"Ein früherer Ausstieg ist möglich" Teil der Grünen stellt sich quer
18.06.2011, 13:06 Uhr
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Die geplante Zustimmung der Grünen-Spitze zum Atomausstieg der Regierung stellt den Zusammenhalt in der Partei auf die Probe. So fordert neben Landespolitikern auch die Grüne Jugendorganisation einen früheren Ausstieg. Die Führung der Bundespartei verteidigt ihren Kurs, kritisiert jedoch andere Gesetze der schwarz-gelben Energiewende als unzureichend.
Am Atomkurs der Grünen-Spitze entzündet sich in der Partei Kritik. Die grüne Jugendorganisation kritisiert die Führung für ihre Linie, den schwarz-gelben Regierungsplänen zum Atomausstieg zuzustimmen. "Das Datum des Atomausstiegs liegt viel zu spät, ein früherer Ausstieg ist möglich", sagte die Sprecherin der Grünen Jugend, Gesine Agena, der "taz". "Da müssen Grüne sagen: Das tragen wir nicht mit." Sie werbe dafür, dass die Delegierten dem Leitantrag beim Grünen-Sonderparteitag am 25. Juni nicht zustimmen.

Claudia Roth und Cem Özdemir zeigen sich gewillt den schwarz-gelben Ausstiegskurs mitzutragen.
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Die Grünen-Spitze schwört die Partei trotz starker Widerstände an der Basis auf ein Ja zum schwarz-gelben Atomausstieg ein. "Diesen Erfolg, den überlass' ich nicht Frau Merkel", erklärte Parteichefin Claudia Roth. Der Vorstandsantrag für den eigens einberufenen Sonderparteitag plädiert trotz zahlreicher Bedenken für eine Zustimmung zum stufenweisen Aus für die Atommeiler bis 2022, aber für eine Ablehnung der weiteren Gesetze zur Energiewende.
Die Grünen argumentieren, sie selbst und Anti-Atom-Gruppen hätten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erst zu einer Abkehr von der Laufzeitverlängerung gezwungen. "Wir Grüne wären ziemlich bescheuert, wenn wir uns diesen Erfolg selber wegdefinieren würden", betonte Roth.
Ein "klarer Widerspruch"
Die Sprecherin der Grünen Jugend hielt dagegen: "In den vergangenen Jahren haben wir den Schulterschluss mit vielen Anti- Atomkraft-Initiativen wieder hinbekommen und ungute Gefühle bereinigt. Wenn der Parteitag die jetzt vorgegebene Linie beschließt, wäre all das hinfällig." In der "Frankfurter Rundschau" bezeichnete Agena die Atomausstiegspläne als "inhaltlich nicht ausreichend".

Sieht in der Atomgesetznovelle einen "Etikettenschwindel": Sven Lehmann.
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Der Greenpeace-Energieexperte Tobias Münchmeyer sagte der "FR", eine Zustimmung im Bundestag wäre ein "Fehler". Schließlich hätten sich die Grünen auf einen Ausstieg im Jahr 2017 festgelegt. Die Bundesregierung wolle die Meiler aber bis 2022 laufen lassen. Dies sei ein "klarer Widerspruch".
Der nordrhein-westfälische Grünen-Landeschef Sven Lehmann sieht in der Atomgesetznovelle der Bundesregierung ein Zeichen von Inkonsequenz: "Merkels Atomausstieg ist ein Etikettenschwindel. Er lässt dutzende Hintertürchen für die Atomkonzerne offen und tritt bei der Energiewende auf die Bremse. Die letzten Meiler sollten vor 2021 abgeschaltet werden und die Sicherheit erhöht werden. Merkels Atomgesetznovelle ist inkonsequent, wenn in Gronau weiter Uran angereichert werden darf."
Sachsens Grüne hatten sich bereits am Vortag für einen beschleunigten Ausstieg ausgesprochen. Alle Atomkraftwerke sollten bis 2017 endgültig abgeschaltet sein, verlangten die Delegierten eines Landesparteitages in Dresden. Der Antrag wurde mit nur einer Enthaltung beschlossen.
"Ehrgeizigerer Ausstieg" nicht möglich?
Der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Jürgen Trittin, hält einen schnelleren Ausstieg durchaus für realisierbar, sieht jedoch auch die Gefahr, durch höhere Forderungen den Grundkonsens zu gefährden. "Der Atomausstieg wäre auch schon 2017 möglich, aber wenn die Alternative das Jahr 2040 ist, dann werden wir uns nicht für 2040 entscheiden", sagte Trittin der "Rheinischen Post". "Im Ausstiegsteil entspricht Merkels Paket weitgehend unseren Forderungen. Warum sollten wir das nicht mittragen?", so Trittin. Nicht die Grünen hätten sich der Kanzlerin unterworfen, vielmehr hätten die Grünen und die Anti-AKW-Bewegung die Kanzlerin "zur Kehrtwende gezwungen".
Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, rief die Parteibasis auf, den von der Bundesregierung geplanten Ausstieg auf dem Sonderparteitag in Berlin zu unterstützen. Mit einem Nein zu den Ausstiegsplänen der schwarz-gelben Koalition "hätten die Grünen eine Chance verpasst", sagte Kretschmann im SWR. "Wenn alle politischen Kräfte einem solchen Konsens zustimmen, dann ist er nach menschlichem Ermessen nicht umkehrbar."
Auch die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Bärbel Höhn, verteidigte den Leitantrag des Parteivorstandes. "Ich hätte mir noch weitergehende Änderungen bei der Atomgesetznovelle gewünscht", lies sie in der "taz" verlauten. "Aber nach der Rücknahme der Laufzeitverlängerung von Schwarz-Gelb sehe ich keinen Koalitionspartner für 2013, mit dem wir einen ehrgeizigeren Ausstieg hinbekämen."

Auch Bärbel Höhn verteidigt das Vorgehen der Parteispitze, ist sich jedoch auch darüber im Klaren, dass sich Teile der Anti-Atom-Bewegung vor den Kopf gestoßen fühlen.
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Höhn räumte ein: "Sicher verlieren die Grünen einige Leute in der Anti-Atom-Bewegung. Es ist richtig, dass die Bewegung weiter kämpft, auch Grüne werden beim nächsten Castor-Transport mitdemonstrieren, weil die Endlagerfrage nicht gelöst ist." Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir sagte der "Neuen Westfälischen", die Partei sei auch weiter ein "Teil der Umweltbewegung und da gibt es auch keinen Bruch". Denn die jetzige Entwicklung sei "ein großer Erfolg der Umweltverbände, der Anti-AKW-Bewegung und der Grünen". Kanzlerin Merkel versuche nur, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen. "Doch dieser Zug ist bereits gut besetzt", so Özdemir.
Merkel will klares Bekenntnis
In der "Super Illu" forderte Bundeskanzlerin Merkel die Partei auf, zu zeigen, "wofür sie steht". "Dagegensein ist auf Dauer keine konstruktive Haltung", sagte Merkel. Sie unterstrich, dass "Rot-Grün seinerzeit ein Konzept ausgehandelt hatte, das zwar den Ausstieg aus der Atomkraft festlegte, aber noch nicht alles Notwendige für den Umstieg auf andere Energieformen" festgelegt habe. "Wir benennen heute das Ziel - das Zeitalter der erneuerbaren Energien - und den Weg dorthin", so Merkel.
Die Grünen müssten jetzt deutlich machen, "ob sie wirklich für erneuerbare Energien mit allem, was das mit sich bringt, also für Pumpspeicherwerke und Netzausbau eintreten, oder ob sie - wie lange Zeit bei der Kernkraft - sich gegen solche notwendigen Maßnahmen wenden werden, ohne die aber der Ausstieg nicht gelingen kann", sagte die Kanzlerin.
Trittin fordert Verbesserungen

Nur in der Frage des Ausstiegs einer Meinung: Kanzlerin Angela Merkel und Jürgen Trittin.
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Dahingegen verlangte die Parteispitze gerade bei den geplanten Gesetzen zu den regenerativen Energien Korrekturen. "Bei den Gesetzen zum Einstieg in die erneuerbaren Energien versagt die Kanzlerin schmählich", kritisierte Trittin in der "Rheinischen Post" mit Blick auf die Windkraftförderung und Kohlekraftwerke. "Die Verschlechterung der Windkraftförderung an Land machen wir nicht mit. Auch die Bevorzugung von klimaschädlichen Kohlekraftwerken ist falsch", hielt der Grünen-Fraktionschef fest.
Korrigiert werden müsse auch die Absenkung der Sicherheitsstandards für Atommeiler. Die Bundesregierung plant die stufenweise Abschaltung aller Atomkraftwerke bis zum Jahr 2022. Auch Kretschmann regte Modifikationen an. So wolle er im Bundesrat Verbesserungen sowohl beim Fahrplan für den Atomausstieg als auch bei der Förderung der Windkraft an Land erreichen.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/mkr