Politik

Chemiewaffen seit Erstem Weltkrieg verpönt Syrien bricht internationales Tabu

Ein UN-Gesandter nimmt Proben, um einen möglichen Giftgaseinsatz zu prüfen.

Ein UN-Gesandter nimmt Proben, um einen möglichen Giftgaseinsatz zu prüfen.

(Foto: dpa)

Der Verdacht verhärtet sich: Syrien soll Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt haben. Seit dem Ersten Weltkrieg sind chemische Waffen tabuisiert. 1993 unterzeichneten viele Nationen, ausgenommen Syrien, eine Chemiewaffenkonvention, die den Einsatz solcher Waffen verbietet.

Der Einsatz von Chemiewaffen in militärischen Konflikten, wie er mutmaßlich in Syrien erfolgte, ist seit langem international ein Tabu. Vor allem das Trauma des Ersten Weltkrieges, in dem chemische Kampfstoffe unsägliches Leid verursachten, hat sich tief in das kollektive internationale Gedächtnis eingegraben. Dies sei der "erste moderne Chemiewaffen-Krieg" gewesen und bleibe "die Mutter aller Chemie-Kriege", sagt der Chemiewaffen-Experte Olivier Lepick von der Stiftung für strategische Studien (FRS) in Paris.

Im April 1915 setzte die deutsche Armee erstmals bei Ypern in Belgien über den feindlichen Linien Chlorgas frei. 15.000 Soldaten starben damals. "Der erste Einsatz durch die Deutschen an der Front wurde sofort als Kriegsverbrechen empfunden", sagt die Historikerin und Expertin für den Ersten Weltkrieg, Annette Becker. Doch trotz der Empörung setzte wenig später auch die Gegenseite chemische Kampfstoffe ein. Das berüchtigte Senfgas blieb ebenfalls lange grausig in Erinnerung.

Assads Giftgasarsenal

Syriens Herrscher Baschar al-Assad soll internationalen Experten zufolge über hunderte Tonnen Giftgas verfügen. Sein Arsenal könnte aus diversen Chemiewaffen bestehen:

Sarin wurde 1938 von deutschen Chemikern der IG-Farben entwickelt. Es ist hochwirksam, schon kleinste Mengen wirken tödlich. Es kann über die Haut oder Atmung aufgenommen werden und dann zur vollständigen Lähmung führen. Da es weder riecht noch sichtbar ist, lassen sich Wasser und Nahrung damit leicht vergiften.

Das Nervengas VX ist eine farblose bis gelbliche Flüssigkeit, die über die Augen und die Atemwege in den Körper eindringt. Schon die geringsten Mengen führen zur Lähmung der Atemmuskulatur und zum Tod.

Senfgas wurde von einem Franzosen bereits im Jahr 1854 entwickelt, deutsche Truppen setzten es im Ersten Weltkrieg ein. Das Gas, das über die Haut eindringt, führt zu entstellenden Verletzungen und war lange Zeit eine der am meisten gefürchteten Waffen.

  "Viele Franzosen haben in ihren Familien Erzählungen über einen Großvater gehört, der in Verdun vergast wurde und entweder daran starb oder davon Folgeschäden davontrug", sagt Lepick. Und Becker fügt hinzu, dass die chemischen Kampfstoffe als die großen Todeswaffen des Ersten Weltkrieges angesehen wurden, "wenngleich sie einige zehntausend Tode verursachten im Vergleich zu den Millionen Soldaten, die durch Granaten oder Kugeln ums Leben kamen." Nach 1918 sei es daher ein zentrales Ziel gewesen, diese Kampfstoffe abzuschaffen.

Syrien verweigert Chemiewaffenkonvention

Das Ergebnis war zunächst das Genfer Protokoll von 1925, das den Einsatz chemischer und biologischer Waffen untersagte, nicht aber deren Entwicklung. Erst nach dem Einsatz von Chemiewaffen durch den Irak in den 1980er Jahren gegen den Iran wurde 1993 die Konvention von Paris unterzeichnet mit dem völligen Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und dem Einsatz von Chemiewaffen. Syrien ist neben Nordkorea eines der wenigen Länder, das die Chemiewaffenkonvention nie unterzeichnete.

Im syrischen Bürgerkrieg sind zwar bereits mehr als 100.000 Menschen ums Leben gekommen, doch erst der mutmaßliche Chemiewaffen-Einsatz vom 21. August mit mehreren hundert Toten führte nun dazu, dass westliche Länder ein militärisches Eingreifen in den Konflikt vorbereiten.

"Starke psychologische Dimension"

"Das zeigt die sehr besondere Stellung von Chemiewaffen im gesamten Waffenarsenal", sagt Lepick. "Es gibt eine starke psychologische Dimension. Die Menschen verbinden Chemiewaffen mit einem schmerzhaften Tod durch Erstickung und Atemnot." Zudem würden ohne Ansehen des Gegenübers sowohl Zivilisten wie Militärs getroffen.

Auch der Luftwaffenoffizier Emmanuel Goffi, der internationales Recht unterrichtet, erinnert daran, dass diejenigen Waffen international verboten sind, die "unnötiges Leid" verursachen, darunter auch Tretminen und Streubomben. Aber mehr noch als das internationale Recht sind es moralische Prinzipien und die Angst vor einem Domino-Effekt, die heute von den USA im Falle Syriens vorgebracht werden.

Die "rote Linie", die von US-Präsident Barack Obama bereits im vergangenen Jahr gezogen wurde, bedeute auch "zwischen den Zeilen, dass ihr ohne Sorge mit konventionellen Waffen töten könnt", sagt Lepick und fügt hinzu: "Aus moralischer und diplomatischer Sicht ist das eine unverständliche Haltung."

Quelle: ntv.de, Fabrice Randoux, AFP

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