Politik

Deutschland in der Schuldenfalle Steuerplus hilft nicht

Jeder Bürger schleppt rechnerisch 22.000 Euro Staatsschulden auf seinen Schultern.

Jeder Bürger schleppt rechnerisch 22.000 Euro Staatsschulden auf seinen Schultern.

(Foto: dpa)

Die erwarteten Steuermehreinnahmen lösen in der Politik einmal mehr den Reflex aus, über Steuersenkungen nachzudenken. Experten warnen. Denn auch Deutschlands Schuldenberg könnte bedrohliche Ausmaße annehmen.

Der Wirtschaftsaufschwung ist in den Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden angekommen. Das ist die gute Nachricht der neuen Steuerschätzung, die dem Staat bis 2012 insgesamt 61 Milliarden Euro höhere Einnahmen vorhersagt als bisher erwartet. Die schlechte Nachricht: Ein paar gute Jahre ändern nichts daran, dass die öffentlichen Etats seit Jahrzehnten dramatisch unterfinanziert sind. Bisher haben immer neue Kredite dieses Strukturproblem verdeckt. Ewig kann das nicht weitergehen, denn der Schuldenberg nimmt sonst auch in Deutschland bedrohliche Dimensionen an, wie Experten warnen.

Wegen der "Großen Rezession" der Weltwirtschaft in Folge der Finanzkrise bewegt sich die deutsche Staatsverschuldung in Windeseile auf die Zwei-Billionen-Euro-Marke zu. Das bedeutet, jeder Bürger, vom Säugling bis zum Greis, schleppt rechnerisch 22.000 Euro Staatsschulden auf seinen Schultern. Alleine die Bundesregierung gibt jedes Jahr fast 40 Milliarden Euro für Zinsen aus - bei Gesamtausgaben von gut 300 Milliarden Euro ist das nach den Sozialaufwendungen der zweitgrößte Budget-Posten.

"Die Zinszahlungen verringern zusehends den Spielraum für Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung", warnt etwa Michael Bräuninger vom Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Institut. Statt in die Modernisierung von Schulen und Universitäten fließt das Geld in die Taschen der Banken, die Staatsanleihen kaufen.

Immer mehr Geld ausgegeben

Davon spüren die Bürger in ihrem Alltag allerdings - noch - wenig. Gerade deshalb fällt es der Politik schwer umzusteuern. Im Gegenteil: In nur 20 Jahren hat sich die Verschuldungsquote - das Verhältnis zwischen Schulden und Bruttoinlandsprodukt - von 40 auf 80 Prozent verdoppelt. Wie eine Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung (IW) weiter darlegt, ist die deutsche Wirtschaftsleistung seit 1970 um 560 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum stiegen die staatlichen Ausgaben aber um mehr als 1000 Prozent. In 39 der vergangenen 47 Jahre wuchsen die Steuereinnahmen. Diese wurden aber nicht zur Reduzierung der Staatsschulden verwendet. Stattdessen wurde immer mehr Geld ausgegeben, und zwar von Regierungen aller politischer Couleur.

Lediglich vor der Finanz- und Wirtschaftskrise war es der großen Koalition nahezu gelungen, ihren Etat auszugleichen. Die dann einbrechenden Steuereinnahmen und die Programme zur Stützung von Konjunktur und Banken ließen die Schulden wieder explodieren. In diesem Jahr muss sich der Bund voraussichtlich gut 50 Milliarden Euro frisches Geld von seinen Anleihegläubigern pumpen, um sein Haushaltsloch zu stopfen. Das sind dank des unerwartet starken Aufschwungs zwar 30 Milliarden Euro weniger als befürchtet. Trotzdem ist das ein neues bundesdeutsches Rekorddefizit.

Negatives Szenario: ab 2013 im kritischen Bereich

Wohin eine ausufernde Staatsverschuldung führen kann, haben im Frühjahr die Refinanzierungsprobleme Griechenlands gezeigt, die auch den Euro in Turbulenzen gestürzt haben. Wenn ein Staat nicht irgendwann glaubhaft das Ruder herumreißt, verlieren die Anleihenkäufer das Vertrauen und verlangen höhere Risikoprämien. Irgendwann kann der Staat nicht mehr zu für ihn akzeptablen Konditionen neue Kredite am globalen Kapitalmarkt besorgen.

Von griechischen Verhältnissen ist Deutschland zwar noch weit entfernt, aber nicht so weit wie manche Politiker gerne glauben machen. Nach Berechnungen der Ratingagentur Moody's liegt die Zinsquote - das Verhältnis der Zinszahlungen zu den staatlichen Einnahmen - in Deutschland derzeit bei 6,5 Prozent. Ab einer Quote von zehn Prozent wird es aus Sicht von Moody's für Investoren kritisch. In einem negativen Szenario ohne einen Politikwechsel, der zu Einsparungen führt, würde Deutschland Moody's zufolge schon 2013 in den kritischen Bereich kommen.

Steuersenkungsreflex passt nicht ins Bild

Die Wende soll die neue Schuldenbremse im Grundgesetz bringen. Bis 2016 muss der Bund sein strukturelles Defizit auf 0,35 Prozent des BIP verringern - rund neun Milliarden Euro. Die Bundesländer dürfen in normalen Zeiten ab 2020 überhaupt keine neue Schulden mehr machen. Wenn es dadurch gelingt, die Neuverschuldung dauerhaft unter dem BIP-Zuwachs zu halten, wird der Schuldenberg - relativ betrachtet - über die Jahre kleiner.

"Wir können wieder zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen", zeigt sich Bräuninger gewiss. Nicht in dieses Bild passt dabei allerdings der bereits in der Koalition wieder ausgelöste und früher weit verbreitete politische Reflex, bei einer brummenden Konjunktur Steuern zu senken und das strukturelle Missverhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben weiter aufzureißen. "Wann ein Spielraum für eine große Steuerreform ohne Kompensation da sein wird, ist nicht absehbar", enttäuscht Bräuninger solche Wünsche.

Quelle: ntv.de, Matthias Sobolewski, rts

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