Länder einigen sich auf Grenzkontrollen Schengen wackelt
07.06.2012, 20:21 Uhr
Tausende Menschen aus Entwicklungsländern hoffen auf ein besseres Leben in Europa.
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Um unkontrollierte Flüchtlingsströme abzuwenden, wollen die EU-Innenminister eigenständig Grenzkontrollen im Schengen-Raum einführen. Ein Affront für Brüssel. EU-Kommissarin Malmström befürchtet, dass die nationalen Regierungen populistischem Druck aus dem Inland erliegen und die neuen Regeln missbrauchen.
Die Staaten in Europa wollen auch künftig im Alleingang neue Grenzkontrollen einführen - erstmals auch dann, wenn ungewöhnlich viele illegale Einwanderer ins Land kommen. Schon in den vergangenen Tagen deuteten die EU-Innenminister eine entsprechende Reform des Schengen-Raums an. Nun haben sie sich nach eigenen Angaben im Grundsatz geeinigt. Und damit handeln sie sich heftige Schelte aus EU-Kommission und Europaparlament ein.
Beide Institutionen verlangen gemeinsame Entscheidungen auf europäischer Ebene und drohen mit Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Das Parlament muss dem Entschluss der Innenminister zudem mehrheitlich zustimmen.
Unterbesetzt, schlecht ausgerüstet - die Lage an der Grenze zur Türkei überfordert die griechischen Grenzkontrolleure.
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Nach dem Willen der Minister sollen Schengen-Länder ihre Grenzen aus mehr Gründen und länger als bisher wieder dicht machen dürfen. Eine neue "Notfallklausel" soll greifen, wenn zahlreiche illegale Einwanderer in die EU gelangen. Voraussetzung wäre, dass ein Staat - - trotz EU-Hilfe nicht mehr seine Außengrenzen schützen kann und die innere Sicherheit anderer Staaten "massiv bedroht" wäre. Länder dürften dann zwei Jahre lang wieder die Grenzen überwachen. Bislang sind Kontrollen von 30 Tagen nur bei Großereignissen wie Fußball-Spielen sowie für zehn Tage nach Notfällen wie Terroranschlägen erlaubt.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU zeigte sich hochzufrieden: "Es ist als politisches Signal natürlich unheimlich wichtig, weil wir unseren Bürgern auch sagen können: Wir sind handlungsfähig, wenn es darauf ankommt, vor Ort, dort wo eure Sicherheit bedroht ist."
"Verrat an der europäischen Idee"
Wie viele andere Abgeordnete des Europäischen Parlaments reagierte Friedrichs Parteikollege Manfred Weber dagegen empört und sprach von einer "vergebenen Chance und einem Rückfall in vergangene Zeiten". Die SPD-Europapolitikerin Birgit Sippel nannte die Entscheidung einen "Verrat an der europäischen Idee". EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström äußerte die Befürchtung, dass die nationalen Regierungen die neuen Regeln zur Einführung von Grenzkontrollen missbrauchen. "Die Entscheidung zur Wiedereinführung von Grenzkontrollen kann nicht von einem Land getroffen werden", sagte die Schwedin. Denn dann bestehe die Gefahr, populistischem Druck aus dem Inland zu erliegen.
Den Volksvertretern stößt übel auf, dass die Regierungen ihre Meinung nicht einholen wollen, falls sie die neue "Notfallklausel" aktivieren wollen. Basis dafür soll zwar eine Empfehlung der EU-Kommission und des EU-Ministerrates sein - allerdings muss der Staat der nicht folgen.
"Jeder Mitgliedsstaat könnte so faktisch im Alleingang entscheiden, ob er seine Grenzen dichtmacht", kritisierte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms. Die EU-Innenminister hätten "die Axt an die Reisefreiheit, eine der größten Errungenschaften der Europäischen Union, gelegt."
Innenminister Friedrich wiegelt dagegen ab: "Der Notfallmechanismus ist etwas, was ganz, ganz am Schluss, als Ultima Ratio, wenn alle Stricke reißen, nur infrage kommt." Die Wogen glättete er damit nicht.
Griechenland ist überfordert
Erster möglicher Auslöser des neuen Notfallmechanismus könnte Griechenland werden. Athen ist seit Jahren überfordert: Über seine Grenze kommen die meisten illegalen Immigranten nach Europa. Von dort reisen sie weiter in den Rest der Union - auch nach Deutschland.
, als Flüchtlinge aus Nordafrika nach Europa drangen. Die EU-Kommission bekam daraufhin den Auftrag, die Schengen-Regeln zu überarbeiten. Nach einem Jahr des Streits schmetterten die Innenminister nun die Forderung der EU-Kommission aber ab, bei der Wiedereinführung von Grenzkontrollen das letzte Wort zu erhalten
Das Schengener Abkommen garantiert seit 1995 die Reisefreiheit in Europa und wurde fortwährend ausgeweitet: An den Grenzen der 26 Unterzeichner-Staaten gibt es heute normalerweise keine Passkontrollen mehr.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP