Kanzlerkandidat verteidigt Ost-Fehltritt Steinbrück bleibt stur
06.08.2013, 18:37 Uhr
Krawalle ohne Rücksicht auf Verluste? Peer Steinbrück will am 22. September Angela Merkel im Kanzleramt ablösen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Haben Ostdeutsche ein Europa-Defizit? Weniger als zwei Monate vor der Wahl schaltet Peer Steinbrück auf Angriff. Die Aufregung über seine Äußerungen zur DDR-Sozialisation der Kanzlerin weist er brüsk zurück.
Der Osten Deutschlands ist nicht ungefährlich, das sollte man als Kanzlerkandidat eigentlich wissen. Als Lehre dient wohl vor allem das Beispiel Edmund Stoiber. Im Sommer 2002, der Bayer führte die Union gerade in den Bundestagswahlkampf, hagelte es plötzlich heftige Kritik. Weil Stoiber sich kräftig im Ton vergriffen hatte. Er wolle nicht, dass "erneut der Osten bestimmt, wer in Deutschland Kanzler wird", sagte er damals. Es dürfe schließlich nicht sein, "dass letztlich die Frustrierten über das Schicksal Deutschlands entscheiden dürfen". In den neuen Ländern hielt sich die Begeisterung über diese Sätze in Grenzen.
Elf Jahre später hat Peer Steinbrück die Ostdeutschen zwar nicht beleidigt, aber Ärger hat er trotzdem. Gegenüber dem Tagesspiegel hatte der SPD-Kanzlerkandidat am Wochenende erklärt, Kanzlerin Angela Merkel fehle es an Leidenschaft für Europa, weil sie in Ostdeutschland aufgewachsen sei. Sie habe eine "ganz andere politische Sozialisation erlebt" als die Menschen, die die europäische Integration schon seit Anfang der 50er erlebt hätten. Was folgte, war ein Aufschrei. Wie kann man so etwas nur sagen, wenn man Kanzler werden will?
Steinbrück kann die Aufregung über seine Bemerkungen offenbar nicht nachvollziehen. Der SPD-Kanzlerkandidat verteidigt seinen Kritik an der Europapolitik der Kanzlerin sogar. "Frau Merkel ist dabei, das europapolitische Erbe von Helmut Kohl zu verspielen", sagte er. Man dürfte "nicht wieder in künstliche Erregungszustände verfallen", so lautet Steinbrücks Empfehlung. Die Äußerungen über Merkel seien außerdem aus dem Kontext gerissen und nicht neu.
Steinbrück "kein Europäer"
Tatsächlich äußert sich Steinbrück nicht zum ersten Mal über das vermeintliche Europa-Defizit der Kanzlerin. In dem Interviewbuch "Zug um Zug", das er 2011 gemeinsam mit Helmut Schmidt veröffentlich hatte, diskutieren die beiden darüber, warum die Kanzlerin noch nie eine wirklich leidenschaftliche Europa-Rede gehalten habe. Von Altkanzler Schmidt heißt es in dem Buch: "Diese Rede kann sie deswegen nicht halten, weil die Leidenschaft für Europa ihr nicht innewohnt." Steinbrück stimmt zu: "Richtig. Und es ist eine spannende Frage, ob sie ihr deshalb nicht innewohnt, weil sie in der DDR sozialisiert worden ist und ihr das Projekt Europa daher vielleicht ferner steht als einem westdeutschen Politiker, der das immer verfolgt und sogar aktiv betrieben hat."
Ob er auf diese Frage inzwischen eine Antwort habe, das wollte der "Tagesspiegel" am Wochenende von Steinbrück wissen. "Ich halte daran fest", erwiderte dieser, das spiele in seinen Augen wohl eine Rolle. Die CDU jedenfalls nimmt die vermeintliche Stielvorlage sieben Wochen vor der Wahl dankbar auf. "Steinbrücks Aussage ist einfach nur albern. Wenn jemand Europa in der Krise zusammengehalten hat, dann war es die Kanzlerin", sagte CDU-Fraktionschef Volker Kauder. Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht attestierte Steinbrück, die Menschen aus den neuen Bundesländern nicht richtig zu kennen und ihre Geschichte nicht ernst zu nehmen.
Kritik erntete der Kanzlerkandidat auch von Helmuth Markov, dem stellvertretenden brandenburgischen Regierungschef und Finanzminister. "Ihr die Herkunft vorzuwerfen, ist primitiv", sagte er dem Tagesspiegel. Wer 23 Jahre nach der Wende so etwas sagen würde wie Steinbrück, "der ist selbst kein Europäer", so der Linken-Politiker.
Quelle: ntv.de, mit dpa