Politik

Bürgerkrieg auf dem Tahrir-Platz Schlägertrupps stoppen Fernsehteams

(Foto: AP)

Die Proteste in Ägypten gegen den zunehmend isolierten Präsidenten Mubarak halten an. Schlägertrupps stürmen Hotels und verhindern die Übertragung von Fernsehbildern. Auf dem Kairoer "Platz der Befreiung" stehen sich bewaffnete Anhänger und Gegner gegenüber. Die Regierung bestreitet Berichte über gesteuerte Provokationen. Bundeskanzlerin Merkel fordert ein sofortiges Ende der Gewalt. Das Regime verweigert Ex-Ministern derweil die Ausreise, auch ihre Konten sind eingefroren.

Unterstützer (hinten) und Gegner von Präsident Mubarak stehen sich gegenüber.

Unterstützer (hinten) und Gegner von Präsident Mubarak stehen sich gegenüber.

(Foto: dapd)

Die ägyptische Armee gibt offenbar ihre seit Ausbruch der Gewalttätigkeiten gezeigte passive Haltung auf und versucht, die seit Mittwochnachmittag andauernden Straßenschlachten zwischen Gegnern und Anhängern von Präsidenten Husni Mubarak zu beenden. Soldaten schoben sich zwischen beide Gruppen und schaffen eine 80 Meter breite Pufferzone. Mehrere Panzer wurden an der umkämpften Oktober-Brücke am Tahrir-Platz postiert. Trotzdem kamen Ärzten zufolge mindestens zehn Menschen ums Leben, zwei davon durch Schüsse. Der Gesundheitsminister hatte zuvor von sechs Toten und mehr als 800 Verletzten gesprochen. Schlägertrupps machten derweil Jagd auf Journalisten. Nach Berichten verschiedener Medien drangen sie in Hotels ein und stoppten die Übertragung von Fernsehbildern.

Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte die ägyptische Regierung auf, die Angriffe gegen die Demonstranten zu unterbinden. Die Attacken müssten unverzüglich aufhören, auch dafür sei die Regierung verantwortlich, sagte die Kanzlerin. In Ägypten müsse ein Neuanfang gemacht werden. Es sei ganz wichtig, dass der politische Dialog zwischen allen demokratischen Kräften schnell beginne. Sie habe mit Präsident Husni Mubarak gesprochen und ihn dazu aufgefordert. Der englische Sender BBC meldete, ein Mitglied der ägyptischen Armeeführung habe gesagt, morgen sei für Mubarak "der Tag der Entscheidung". Die Opposition hat für Freitag zu einer erneuten Großdemonstration gegen den Präsident aufgerufen.

Bewaffnete Mubarak-Anhänger hatten sich zuvor im Stadtteil Giseh auf der anderen Seite des Nils versammelt und sich Richtung Zentrum bewegt. Sie hätten Messer und Stöcke bei sich gehabt, hieß es. Nach Angaben von Rettungskräften und einem Augenzeugen wurde ein Ausländer zu Tode geprügelt.

Mubaraks Sohn kandidiert nicht

Demonstranten tragen einen verletzten Offizier, der zwischen die Fronten geraten war, an den Rand den Tahrir-Platzes.

Demonstranten tragen einen verletzten Offizier, der zwischen die Fronten geraten war, an den Rand den Tahrir-Platzes.

(Foto: dpa)

Weder der ägyptische Präsident Husni Mubarak noch sein ältester Sohn Gamal werden nach Angaben von Vize-Präsident Omar Suleiman zu den Präsidentschaftswahlen im September antreten. Dies berichtete das Staatsfernsehen. Gamal Mubarak galt bislang als Nachfolger seines 82-jährigen Vaters. Die amtliche Nachrichtenagentur Mena berichtete, Suleiman habe zudem die Sicherheitsbehörden aufgerufen, während der Proteste festgenommene Jugendliche freizulassen, wenn diese nicht an "kriminellen Taten" beteiligt waren.

Der neue ägyptische Regierungschef Ahmed Schafik hat sich derweil für die Gewalt gegen protestierende Regime-Gegner entschuldigt. "Für Angriffe auf friedliche Demonstranten gibt es keine Ausreden, und deswegen entschuldige ich mich dafür", sagte Schafik dem TV-Sender Al Hayat. Die Regierung bestreitet aber weiter, in die Angriffe verwickelt zu sein. Sie wolle die Verantwortlichen für die nächtlichen Angriffe auf Regimegegner bestrafen. Zudem kündigte er eine genaue Untersuchung der Angriffe auf dem Tahrir-Platz an.

Wie n-tv-Korrespondentin Antonia Rados vom Tahrir-Platz berichtete, werden die Oppositionellen den Platz nicht kampflos räumen. Sie seien "fast militärisch" organisiert, immer wieder schwärmten Gruppen von Demonstranten zur "Frontlinie" aus, Pflastersteine in den Händen, um dann von anderen Gruppen abgelöst zu werden. Die Demonstranten verbarrikadierten sich auf dem Platz, die Stimmung sei gereizt, da viele von ihnen schon nächtelang nicht geschlafen hätten. An jeder Ecke gebe es Verletzte. Ein dpa-Fotoreporter beobachtete, wie Neuankömmlinge Lebensmittel und Trinkwasser auf den Platz brachten und verteilten.

Staatsanwaltschaft setzt Ex-Minister fest

Hauptwaffe der beiden Lager: Steine.

Hauptwaffe der beiden Lager: Steine.

(Foto: dpa)

Die ägyptische Staatsanwaltschaft verhängte derweil ein Ausreiseverbot gegen mehrere ehemalige Minister verhängt, darunter den Anfang der Woche abgelösten Innenminister Habib el Adli. Wie die amtliche Nachrichtenagentur Mena berichtete, sagte Staatsanwalt Abdel Meguid Mahmud, es werde gegen Adli sowie gegen den früheren Tourismusminister Soheir Garranah, den früheren Wohnungsminister Ahmed el Maghrabi und Ahmed Ess ermittelt, ein führendes Mitglied der Regierungspartei.

Alle vier dürften nicht ausreisen, zudem seien ihre Konten eingefroren. Die Maßnahmen würden gelten, bis die Sicherheit wiederhergestellt sei und die Behörden Ermittlungen hätten vornehmen können, wer für die vergangenen Ereignisse verantwortlich sei, sagte der Staatsanwalt. Ministerpräsident Ahmed Schafik bestätigte, dass gegen Adli Ermittlungen aufgenommen worden seien. Dieser war wegen seiner Rolle bei der Unterdrückung der Oppositionsproteste bei der Kabinettsumbildung von seinem Posten abgelöst worden.

Provokation offenbar gesteuert

Angesichts der Exzesse forderte Oppositions-Vertreter Mohammed el-Baradei die Armee auf, weitere Angriffe der Mubarak-Anhänger auf die Demonstranten zu unterbinden. Die Armee müsse eingreifen, um das Leben ägyptischer Bürger zu schützen, sagte el-Baradei in einem Interview mit Al-Dschasira. "Es gibt eindeutige Beweise, dass die Polizei ihre Männer in Zivilkleidung auf die Demonstranten gehetzt hat", sagte der Friedensnobelpreisträger.

Brandbomben werden gebastelt.

Brandbomben werden gebastelt.

(Foto: dapd)

Auch Rados berichtet, dass es sich bei den "Mubarak-Anhängern" um gezielt eingesetzte Provokateure handeln könnte. Regimegegner hätten bei Festgenommenen Ausweispapiere des ägyptischen Innenministeriums oder des Geheimdienstes gefunden.

Nach unbestätigten Augenzeugenberichten sollen Zivilisten mehrere Ausländer vom Tahrir-Platz abgeführt haben. Ein Mitglied eines Reuters-Kamera-Teams wird zusammengeschlagen. Das Team filmte Geschäfte und Banken, die wegen der Krawalle schließen mussten. Aufgrund der jüngsten Attacken auf Journalisten räumten weitere Medien ihre Büros in der Innenstadt von Kairo.

Die Opfer auf dem Tahrir-Platz seien an Schussverletzungen gestorben, sagte ein Arzt eines nahe des Platzes provisorisch errichteten Krankenhauses. Es seien auch zahlreiche Verletzte eingeliefert worden, viele von ihnen mit Schusswunden. Die Zahl der Verletzten seit Mittwoch gab der Arzt mit mehr als 1000 an. Laut Augenzeugen schossen Mubarak-Anhänger von der Oktober-Brücke, einer nahen Hochstraße, auf die Regierungsgegner auf dem Tahrir-Platz.

Mubarak schweigt

Von einer nahegelegenen Hochstraße soll auf die Demonstranten geschossen worden sein.

Von einer nahegelegenen Hochstraße soll auf die Demonstranten geschossen worden sein.

(Foto: AP)

Je länger der Machtkampf andauert und je mehr Menschen dadurch ihr Leben verlieren, desto schwieriger erscheint es, eine politische Lösung zu finden. Präsident Mubarak, der die Forderung der Demonstranten nach seinem sofortigen Rücktritt nicht erfüllen will, blieb stumm, als die Situation auf dem Tahrir-Platz außer Kontrolle geriet. Auch als Brandbomben flogen und die ersten Toten zu beklagen waren, schwieg er. Einer seiner Berater meldete sich am Mittwochabend im staatlichen Fernsehen und sagte, Mubarak selbst habe mit den Attacken seiner Anhänger nichts zu tun.

Diese seien von Geschäftsleuten geplant worden, hieß es weiter. Damit sind vermutlich Neureiche gemeint, die aus Sicht der Demonstranten genauso Teil des korrupten Systems sind wie die Politiker der Regimepartei NDP selbst.

"Morgen ist nicht genug"

Inmitten der Krise suchen die USA weiter Einfluss auf die Regierung in Kairo zu nehmen. Am Mittwoch (Ortszeit) telefonierte US-Außenministerin Hillary Clinton mit dem neuen ägyptischen Vizepräsidenten Omar Suleiman. Clinton habe von Suleiman eine Untersuchung der Übergriffe in Kairo verlangt.

An allen Ecken des Tahrir-Platzes trifft man auf Verwundete.

An allen Ecken des Tahrir-Platzes trifft man auf Verwundete.

(Foto: AP)

Die Außenministerin habe dabei abermals die Gewalt verurteilt und die ägyptische Regierung aufgefordert, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sagte Außenamtssprecher Philip Crowley. Er wiederholte den Standpunkt der US-Regierung, wonach der politische Übergangsprozess sofort beginnen müsse. "Morgen ist nicht gut genug", sagte Crowley. Es müssten "sobald wir möglich" Wahlen stattfinden. "Wir wollen einen glaubwürdigen Prozess sehen, der zu freien, fairen und legitimen Wahlen führt", erklärte Crowley weiter.

Der Sondergesandte von Präsident Barack Obama, der frühere US-Botschafter in Ägypten Frank Wisner, trat US-Medien zufolge wieder die Heimreise an. Wisner war am Wochenende nach Kairo geschickt worden, um dem ägyptischen Präsidenten Mubarak die Erwartung Washingtons zu unterbreiten, dass er sich nicht um eine weitere Amtszeit bewerben sollte, meldete die Online-Zeitung "Politico".

Deutschland hat gemeinsam mit vier anderen EU-Staaten gefordert, "sofort" mit einer Neuordnung der politischen Machtverhältnisse in Ägypten zu beginnen. Die jüngsten Entwicklungen in dem arabischen Land würden mit äußerster Besorgnis verfolgt, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien. "Der Prozess des Übergangs muss jetzt beginnen", lautete es in der Erklärung, die vom Büro des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy veröffentlicht wurde.

Staatsfernsehen: Dialog hat begonnen

Oppositionelle nehmen einen der Provokateure fest.

Oppositionelle nehmen einen der Provokateure fest.

(Foto: AP)

Das ägyptische Staatsfernsehen meldete, zwölf Oppositionsparteien hätten ihre Bereitschaft "zu einem nationalen Dialog" erklärt. Nach Angaben von Regierungsgegnern handelt es sich bei diesen Oppositionellen um Vertreter von sechs kleineren Parteien: Al-Takaful, Al-Dusturi, Jugend Ägyptens, Die Generation, Der-Frieden, und ein Flügel der Al-Ghad-Partei, der sich schon vor längerer Zeit von Parteiführer Eiman Nur losgesagt hatte. Die meisten Oppositionellen hatten jedoch erklärt, sie wollten erst nach einem Rücktritt von Präsident Husni Mubarak mit Suleiman über demokratische Reformen sprechen.

Auch Oppositionsführer Mohammed el-Baradei lehnt das Verhandlungsangebot der Regierung ohne Vorbedingungen ab. Zuerst müsse Mubarak sein Amt niederlegen. Vor jedweder Verhandlung müsse die Sicherheit auf dem Tahrir-Platz wiederhergestellt werden.

Steine, Molotow-Cocktails und Schusswaffen: Inzwischen sind alle bewaffnet.

Steine, Molotow-Cocktails und Schusswaffen: Inzwischen sind alle bewaffnet.

(Foto: REUTERS)

Ein Sprecher der einflussreichen oppositionellen Muslimbruderschaft lehnt Vereinbarungen ab, die sich aus Verhandlungen mit der Regierung ergeben könnten. Angeblich soll auch der neue Regierungschef Ahmed Schafik Gespräche mit Anti-Mubarak-Demonstranten begonnen haben. Von Seiten der Regierung hieß es, er spreche mit Vertretern der Protestgruppen, die auf dem Tahrir-Platz versammelt seien.

Quelle: ntv.de, rpe/hdr/dpa/rts/AFP

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen