Klausur in Meseberg kittet Risse Schwarz-gelbe Agenda steht
18.11.2009, 16:46 Uhr
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Das Bundeskabinett steckt bei seiner ersten Klausur den Kurs für die nächsten zwölf Monate ab. Gemeinsam mit Verbänden will die Regierung nach Wegen aus der Kreditklemme suchen. Einer großen Steuerreform, wie von der FDP gefordert, schiebt die Union einen Riegel vor. Die Einsätze der Bundeswehr im Ausland werden unter neuen Aspekten fortgeführt. Die maroden Krankenkassen dürfen auf Hilfe hoffen und die Personalie Steinbach wird ebenso wenig angefasst wie das Thema Atomkraft.

Der Vizekanzler und die Kanzlerin sind mit den Ergebnissen der Klausur zufrieden.
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Bereits am 2. Dezember will die Regierung auf einem Gipfeltreffen mit Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden und Banken über die Bewältigung der Folgen der Wirtschaftskrise diskutieren. Ziel ist die Bündelung aller gesellschaftlichen Kräfte für mehr Beschäftigung und zur Verhinderung einer Kreditklemme.
Den Streit über die Besetzung des Stiftungsrats beim neuen "Zentrum gegen Vertreibung" legte das Kabinett nicht bei. Man habe über das Thema gar nicht gesprochen, berichteten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP).
Bis Oktober 2010 will die Koalition ein Energiekonzept erarbeiten. Die Federführung liegt bei Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und Umweltminister Norbert Röttgen (CDU). Ziel ist eine umweltverträgliche Energieversorgung. Laut Koalitionsvertrag sollen damit die Grundlagen für den Ausbau erneuerbarer Energien und eine Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke gelegt werden.
Steuerreform mit Stufensystem

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CDU-Chefin Merkel dämpfte erneut die Erwartungen an eine große Steuerreform noch in dieser Legislaturperiode. Es gehe in Deutschland nicht um Systembrüche, sagte sie. Die FDP verlangt eine große Reform in den nächsten vier Jahren mit einem dreistufigen Steuersystem.
FDP-Chef Westerwelle ging in diesem Zusammenhang nicht auf die Äußerungen von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) ein, die in den bislang umstrittenen Themen Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik weitgehende Übereinstimmungen demonstrierten. Schäuble sprach sich überraschend für ein mehrstufiges Steuersystem aus, nachdem er zuvor, ähnlich wie die Kanzlerin, einem mehrstufigen System äußerst skeptisch gegenüberstand. Schäuble ließ die Zahl der Steuerstufen jedoch offen. Das Kabinett will am 16. Dezember über den Haushalt 2010 entscheiden. Der Bundestag soll ihn dann im März oder April verabschieden.
Skepsis gegenüber den Versprechen
Die Steuerversprechen der schwarz-gelben Bundesregierung stoßen einer Forsa-Umfrage zufolge auf wenig Vertrauen bei den Bürgern. In der Umfrage für "Stern" und RTL äußerten zwei Drittel (66 Prozent) der Befragten Zweifel daran, dass die Koalition das Steuersystem vereinfachen kann. Fast drei Viertel (73 Prozent) zeigten sich überzeugt, dass es unter Union und FDP keine niedrigeren Steuern geben werde. 71 Prozent glauben nicht, dass die Steuern mit Schwarz-Gelb gerechter werden.
Nach Berechnungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler- Stiftung lassen sich die Steuer-Ziele mit einem Drei-Stufen-Tarif nicht erreichen. Auch mit mehr Abstufungen sei es sehr schwierig, die von Union und FDP angekündigten Wirkungen zu erzielen. Soll die Zahl der Stufen überschaubar bleiben, drohten unerwünschte Verteilungswirkungen und sehr hohe Einnahmeausfälle.
Keine Bewegung im Steinbach-Streit

Die CDU-Politikerin Steinbach wird weiter für Streit zwischen Union und FDP sorgen.
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Den Koalitionsstreit über die Besetzung des Stiftungsrats beim neuen "Zentrum gegen Vertreibung" legte das Kabinett nicht bei. Man habe über das Thema nicht gesprochen, berichtete Merkel. Westerwelle lehnt die Berufung der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, in den Stiftungsrat mit Rücksicht auf polnische Bedenken strikt ab. Die Kanzlerin verwies dagegen auf das Wahlprogramm von CDU und CSU, das dem Bund der Vertriebenen das Vorschlagsrecht für seine Vertreter in der Stiftung überlässt. Weil aber der Bund der Vertriebenen aus strategischen Gründen darauf verzichtete, Steinbach parallel zur Klausur in Meseberg zu benennen, musste sich das Kabinett nach nicht mit dem Thema und der Personalie befassen.
Der BdV hatte die Regierung aufgefordert, noch in Meseberg den Weg für die CDU-Bundestagsabgeordnete Steinbach in den Stiftungsrat freizumachen.
Noch ein weiteres Jahr in Afghanistan

Deutsche ISAF-Soldaten in Feysabad.
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Weiterhin einigte sich das Kabinett darauf, die Bundeswehr mit 4580 Mann auch noch 2010 mit mehreren tausend Soldaten in Afghanistan zu belassen und sich weiter am Anti-Terrorkampf vor dem Horn von Afrika zu beteiligen. Vor der somalischen Küste sind 230 deutsche Soldaten stationiert. Auch das Mandat für die Kontrolle der Küste vor dem Libanon wurde verlängert. Das betrifft 450 Bundeswehr-Soldaten, die zusammen mit Partnerländern vor allem Waffenschmuggel verhindern sollen. Der Bundestag muss diesen Einsätzen noch bis zum Ende des Jahres zustimmen. Die deutsche Beteiligung am Einsatz des NATO-AWACS Verbandes zur Kontrolle des Luftraumes wird dagegen nicht verlängert. Dieser Einsatz mit deutschen Soldaten an Bord von Überwachungsflugzeugen auch für den zivilen Luftverkehr konnte bisher wegen fehlender Überflug-Genehmigungen in angrenzenden Ländern nicht verwirklicht werden.
Die afghanische Regierung wurde aufgefordert, in einem angemessenen Zeitraum selbst für seine Sicherheit sorgen zu sollen. Die Mandatsverlängerung soll auch ein Signal an die Partner-Nationen sein, "dass Deutschland zu seinen internationalen Verpflichtungen steht", sagte Westerwelle. Bislang bleibe das deutsche Engagement auf den Norden des Landes fokussiert, heißt es weiter. Nach der Afghanistan-Konferenz werde die Bundesregierung ihr ziviles und militärisches Engagement erneut prüfen.
Hilfe für die Krankenkassen
Die gesetzlichen Krankenkassen werden im kommenden Jahr wie angekündigt 3,9 Milliarden Euro zusätzlich aus Steuermitteln erhalten. Bei der Vereinbarung handele es sich um einen "krisenbedingten Zuschuss", sagte Merkel. Der Steuerzuschuss sei für viele Kassen wichtig, weil davon abhänge, "ob und gegebenenfalls eben nicht Zusatzbeiträge erhoben werden müssen", sagte Merkel. Das gebe den Kassen "eine sehr klare Grundlage" im nächsten Jahr.
Für den von der schwarz-gelben Koalition angepeilten Umbau des Gesundheitssystems wird Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) nach den Worten Merkels eine interministerielle Arbeitsgruppe leiten. Sie soll bis zur zweiten Jahreshälfte 2010 Vorschläge für die langfristige Weiterentwicklung des Gesundheitssystems vorlegen.
Kritik von Links
Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, bezeichnete die Klausur in Meseberg als einen "erfolglosen Krisengipfel". Erst verhandele man wochenlang über einen Koalitionsvertrag, dann müsse man sich zu einem Krisengespräch treffen, um zu klären, was man überhaupt ausgehandelt habe, so Gysi. Eine Steuersenkung inmitten einer Finanzkrise zu beschließen, ohne Steuergerechtigkeit herzustellen, könne "nicht gut gehen". Den Armen in der Gesellschaft könne man nicht noch mehr nehmen. Die Zeche dieser verfehlten Koalitionspolitik werde vor allem der Mittelstand bezahlen.
Quelle: ntv.de, ppo/dpa/rts/AFP