Plädoyer im Demjanjuk-Prozess Staatsanwalt fordert sechs Jahre
22.03.2011, 13:16 UhrIm Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher Demjanjuk plädiert die Staatsanwaltschaft nach 16-monatiger Verhandlung für sechs Jahre Haft. Die Anklage wirft ihm Beihilfe zum Mord an 27.900 Juden vor.

Demjanjuk ist 90 Jahre alt.
(Foto: REUTERS)
Die Staatsanwaltschaft hat für den mutmaßlichen KZ-Wachmann John Demjanjuk sechs Jahre Haft wegen Beihilfe zum tausendfachen Mord an Juden verlangt. Der heute 90-Jährige sei von März bis September 1943 als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor an der Ermordung von mindestens 27 900 Menschen beteiligt gewesen, sagte Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz vor dem Landgericht München II. "Wer Schuld in derart hohem Maß auf sich geladen hat, muss bestraft werden, auch noch nach 60 Jahren und in so hohem Alter."
Der gebürtige Ukrainer Demjanjuk habe aus niederen Beweggründen an einer grausamen Tötungsart teilgenommen und auch heimtückisch gehandelt. "Der Angeklagte hätte sich dem deutschen Dienst entziehen können", sagte der Staatsanwalt. Es habe viele solcher Fluchtversuche von Kriegsgefangenen gegeben. Demjanjuk habe dagegen freiwillig und aus Überzeugung an der Vernichtung von Juden teilgenommen. Je größer das Verbrechen, desto mehr müsse man sich anstrengen, nicht daran beteiligt zu sein - auch wenn es Risiken bei der Flucht gegeben hätte. Das Mitmachen sei der bequemste Weg gewesen, so Lutz.
Der einst meistgesuchte Kriegsverbrecher war im Mai 2009 von den USA ausgeliefert worden und sitzt seitdem in München in Untersuchungshaft. Ihm wird Beihilfe zum Mord an mindestens 27.900 Menschen zur Last gelegt. Als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor im heutigen Polen soll er 1943, mit einem Gewehr bewaffnet, Männer, Frauen und Kinder, die vor allem aus den Niederlanden dorthin gebracht wurden, in die Gaskammern getrieben haben. Er habe aus rassenideologischen Gründen bereitwillig den Nazis geholfen. In Sobibor, wo laut Anklage insgesamt mindestens 250.000 Personen umgebracht wurden, dienten etwa 20 bis 30 SS-Männer und bis zu 150 sogenannte Trawniki-Wachmänner, überwiegend ukrainische Kriegsgefangene wie Demjanjuk.
"Kein Raum für Verschwörungstheorien"
Staatsanwalt Lutz führte als Beweis den Dienstausweis Demjanjuks mit der Nummer 1393 an, damals noch unter seinem eigentlichen Vornamen Iwan. Die Verteidigung hält das Dokument für eine Fälschung. Lutz sagte, zudem gebe es eine Liste nach Sobibor abgestellter Wächter, auf denen Demjanjuk auftauche, und Zeugenaussagen, dass er 1943 in dem Lager gewesen sei. Das Bild zeige Gutachtern zufolge den Angeklagten, obwohl sich dieser naturgemäß in den Jahrzehnten seit dem Krieg äußerlich stark verändert habe.
All dies lasse keinen Raum für die Verschwörungstheorien, die Lutz der Verteidigung unterstellt. Diese hatte im vermutlich letzten großen Prozess um Nazi-Verbrechen unter anderem auf russische Akten verwiesen, die die Unschuld Demjanjuks belegen könnten, im Prozess aber nicht verwendet wurden. "Es besteht kein vernünftiger Zweifel", erwiderte Lutz. Ein Einsatz des Angeklagten in einem anderen Lager sei nicht ersichtlich.
Demjanjuk, der den schon 16 Monate andauernden Prozess von einem Bett im Gerichtssaal aus verfolgt, bestreitet die Taten. Er sieht sich selbst als Opfer der Nazis, denen er dienen musste, um nicht selbst getötet zu werden. Die Verteidigung betont, dass keine konkreten Beweise für die Taten vorliegen.
Quelle: ntv.de, dpa/rts