Politik

Orientierungshilfe für Asylbewerber So skurril ist Deutschland

Ein deutscher Beamter, wie ihn der Dresdner Zeichner Marian Meinhardt-Schönfeld sieht.

Ein deutscher Beamter, wie ihn der Dresdner Zeichner Marian Meinhardt-Schönfeld sieht.

Das sächsische Innenministerium veröffentlicht eine illustrierte Broschüre für Asylbewerber. Sie soll den Neuankömmlingen einen Einblick in deutsche Gepflogenheiten geben. Mancher Hinweis wirkt allerdings unfreiwillig komisch.

Eine Broschüre für Ausländer in Deutschland zu veröffentlichen, kann eine heikle Angelegenheit sein. Vor allem wenn sie Asylbewerbern deutsche Sitten und Moralvorstellungen verdeutlichen soll. Schnell entfachen sich Leitkulturdebatten. Im schlimmsten Fall ertönen Vorwürfe der Fremdenfeindlichkeit.

Anfang der Woche hat das sächsische Innenministerium trotzdem so eine Broschüre vorgestellt. Und prompt fragte ausgerechnet die "Bild"-Zeitung: "Werden hier nicht Klischees bedient?" Als Anstoß für eine Debatte über Fremdenfeindlichkeit nützt die "Orientierungshilfe für Asylsuchende in Sachsen" allerdings nicht. Sie liefert vielmehr einen Einblick in ein schräges deutsches Selbstbild. Und - ob gewollt oder nicht - sie erklärt eindrücklich, warum die Bundesrepublik manch einem Neuankömmling mächtig skurril vorkommen muss.

Das "höfliche" Sie

Im Kapitel "Konstruktive Zusammenarbeit mit Behörden" widmet das sächsische Innenministerium der richtigen Ansprache einen ganzen Absatz. "Die Anredeform in Behörden ist die Siezform", heißt es da. "Bitte verwenden Sie das höfliche Sie den Personen gegenüber, mit denen Sie nicht verwandt und nicht befreundet sind." Das Innenministerium erklärt auch, was zu tun ist, wenn sich der Gesprächspartner nicht daran halten sollte. "Weisen Sie Ihr Gegenüber höflich darauf hin, wenn er Sie ohne gegenseitiges Einvernehmen duzen sollte. Wenn dies zu keiner Verhaltensänderung führt, beraten Sie sich mit einer Vertrauensperson zu diesem Thema."

Ähnlich detailliert geht es im Kapitel "Wie Sie wohnen und leben" zu. Gleich zwei Illustrationen machen deutlich, warum es so wichtig ist, die Ruhezeiten einzuhalten. Zu sehen sind Alte und Kranke, Lernende und Müde.

Das bedeutsamste Thema allerdings, diesen Eindruck erweckt zumindest die Broschüre, ist die Ökologie. "Wenn Sie als letzter das Zimmer verlassen, schalten Sie bitte das Licht aus", heißt es. Selbst auf welche Stufe die Heizkörper einzustellen sind, erklärt das Papier - Stufe 2 bis 3. Besonders ins Detail geht es bei der Müllentsorgung. Gelbe, braune, blaue, schwarze Tonne, Glascontainer, Pfandflaschen, Batterien, Chemikalien - das volle Programm.

"Konstruktive Zusammenarbeit"

"Bitte haben Sie Verständnis dafür, wenn Ihr Geschenk nicht angenommen werden kann. Ihr Gegenüber weiß Ihre Geste dennoch zu schätzen."

"Bitte haben Sie Verständnis dafür, wenn Ihr Geschenk nicht angenommen werden kann. Ihr Gegenüber weiß Ihre Geste dennoch zu schätzen."

Details über Details, Regeln über Regeln - Fremdenfeindlichkeit endeckt der Leser der Broschüre nur, wenn er einen allzu flüchtigen Blick darauf wirft. Dann stechen nur die Illustrationen des Dresdener Zeichners Marian Meinhardt-Schönfeld ins Auge. Eines zeigt einen freundlich dreinblickenden Asylbewerber, der einem Beamten ein säuberlich verpacktes Geschenk zuschiebt - Schleife inklusive. Der noch freundlicher dreinblickende Beamte weist das Präsent ab. Asylbewerber gleich Bestecher?

Tatsächlich kommt die Broschüre viel zahmer daher, als es beim flüchtigen Blick darauf erscheinen mag. "Die Mitarbeiter von Behörden und anderen Einrichtungen dürfen keine Geschenke annehmen. Das wird in Deutschland hart bestraft", heißt es im Text zur Illustration. "Bitte haben Sie Verständnis dafür, wenn Ihr Geschenk nicht angenommen werden kann. Ihr Gegenüber weiß Ihre Geste dennoch zu schätzen." An vielen Punkten appelliert die Broschüre an die guten Absichten der Flüchtlinge - unabhängig davon, dass Beamtenbestechung in einigen Ländern tatsächlich so selbstverständlich ist, dass deren Unzulässigkeit in Deutschland einer Erwähnung wert wäre.

Von offener Fremdenfeindlichkeit also kann kaum die Rede sein. Vorwerfen kann man den Autoren der Broschüre schlimmstenfalls, dass die Entscheidung für illustrierende Zeichnungen ziemlich bevormundend daher kommt, ein wenig wie ein Deutschkurs für Dummies. Doch derartige Broschüren bieten deutsche Behörden auch ihren Bürgern an.

Mit Krawatte und Seitenscheitel

Für Asylbewerber bietet die Broschüre etliche nützliche Tipps für den Alltag in Deutschland. Das Papier ist inklusive Grußwort des Innenministers und Inhaltsverzeichnis allerdings nur 21 Seiten lang. Selbst manch einem Urdeutschen dürfte die Fülle an Detailsregelungen auf den paar Seiten und vor allem die Selbstverständlichkeit, mit der sie das sächsische Innenministerium präsentiert, kurios vorkommen. Auch, weil Illustrationen von deutschen Beamten mit akkuratem Seitenscheitel und Krawatte oder Behördenmitarbeitern, die im Angesicht einer Verspätung mit aufgerissenen Augen auf ihre Uhr starren, die Textpassagen auflockern sollen.

Im Grußwort des Ausländerbeauftragen Sachsens, Martin Gillo, heißt es: "Nach Ihrer Flucht sind Sie jetzt in Deutschland, genau gesagt in Sachsen. (…) Viele Dinge, die für Sie selbstverständlich waren, werden Sie hier nicht finden. Viele Dinge, die in Ihrer Heimat unwichtig waren, sind hier sehr wichtig."

Quelle: ntv.de

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