Hans-Olaf Henkel im Interview Tipps eines Nachtseglers
28.05.2011, 10:31 Uhr"Wir haben genug Volksparteien, wir brauchen mal Parteien mit Programm, wir brauchen wieder klare Kanten und dann Diskussionen über diese Programme und Kanten", sagt Hans-Olaf Henkel. Merkels CDU steuere einen Zickzackkurs. Der Ex-BDI-Chef hält das für fatal.
"Wir haben genug Volksparteien, wir brauchen mal Parteien mit Programm, wir brauchen wieder klare Kanten und dann Diskussionen über diese Programme und Kanten", sagt Hans-Olaf Henkel. Die CDU von Angela Merkel steuere einen Zickzackkurs. Der Ex-BDI-Chef hält das für fatal: "Wenn man nicht weiß, wo man hin will, dann ist jeder Kurs falsch und die Mannschaft wird demotiviert."

Hans-Olaf Henkel war von 1995 bis 2000 Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Von 2001 bis 2005 war er Präsident der Leibniz-Gemeinschaft.
(Foto: picture-alliance/ ZB)
n-tv.de: Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier fordert, die CDU müsse sich nach der Wahl in Bremen "Gedanken machen, wie wir gerade in großen Städten stärker und attraktiver werden". Hätten Sie ein paar Ratschläge?
Hans-Olaf Henkel: Die hätte ich, die gelten aber nicht nur für die urbanen Wähler, sondern für alle Wähler, die nicht mehr zur Wahlurne kommen. Wir haben ja in Bremen gerade wieder festgestellt, dass nur jeder zweite sich die Mühe macht, eine Partei zu wählen. Nach meinem Eindruck liegt das daran, dass die Parteien sich um einige drängende Probleme in Deutschland nicht kümmern.
Welche Probleme sind das?
Derzeit ist es vor allem das Problem des Euro. Ein Rettungsschirm jagt den nächsten, jedes Mal sagt die Regierung, das sei alternativlos und verhindere weitere Fälle. Wir erleben aber, dass das gar nicht stimmt, die Sache beschleunigt sich täglich. Wir kommen auf erkleckliche Summen, die letzten Endes der deutsche Steuerzahler bezahlen muss. Das wissen die Leute. Sie glauben nicht an das Diktum der Alternativlosigkeit, sie wollen zum Thema Euro mal ein paar Alternativen von der Politik vorgelegt bekommen.
Was halten Sie eigentlich insgesamt von dem Modernisierungskurs der Union unter Angela Merkel?
Wenn es mal ein Kurs wäre! Ich bin leidenschaftlicher Nachtsegler, und ich kann Ihnen sagen: Nachts haben Sie nur zwei Möglichkeiten, sich zu orientieren. Entweder segeln Sie nach dem Kurs der Sterne oder Sie orientieren sich an den Lichtern jedes vorbeifahrenden Schiffes.
Wohin führt das beim Segeln?
Wenn Sie jedem beliebigen Schiff folgen, dann wird das ein Zickzackkurs. Genau das macht die CDU unter der Führung von Frau Merkel. Ich erinnere mich noch an ihre erste Rede als frischgebackene Bundeskanzlerin. Da proklamierte sie: Wir müssen mehr Freiheit wagen. Das Wort Freiheit kommt bei Frau Merkel seitdem nicht mehr vor. Sie redet genauso wie die SPD von der sozialen Gerechtigkeit - als ginge es in Deutschland völlig ungerecht zu. Ein solcher Zickzackkurs macht jede Partei kaputt, übrigens auch jedes Unternehmen und jeden Fußballverein. Wenn man nicht weiß, wo man hin will, dann ist jeder Kurs falsch und die Mannschaft wird demotiviert.
Kann es sein, dass Frau Merkel gar keine inhaltlichen oder strategischen Ziele hat, sondern eher taktische Ziele?
Man kann natürlich den Standpunkt einnehmen, dass es sinnvoll ist, auf Sicht zu fahren, weil die Welt sich so schnell ändert. Entweder sind es Naturkatastrophen oder Finanz- und Wirtschaftskrisen oder irgendwelche Skandale - immer hat die Politik alle Hände voll zu tun, auf die jeweiligen Krisen zu reagieren. Darin ist Frau Merkel auch sehr gut. Nur ist es falsch, den Wählern den Eindruck zu vermitteln, die Regierungskunst erschöpfe sich in der Bewältigung von Krisen. Die Leute wollen wissen, wohin die Gesellschaft sich bewegt.
Wohin?
Frau Merkel hatte als Ziel eine freiere Gesellschaft proklamiert. Ich kann nicht erkennen, dass diese Gesellschaft unter Schwarz-Gelb - übrigens auch nicht unter Schwarz-Rot - Freiheit zurückgewonnen hätte, im Gegenteil. Immer wieder kommen neue Ideen auf, wie man uns ein Stück Freiheit nach dem anderen wegnimmt. Inzwischen gibt es ja sogar schon Bestrebungen bei der FDP, sich zu einer Volkspartei zu mausern. Wir haben genug Volksparteien, wir brauchen mal Parteien mit Programm, wir brauchen wieder klare Kanten und dann Diskussionen über diese Programme und Kanten. Für mich ist ganz besonders entscheidend eine klare Kante zum Thema Euro. Es muss auch im Bundestag Leute geben, die die Notbremse ziehen und sagen: So geht das nicht weiter. Durch die Politik der Rettungsschirme rutschen wir in eine Situation, in der sich jeder um die Probleme der anderen kümmert, aber keiner um seine eigenen. Frau Merkel sagt, die Belgier bräuchten eine andere Lohnfindungspolitik, die Portugiesen müssten schneller sparen, die Griechen stärker privatisieren. Es ist ein perfektes System organisierter Verantwortungslosigkeit.
Warum, glauben Sie, hat Frau Merkel das Ziel der Freiheit aus den Augen verloren?
Ich nehme an, weil sie schnell gemerkt hat, dass die Deutschen mit Freiheit nicht viel am Hut haben. Frau Merkel wollte sich vermutlich nicht Stimmen wegnehmen lassen von den Parteien, die Gleichheit erfolgreich als vordringliches Ziel darstellen - bei uns heißt das ja soziale Gerechtigkeit. Das kann kurzfristig zum Erfolg führen, aber mittelfristig führt es zu einem Verlust der Identität. Ich bin nun wirklich kein Anhänger der Grünen, ich halte ihre Politik für verheerend, teilweise für verhängnisvoll, aber eines muss man ihnen lassen: Wenn Sie die Wähler fragen, was die Grünen wollen, dann kriegen Sie klare Antworten. Bei der CDU ist das schon lange nicht mehr so.
Unionsfraktionschef Volker Kauder warnt seine Partei vor einer Annäherung an die Grünen, will aber "eintauchen in diese heterogenen Lebenssituationen" in den Großstädten. Wie geht das zusammen - die Grünen als strategisches Feindbild und Vorbild zugleich?
Ich glaube, dass die CDU - ähnlich wie die SPD - den Kopf verloren hat. Die sind in Panik ausgebrochen. Jeder will so ähnlich wie die Grünen werden, nur zugeben darf man es nicht. Man sieht es ja ganz deutlich an diesem atemberaubenden 180-Grad-Schwenk in der Atompolitik. Ich vermute, dass die Zeit der großen Parteien vorbei ist. Das gilt auch für die Grünen, irgendwann werden auch sie merken, dass sie groß, saturiert und satt sind. Letzten Endes führt diese Verdrossenheit mit den Parteien zu einer Verdrossenheit mit der Demokratie. Deshalb brauchen wir eine Änderung des politischen Entscheidungssystems. Wir müssen den Bürger stärker an den Entscheidungen beteiligen und wir müssen dafür sorgen, dass die Allmacht der Parteien nicht so groß bleibt wie sie heute ist.
In diese Richtung gehen ja auch Forderungen der Grünen in Baden-Württemberg. Da müssten Sie eigentlich Sympathien haben mit Winfried Kretschmann.
Wenn es darum geht, die Bürger zu befragen, bevor man Entscheidungen trifft, dann bin ich dabei. Wir haben beim Konvent für Deutschland unter der Führung von Roman Herzog einige Vorschläge gemacht. Ich stelle nur fest, dass die politischen Parteien immer sehr schnell dabei sind zu sagen, der Bürger muss beteiligt werden. Wenn es aber um konkrete Gesetzesvorschläge geht, dann tun sie es nicht. Die Deutschen dürfen noch immer nicht bei der Abgabe der Zweitstimme mitentscheiden, wer da gewählt wird. Die Parteien legen fest, wer über die Zweitstimme in den Bundestag kommt - das geht doch nicht! Der Bürger sollte die Gelegenheit haben, bei der Wahl mit seiner Zweitstimme einen Kandidaten auszusuchen. Aber selbst diese Kleinigkeit wollen die Parteien nicht hergeben.
Mit Hans-Olaf Henkel sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de