Zu Unrecht EU-Beitrittskandidat? Serbien macht Rückschritte
17.04.2012, 16:34 UhrSeit Anfang März ist Serbien offiziell Kandidat für den Beitritt zur EU. Lob gibt es dabei immer wieder wegen der überfälligen und angeblich so herzhaft angepackten Justizreform. Ein Expertenteam kommt gerade aus Serbien zurück und kommt zu einem sehr viel vernichtenderen Urteil. Die Juristen bezeichnen die Reform als "misslungen".
Eines der wichtigsten Argumente dafür, Serbien den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu geben, scheint in sich zusammenzubrechen. Es geht um die in den Augen der Experten wichtigen Justizreform des Landes. Diese ist nach Auffassung der Europäischen Richtervereinigung (MEDEL) misslungen. Die vermeintliche Reform sei mit "Kardinalfehlern" belastet und lasse "den Versuch erkennen, sich die Richter gefügig zu machen", sagte der frühere Präsident des Landgerichts Lübeck, Hans-Ernst Böttcher, nach einem einwöchigen Besuch von MEDEL-Richtern in Serbien.
Ziel der Reform war es, das alte kommunistische Gerichtswesen auf neue Füße zu stellen und auch personell von Altlasten zu bereinigen. Aber genau da liegen die Probleme: Bei der Abberufung von 800 Richtern und 150 Staatsanwälten sei es zu "zweifelhaften Suspendierungen","Einschüchterungen" und zu "einer Schwächung der Justiz" gekommen, sagte Böttcher. "Es hat den Anschein, dass viele rausgeflogen sind, weil sie unabhängige Entscheidungen gefällt hatten und/oder weil man das für die Zukunft befürchtete", kritisierte der langjährige Gerichtspräsident.
Die Exekutive in Serbien habe - entgegen der erklärten Absicht und der Beteuerungen der Regierung - weiterhin starken Einfluss auf die Justiz, die sich teilweise in "vorauseilendem Gehorsam" übe, berichtete Böttcher. Die Bürger könnten "kein Vertrauen in ein Rechtssystem haben, das nicht die Unabhängigkeit der Richter achtet". "Wir bräuchten drei Tage, um aufzuzählen, was alles schlecht gemacht wurde", zitierte Böttcher die frühere Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Paris, Simone Gaboriau, die ebenfalls an dem Besuch Serbiens teilgenommen hatte.
Demgegenüber hatte die EU-Kommission Serbien Anfang März auch deshalb den Status eines Beitrittskandidaten zugesprochen, weil es große Fortschritte bei der Reform der früher korrupten und politisch gegängelten Justiz gemacht hätte. Schon im vergangenen Herbst waren EU-Experten allerdings zu einem ähnlich kritischen Urteil wie jetzt die MEDEL-Richter gekommen.
Quelle: ntv.de, jog/dpa