Dutzende ETA-Terroristen sollen freikommen Spanier protestieren gegen Straßburger Urteil
27.10.2013, 15:40 UhrNach einem Urteil aus Straßburg muss Spanien möglicherweise Dutzende ETA-Terroristen und Schwerverbrecher auf freien Fuß setzen. Das wollen vor allem die Hinterbliebenen der mehr als 800 Todesopfer der ETA nicht hinnehmen. In Madrid machen sie ihrem Ärger Luft.
Zehntausende Menschen haben in Madrid gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) protestiert, nach dem Spanien Dutzende von inhaftierten Terroristen der Untergrundbewegung ETA auf freien Fuß setzen muss. An der Kundgebung auf der Plaza Colón im Zentrum der spanischen Hauptstadt nahmen nach Angaben der Organisatoren der "Vereinigung der Opfer des Terrorismus" (AVT) rund 200.000 Menschen teil. In den vergangenen Tagen wurden bereits zwei ETA-Terroristen freigelassen.
"Wir wollen nur Gerechtigkeit, keine Rache. Aber man macht sich über uns lustig. Unser Klageschrei muss bis nach Straßburg (dem Sitz des EGMR) durchdringen", sagte in ihrer Rede AVT-Präsidentin Ángeles Pedraza. Sie sprach den Verdacht aus, man wolle "die Opfer zum Schweigen bringen" und damit einen Trumpf bei den Verhandlungen mit ETA haben. "Aber wir werden nicht schweigen bis die Terroristen endgültig, komplett und total besiegt sind", rief Pedraza. An der Kundgebung nahmen unter anderem auch ranghohe Politiker der konservativen Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy teil.
Rajoy kritisiert Urteil als "ungerecht"
Nach dem jüngsten Urteil des EGMR muss die spanische Justiz möglicherweise bald mehr als 60 ETA-Terroristen und Schwerverbrecher aus der Haft entlassen, deren Fälle ähnlich gelagert sind. Gegen das Urteil ist keine Berufung möglich. Die Mitgliedsstaaten der Konvention sind verpflichtet, die Urteile zu befolgen. Aber auch Rajoy kritisierte das Urteil als "falsch" und "ungerecht".
Als erste war Inés del Río am Dienstag auf Anordnung des Nationalen Gerichtshofs aus der Haft in La Coruña entlassen worden. Die heute 55-Jährige hatte einer Terrorzelle der ETA in Madrid angehört, die in den 1980er Jahren die Bewohner der spanischen Hauptstadt mit einer Serie blutiger Anschläge in Angst und Schrecken versetzt hatte. Sie wurde wegen 23 Morden zu mehr als 3800 Jahren Haft verurteilt.
Nach Verbüßung der Höchstzeit von 30 Jahren und unter Berücksichtigung von Vergünstigungen hätte del Río schon 2008 freigelassen werden sollen. Ihre Entlassung wurde damals jedoch nach einer 2006 geänderten Verwaltungspraxis, der sogenannten Parot-Doktrin, auf 2017 verschoben. Diese nachträgliche Änderung ist nach Ansicht des EGMR ein Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention.
Nach del Río wurde am Freitag auch der ETA-Angehörige José Manuel Piriz in Algeciras freigelassen. Im Rahmen der Aufhebung der Parot-Doktrin verließ auch ein Serienvergewaltiger das Gefängnis. Der Nationale Gerichtshof teilte mit, man werde ab dem 8. November jeden Freitag Dutzende Fälle analysieren. Medien schätzen, dass rund 60 ETA-Terroristen und Schwerverbrecher in nächster Zeit freigelassen werden müssten und 76 weitere in den kommenden Jahren.
Die ETA wurde 1959 als Widerstandsbewegung gegen die Franco-Diktatur gegründet und bekämpfte den spanischen Staat auch nach der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1975 mit dem Ziel eines unabhängigen Staates im Baskenland weiter. Bei ETA-Anschlägen wurden mehr als 800 Menschen getötet. Im Oktober 2011 hatte die Organisation zwar die "definitive Beendigung" ihres bewaffneten Kampfes verkündet. Sie gab jedoch bisher weder die Waffen ab noch löste sie ihre Strukturen im Untergrund auf. Madrid behauptet, ETA befinde sich in der "Endphase".
Quelle: ntv.de