Politik

Brodeln unterdrückt Sozialismus, Spaltung und "der Josef"

"Manchmal muss man seine Gefühle bezwingen": Die Linke tat alles, um ein geschlossenes Bild zu bieten.

"Manchmal muss man seine Gefühle bezwingen": Die Linke tat alles, um ein geschlossenes Bild zu bieten.

(Foto: APN)

Um den inneren Frieden nicht zu gefährden, verzichtet die Linke auf jede größere inhaltliche Debatte. Doch unter der Oberfläche gärt es. Ausbrechen wird der Streit wohl nun erst bei der Debatte ums Parteiprogramm.

Vor der Rostocker Stadthalle steht ein rot lackierter Transporter. Darauf in großen Lettern die Kernforderungen der Linken: "Hartz IV muss weg", "Gute Arbeit - gute Löhne", "Nein zur Rente mit 67". Hätte noch "Kein Krieg in Afghanistan" und "Bändigt das Kapital" darauf gestanden, wäre alles an Programmatik erfasst, was die Linke auf ihrem Parteitag in Rostock vertreten hat. Eine inhaltliche Debatte lieferten sich die dunkelroten Genossen allerdings nicht in der Hansestadt. Das Parteitagsprogramm war äußerst straff. Zeit für Fragen an die Kandidaten? Jeweils fünf Minuten. Zeit für Anträge der Basis? Eine Stunde, ganz am Schluss, als alle schon nach Hause wollten. Manch Delegierter schaute da etwas dumm aus der Wäsche. Dabei hatte selbst der scheidende Parteivorsitzende Oskar Lafontaine lautstark nach mehr Mitglieder- und Volksentscheiden gerufen.

Ende einer Ära: Bisky und Lafontaine treten ab als Parteichefs.

Ende einer Ära: Bisky und Lafontaine treten ab als Parteichefs.

(Foto: dpa)

Einer, der Lafontaines Forderung ernst genommen hatte, war "der Josef". Der 58-Jährige kam mit seinem Wahlkampfmobil auf die Bühne: ein Bollerwagen mit Blechtrommel und Sonnenschirm. Damit gewinne er in Schaumburg neue Mitglieder, erklärte Heinz Josef Weich, der als einziger Gegenkandidat um den Parteivorsitz kandidierte. Aber nicht, um zu gewinnen, sondern "um 10 Minuten Redezeit zu haben" und über die Mühen des Wahlkampfes und die Probleme der Basis mit der Führung zu berichten. Die Parteispitze habe versucht, ihn von der Kandidatur abzubringen. "Stellt Euch mal vor, Ihr wählt mich zum Vorsitzenden, und die wollen nicht mit mir reden", rief er den Delegierten zu. Das klang zwar lustig, war dem Mann aber sichtlich eine Herzenssache. Nach den zehn hart erkämpften Minuten erntete der Mathematik-Lehrer donnernden Applaus für seinen Auftritt.

Lafontaine bleibt unkonkret

Solche Ausflüge in den linken Oppositionsgeist blieben allerdings die Ausnahme Rostock. Der Parteitag stand ganz im Zeichen des Führungswechsels. Oskar Lafontaine und Lothar Bisky legten ihre Ämter nieder, Gesine Lötzsch und Klaus Ernst wurden zur neuen Doppelspitze gewählt. Lafontaine lieferte mit seiner Abschiedsrede eine erstaunlich radikale Interpretation des "demokratischen Sozialismus", wie ihn sich die Linke wünscht. Großbanken und Energieversorger müssten verstaatlicht werden, Betriebe gehörten zumindest zum Teil in die Hände der Arbeiter und Angestellten, Europa brauche eine einheitliche Wirtschaftspolitik, um den "entfesselten Finanzkapitalismus" endlich zu bändigen. Dieser, so Lafontaine im Interview mit n-tv.de, führe nur zu Unglück und Zerstörung. Die einzige Antwort auf die Finanzkrise sei daher die Linke. Zumindest für seine Anhänger im Saal eine überzeugende Argumentation.

Lafontaine blieb so grundsätzlich, dass sich niemand angegriffen fühlen musste. Er sagte den Delegierten aus dem Westen nicht, dass sie sich entradikalisieren und besser organisieren müssen, wollen sie irgendwann mitregieren. Und er sagte den Delegierten aus dem Osten nicht, dass dort, wo sie mitregieren, immer noch keine sozialistischen Wunderländer entstanden sind. Lafontaine verzichtete auch darauf, der neuen Parteispitze ins Aufgabenbuch zu schreiben, mit der SPD besser klar zu kommen. Dabei hat der Saarländer längst begriffen: Wer es ernst meint mit der Gestaltung linker Politik, der kommt an der SPD nicht vorbei.

Gysi spricht es an

Gysi sprach die Parteiprobleme an, beließ es aber bei Appellen.

Gysi sprach die Parteiprobleme an, beließ es aber bei Appellen.

(Foto: APN)

Gregor Gysi war es, der am zweiten Tag zumindest die heiklen Themen Spaltung und Strömungen ansprach – und betätigte sich somit einmal mehr als Ausputzer. Er nutzte die Redezeit, die er eigentlich für einen Bericht über die Arbeit seiner Bundestagsfraktion hatte, um an das Gemeinschaftsgefühl der Partei zu appellieren. Es müsse ausschließlich darum gehen, linke Inhalte umzusetzen. Natürlich seien Visionen dabei erlaubt, aber es gebe eben auch einen Kampf im Hier und Jetzt, so Gysi. Gegenüber der SPD zog er dabei "rote Linien", die nicht übertreten werden dürften. Hartz IV, Afghanistan, Steuersenkungen und Rentenkürzungen seien alles "gravierende Fehlentscheidungen" der Sozialdemokraten gewesen. "Wenn sie so weitermachen wollen, kann es keine gemeinsame Regierung geben."

Draußen, vor der Tür, in der Nähe des roten Busses, wurden die Reden ohne großes Erstaunen aufgenommen. Etwas Neues habe man nicht gehört, hieß es in der Raucherecke. "Alles so Standard", murmelte jemand mit einem Che-Guevara-Button an der Baskenmütze. Aber der Grund dafür sei eben, dass die Partei in Rostock Frieden haben wolle. Ein Krieg könne die neue Doppelspitze direkt am Anfang ins Desaster führen.

Watschn für Ernst

Blieben noch ein wenig stumm: Die neue Parteichefs Lötzsch und Ernst.

Blieben noch ein wenig stumm: Die neue Parteichefs Lötzsch und Ernst.

(Foto: dpa)

Krieg ist sicher ein zu großes Wort für das, was da brodelt. Aber klar ist: Die Partei bleibt nach dem Rostocker Treffen gespalten. West gegen Ost, Fundamentalisten gegen Realisten - ganz grob gesagt. Das macht auch das Wahlergebnis für die neuen Parteivorsitzenden klar. Lötzsch - bedacht auf Ausgleich, freundlich und clever - bekam fast 93 Prozent Zustimmung. Dagegen erntete der Bayer Ernst - polterig und laut, fundamentalistisch und nicht sehr beliebt im "Ost-Block" - nur rund 75 Prozent. Als Parteivorsitzender kann man besser starten. "Manchmal muss man seine Gefühle bezwingen", erklärt eine Delegierte. Ernst sei nicht ihr Traumkandidat und auch nicht sympathisch, gewählt habe sie ihn trotzdem. Die Partei müsse eben zusammenstehen. Doch ob dieser Burgfrieden bei der erstbesten Programm-Diskussion wieder zerbricht, steht auf einem anderen Blatt. Anfällig für innere Zerreißproben ist und bleibt die Linke jedenfalls. Gerade wegen des Erfolges, den sie hat - und der alle hungrig macht.

Vielleicht war das auch der Grund, warum die beiden Neuen an der Spitze nach ihrer Berufung weder einzeln noch gemeinsam eine Rede an ihre Partei hielten. Sie bewarben sich, wurden gewählt - und verschwanden wieder. Und so war zunächst das einzige Wort, das die Linke von ihren neuen Chefs hörte, ein leises "Ja" auf die Frage, ob sie denn die Wahl annähmen.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen