Politik

Viele Tote nach Abzug der Beobachter Syrien rutscht in den Bürgerkrieg

Die Kämpfe machen auch vor Damaskus nicht mehr halt - in einem Vorort der Hauptstadt steigt Rauch auf.

Die Kämpfe machen auch vor Damaskus nicht mehr halt - in einem Vorort der Hauptstadt steigt Rauch auf.

(Foto: REUTERS)

Die arabischen Beobachter sind weg - und das syrische Regime schlägt zu. Von einer wahren Strafkampagne gegen die Opposition ist die Rede. Deserteure liefern sich derweil heftige Gefechte mit der Armee. Insgesamt sollen 66 Menschen getötet worden sein. Eine Reaktion des UN-Sicherheitsrates ist nicht zu erwarten - Russland hält weiter zu Assad.

Einen Tag nach dem hat sich die Gewalt in Syrien massiv verschärft. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden allein am Sonntag 66 Menschen beim gewaltsamen Vorgehen der Sicherheitskräfte und bei heftigen Gefechten getötet, unter ihnen 26 Zivilisten. Kämpfende Deserteure sprachen von den schwersten Gefechten seit Beginn der Proteste in Syrien.

Die bewaffneten Gegner des Regimes wagten sogar Angriffe in Damaskus und eroberten Gebiete in der Provinz. Jetzt warten beide Seiten auf eine Reaktion des in dieser Frage zerstrittenen UN-Sicherheitsrats. Nach UN-Schätzungen wurden seit Beginn der Massenproteste in Syrien Mitte März mehr als 5600 Menschen getötet.

Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle geht die Staatsmacht seit dem vorläufigen Stopp der Beobachtermission am Samstag wieder mit aller Härte gegen ihre Gegner vor. In den Provinzen Idleb im Nordwesten des Landes, in Deraa im Süden sowie in den Protesthochburgen Homs und Hama seien 26 Zivilisten getötet worden. Bei Gefechten und Angriffen seien zudem neun Deserteure, 26 Soldaten sowie fünf Angehörige der syrischen Sicherheitskräfte umgekommen.

Deserteure erhalten täglich Zulauf

Kommandeur Mahr Nueimi von der aufständischen Freien Syrischen Armee, die nach eigenen Angaben inzwischen rund 40.000 Soldaten zählt, und der Chef der in London ansässigen Beobachterstelle, Rami Abdel Rahman, berichteten übereinstimmend von schweren Gefechten nur wenige Kilometer vor der Hauptstadt Damaskus. Nach ihren Angaben waren es die heftigsten Auseinandersetzungen seit Beginn der Proteste gegen Präsident Baschar al-Assad vor mehr als zehn Monaten. Nach Angaben der Opposition griffen Deserteure zudem mitten in Damaskus eine Zentrale des Geheimdienstes der syrischen Luftwaffe an. Fahnenflüchtige Soldaten sollen zudem über einige Gebiete der Unruheprovinz Homs die Kontrolle übernommen haben.

Dieses Bild soll die Beerdigung eines Assad-Gegners in einem Vorort von Damaskus zeigen.

Dieses Bild soll die Beerdigung eines Assad-Gegners in einem Vorort von Damaskus zeigen.

(Foto: AP)

Laut Nueimi, der sich in der Türkei aufhält, ging die Armee zudem mit schwerer Artillerie gegen mehrere Orte der Provinz Damaskus vor. Vor allem die Einwohner der Stadt Rankus seien einer regelrechten Strafkampagne ausgesetzt, weil sie desertierten Soldaten Unterschlupf gewährt hätten. Ein Aktivist berichtete aus Rankus, die Armee habe die Stadt eingekesselt. Heckenschützen hätten sich auf Häuserdächern verschanzt und zielten wahllos auf Passanten.

Nach Angaben Nueimis erhält die Freie Syrische Armee täglich neuen Zulauf von Deserteuren. Nach Angaben der oppositionellen syrischen Muslimbruderschaft lief in der Provinz Damaskus-Land ein hochrangiger Offizier zusammen mit 300 Soldaten seiner Einheit zu den Regimegegnern über. Von unabhängiger Seite lassen sich die Angaben nicht überprüfen. Nach Angaben eines Vertreters des Rebellenrats in Hama werfen die Sicherheitskräfte dort zur Einschüchterung der Menschen inzwischen täglich Leichen mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen auf die Straße.

"Ein so nützliches Instrument"

Angesichts der anhaltenden Gewaltexzesse hatte die Arabische Liga am Samstag ihre Beobachtermission in dem Land ausgesetzt. Der Generalsekretär des Staatenbundes, Nabil al-Arabi, machte Damaskus dafür verantwortlich. Die syrische Regierung habe sich für eine "Eskalation" der Gewalt entschieden. Die Entsendung der Beobachter war bei Assads Gegnern von Anfang an umstritten. Der Einsatz verzögere ein internationales Eingreifen zum Schutz der Bevölkerung und könne die Gewalt nicht beenden, hieß es damals.

Die arabischen Beobachter wurden immer wieder in ihrer Arbeit behindert.

Die arabischen Beobachter wurden immer wieder in ihrer Arbeit behindert.

(Foto: dpa)

Die syrische Regierung zeigte sich überrascht. Sie warf Al-Arabi vor, vor seinem Auftritt im UN-Sicherheitsrat am Montag den Druck für ein Eingreifen in Syrien erhöhen zu wollen. Außerdem ermutige der Abbruch der Mission die bewaffneten Gruppen im Land zu weiterer Gewalt. Auch die UN-Vetomacht Russland äußerte Unverständnis über den Schritt der Arabischen Liga. "Uns ist unklar, warum auf diese Weise mit einem so nützlichen Instrument umgegangen wird", sagte Außenminister Sergej Lawrow nach Angaben der Agentur Interfax. Äußerungen, die Mission habe nichts zustande gebracht, seien "verantwortungslos".

Hotel nicht mehr verlassen

Wie die Nachrichtenagentur dpa aus dem Umfeld der Beobachter erfuhr, hatten sich die Teams wegen der Fortdauer der Gewalt geweigert, weiterzuarbeiten. Die meisten Delegierten verließen demnach schon Freitag und Samstag nicht mehr ihre Hotels in Damaskus und warteten auf den Abzugsbeschluss. Der Leiter der Beobachtermission, Mohammed al-Dabi, beklagte eine dramatische Zuspitzung der Lage. In den drei Tagen vor der Entscheidung seien bei Zusammenstößen zwischen Regierungstruppen und Opposition mehr als 200 Menschen ums Leben gekommen.

Die 165 Beobachter der Arabischen Liga waren Ende Dezember nach Syrien geschickt worden, um die Umsetzung eines Plans zur Beilegung der Krise zu überwachen. Sie waren in ihrer Arbeit jedoch massiv behindert und teilweise selbst angegriffen worden.

Die europäischen und arabischen Länder, die zunächst mit ihrem Vorstoß für eine Resolution im Sicherheitsrat gescheitert waren, wollen den Entwurf nun vor dem Hintergrund des Abbruchs der Mission überarbeiten. Der Text solle nun "auf den neuesten Stand" gebracht werden, sagte ein Sprecher der britischen UN-Delegation. Russland hatte den letzten Resolutionsentwurf, den Marokko eingebracht hatte, bereits am Freitag als "inakzeptabel" zurückgewiesen.

Zum Auftakt seiner Nahost-Reise rief derweil Außenminister Guido Westerwelle den UN-Sicherheitsrat zur Einigkeit in der Syrien-Frage auf. "Wir brauchen ein starkes Signal für ein Ende der Gewalt und den Übergang zur Demokratie", sagte er in der jordanischen Hauptstadt Amman nach einem Treffen mit seinem Kollegen Nasser Dschudeh. Eine Resolution dürfe nicht länger gegen den Willen der Arabischen Liga blockiert werden. Mit seinem Appell richtete sich Westerwelle vor allem an Russland. Jordanien ist die erste Station einer fünftägigen Nahost-Reise Westerwelles.

Neben Al-Arabi will auch der Syrienbeauftragte der Organisation, Katars Regierungschef Scheich Hamad bin Dschasim al-Thani, im UN-Sicherheitsrat zum Konflikt Stellung nehmen. Der Termin war schon vor der Unterbrechung des Einsatzes in Syrien geplant. Anschließend soll es am kommenden Sonntag ein neues Treffen der Arabischen Liga geben. Der Syrische Nationalrat (SNC) will nach eigenen Angaben ebenfalls in New York vorsprechen und den Weltsicherheitsrat um Hilfe bitten.

Quelle: ntv.de, AFP/dpa

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