht der schon länger abgeschaltete Pannenreaktor Krümmel. Die neun verbleibenden AKW sollen in den folgenden Jahren schrittweise abgeschaltet werden, die meisten allerdings voraussichtlich erst 2021 und 2022. Die von Union und FDP erst Ende vergangenen Jahres beschlossenen AKW-Laufzeitverlängerungen werden wieder zurückgenommen. Neu ist, dass allen AKW feste Daten zugeordnet werden, bis wann sie vom Netz gehen müssen.

Neun Abweichler

Bei der Abstimmung hat es neun abweichende Stimmen von Koalitionsabgeordneten gegeben. Für die CDU/CSU wurden fünf Gegenstimmen und zwei Enthaltungen verzeichnet. Gegen den Gesetzentwurf der Koalition stimmte unter anderem Fraktionsvize Arnold Vaatz. Bei der FDP gab es zwei Gegenstimmen von dem Finanzexperten Frank Schäffler und dem außenpolitischen Sprecher Rainer Stinner. Zudem nahmen acht Abgeordnete von Union und FDP nicht an der Abstimmung teil, darunter FDP-Vize Birgit Homburger. Unter den fehlenden CDU-Abgeordneten waren Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, die in der Nacht ihre Tochter Lotte Marie zur Welt gebracht hatte, sowie ihr Mann, Innen-Staatssekretär Ole Schröder.

Gabriel betont, dass Rot-Grün den Atomausstieg zuerst beschloss.

Gabriel betont, dass Rot-Grün den Atomausstieg zuerst beschloss.

(Foto: REUTERS)

Der Bundestag beschloss zudem weitere Gesetze zum Ausbau und für mehr Energieeffizienz. Der Umstieg auf Erneuerbare Energien und der Ausbau des Stromnetzes sollen danach beschleunigt werden. Ziel ist es, den Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung bis 2020 auf mindestens 35 Prozent und bis 2030 dann auf 50 prozent zu steigern. Offshore-Windparks und Geothermie sollen stärker gefördert werden. Insgesamt soll die Förderung aber zurückgefahren und die Erneuerbaren Energien marktkonform werden. Die Oppositionsfraktionen stimmten einigen dieser Gesetze nicht zu.

Opposition übt scharfe Kritik

Vor der Entscheidung gab es einen heftigen Schlagabtausch im Bundestag. SPD-Chef Sigmar Gabriel warf der Bundesregierung vor, sich beim Atomausstieg mit fremden Federn zu schmücken. "Dieser Ausstieg ist unser Ausstieg", sagte er mit Blick auf den ursprünglichen Beschluss von Rot-Grün vor gut zehn Jahren. Dafür hätten sich SPD und Grüne von der Union immer "Häme, Verleumdung, Beleidigung und Diffamierung" anhören müssen.

Mit Blick auf die sagte Gabriel, die CDU-Chefin verteile wie ein Räuberhauptmann auf der Lichtung ihre Beute. Gabriel empfahl der Kanzlerin, die Koalition aufzulösen: "Hören Sie einfach auf. Das wäre der beste Neustart für unser Land."

Künast: "Ironie der Geschichte"

Auch die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast rechnete mit Merkels Energiepolitik ab. "Wir sind noch lange nicht fertig, wir fangen jetzt erst richtig an", betonte sie. Sie kritisierte besonders die "Blockade" der Regierung bei der dezentralen Energiepolitik. Zugleich sprach sie von einer "Ironie der Geschichte", dass Merkel jetzt sich dem annähern müsse, was sie jahrzehntelang bekämpft habe.

Dennoch betonte Künast mehrmals: "Heute ist ein guter Tag." Zugleich forderte sie einen konsequenten Netzausbau mit einer "ehrlichen Bürgerbeteiligung". Deutschland werde weiter zu einer nachhaltigen Wirtschaft verändert werden, die "nicht auf Kosten anderer" lebe.

Die Linke forderte, den Atomausstieg verbindlich im Grundgesetz festzuschreiben. Dann wäre die Abkehr von der Kernenergie unumkehrbar, sagte Fraktionschef Gregor Gysi. "So bleibt es ein Atomausstieg mit Rückfahrkarte." Die Linke könne den schwarz-gelben Gesetzen nicht zustimmen, weil die Energiewende nur halbherzig sei: "Von uns gibt es ein Nein."

Regierung lobt sich

Wirtschaftsminister Philipp Rösler wies die Kritik der Opposition zurück und bemühte sich, die Regierung als Vorreiter einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik darzustellen. Die Entscheidungen von Schwarz-Gelb gingen deutlich über den Ausstiegsbeschluss von Rot-Grün hinaus, sagte der FDP-Vorsitzende unter dem Spott der Opposition. Union und FDP hätten die Voraussetzungen in den Einstieg in erneuerbare Energien und den Netzausbau geschaffen. Dies hätten SPD und Grüne damals versäumt.

Röttgen zeigt sich zufrieden.

Röttgen zeigt sich zufrieden.

(Foto: REUTERS)

Nach Röslers Ansicht wird die Wirtschaft durch den Ausstiegsbeschluss nicht übermäßig belastet. Für deutsche Firmen böten sich jetzt im In- und Ausland sogar neue Chancen.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen hatte zuvor den Atomausstieg als historische Weichenstellung bezeichnet. Nach mindestens 30-jähriger kontroverser, teils unversöhnlicher Debatte werde das Parlament einen energiepolitischen Konsens beschließen, sagte der CDU-Politiker.

Bei n-tv kritisierte Röttgen zudem den rot-grünen Atomausstieg als "parteipolitisches Durchsetzungsprojekt". Diesmal sei es dagegen bewusst ein "Konsens-Projekt". Außerdem sei nun der Atomausstieg mit klaren Daten versehen. Unter Rot-Grün sei nicht klar gewesen: "Wann ist endlich Schluss?" Auch sei man heute bei den erneuerbaren Energien viel weiter.

Wirtschaft zeigt sich beunruhigt

Deutschlands Atomkraftwerke (Karte von Stepmap.de)

Deutschlands Atomkraftwerke (Karte von Stepmap.de)

Die deutsche Wirtschaft warf indes der Bundesregierung vor, den Ausstieg aus der Atomenergie überstürzt zu betreiben. Wenige Tage nach Beginn des von Merkel ausgerufenen dreimonatigen Atom-Moratoriums seien die wesentlichen Entscheidungen des Ausstiegs schon festgelegt gewesen, "einschließlich des sofortigen Abschaltens von acht Kernkraftwerken", kritisierte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel. "Es gab am Ende keine offene Entscheidungssituation mehr", sagte der BDI-Präsident.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) bekräftigte seine Warnung vor den Risiken der Energiewende. Sein Präsident Hans Heinrich Driftmann sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung", viele Unternehmen sorgten sich, ob die Versorgung mit Energie hierzulande wirklich gesichert sei. Tausende Kilometer neue Netze, neue Gaskraftwerke, neue Speicher müssten erst einmal gebaut werden. "Ob das alles klappt, wird sich zeigen", sagte Driftmann.

EU-Energiekommissar Günther Oettinger forderte Deutschland auf, den Atomausstieg EU-kompatibel zu gestalten. Es gehe vor allem darum, das Abschalten der restlichen neun Atomkraftwerke und den Aufbau neuer Energiekapazitäten mit der Europäischen Union abzustimmen, sagte Oettinger im Deutschlandfunk. Dann werde es in der EU eine stabile Stromversorgung und Schutz vor außerordentlichen Preiserhöhungen geben. Allerdings müssten sich die europäischen Verbraucher darauf einstellen, dass der notwendige Ausbau der Stromnetze mit einem Cent pro Kubikmeter zu Buche schlagen werde.

Greenpeace geht er Ausstiegsbeschluss nicht weit genug. "Das reicht nicht aus", sagte Greenpeace Energieexperte Tobias Münchmeyer bei n-tv. "Bundeskanzlerin Merkel hatte den Atomausstieg 'so schnell wie möglich' angekündigt, das waren ihre Worte. Das ist nicht eingetreten. Das hat sie nicht eingelöst. 2022, das sind 11 Jahre und das ist viel zu lang."

Quelle: ntv.de, ghö/dpa/AFP/vwd

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