Erosion in den Zentren CDU sucht den städtischen Wähler
28.05.2011, 10:31 Uhr
Große Geste, kaum Wirkung: CDU-Hauptstadt-Kandidat Henkel.
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Ob Bremen, Baden-Württemberg oder Berlin: Die CDU schwächelt in den Großstädten. Liegt das Patentrezept in einer stärkeren Hinwendung zu den Konservativen oder darin, die Grünen zu kopieren?
20,3 Prozent. Es ist das schlechteste Ergebnis für die Bremer CDU seit 1959. Noch zwei Landtagswahlen stehen in diesem Jahr an, eine davon auf schwierigem Terrain, in Berlin. Während es für SPD und Grüne je nach Umfrageinstitut auf und ab geht, liegt die Berliner CDU seit Monaten wie ein Brett um die 20 Prozent. Die Wahl in Baden-Württemberg hat die CDU in den Großstädten verloren, dort lagen die Grünen vorn. In Bremen erreichte die Union nur einen peinlichen dritten Platz. In der Hauptstadt ist am 18. September nicht einmal Rang vier ausgeschlossen.
Woran liegt es? Und: Was tun? Die Union müsse dringend "eintauchen in diese heterogenen Lebenssituationen" der Städte, sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder nach der Wahl in Bremen. "Wer da nicht verankert ist, kann auch nicht richtig mitreden." Zugleich warnte Kauder vor einer Annäherung an die Grünen - offenbar will er ihren Erfolg kopieren, aber nicht mit ihnen koalieren. Junge-Union-Chef Philipp Mißfelder, Anwalt der Konservativen in der Union, will beides nicht. Er glaubt, der großstädtische Strategieansatz der CDU in Hamburg und Bremen habe keinen Erfolg gebracht.
Die Klammer ist futsch
Doch möglicherweise macht die CDU ja gar nichts falsch, jedenfalls nicht so viel, wie Kauder und Mißfelder meinen. "Die Erosion der Volksparteien ist bei der CDU längst angekommen, sie steht nur noch besser da als die SPD", sagt der Politologe Gerd Langguth. Gegen diesen Trend sind die Volksparteien machtlos: Es gibt einfach immer weniger kirchentreue Bürger, die Angst vor dem Feind von links haben - bis in die 1990er Jahre waren dies, die Kirche und der Antikommunismus, die Klammer zwischen der Union und ihren Wählern. Dass die Auflösung der alten Milieus vor allem in Großstädten durchschlägt, ist altbekannt. "Die CDU tut sich seit Jahren mit den großen Städten schwer", sagt Langguth. Die Partei müsse "in allen Altersschichten in den Großstädten gewinnen können. Das muss bei der Jugend beginnen - die CDU muss eine jugendgestützte Partei sein." Leichter gesagt als getan. Das Ganze sei "ein langfristiger Prozess", räumt Langguth ein.
Das weiß auch Frank Henkel. Der Spitzenkandidat der Berliner CDU muss fürchten, im September noch unter das schlechte Ergebnis von 2006 zu rutschen. Damals erreichte die Union 21,3 Prozent - in einer Stadt, in der sie noch in den 1990er Jahren über 40 Prozent schaffte. Dieser Absturz hat vor allem lokale Gründe - der Berliner Bankenskandal hat die Partei 2001 zerbrochen, es folgten zähe Jahre des Streits. Nun könnte ausgerechnet Berlin zeigen, wie die Union den städtischen Wiederaufbau schafft.
Sicherheit, Sauberkeit und die Gesetze der Politik
Henkel setzt auf klassische CDU-Themen wie Bildung, Sicherheit und Sauberkeit, er meidet das Etikett "konservativ". Ein aggressiver Lagerwahlkampf, wie er früher einmal möglich und häufig erfolgreich war, wäre heute der sichere Weg ins Aus. Henkel betont, er kämpfe "für einen Politikwechsel in Berlin". Es gehe darum "eine andere, eine bessere Politik in dieser Stadt zu machen" - mit wem, das sei im Moment nicht die Frage. Von den Grünen kennt man diesen Satz: "Wir machen keine Ausschließeritis." Im September 2009 erregte Henkel Aufsehen, als er deutlich machte, dass er sich auch vorstellen könnte, als Juniorpartner in eine grün-schwarze Koalition einzutreten. Wie sieht er das heute? Er lacht. "Es gibt ungeschriebene Gesetze in der Politik", wiederholt er seinen Satz von damals.

Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit, die Fraktionschefin von Bündnis 90/Die Grünen, Künast, Berlins Wirtschaftssenator Wolf und der Berliner Landes- und Fraktionschef der CDU, Henkel, sind die Gegner bei der nächsten Wahl.
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In Baden-Württemberg sei der Part als kleinerer Koalitionspartner der Grünen für die SPD eine "nagende Demütigung", lästerte Kauder neulich. Was der Fraktionschef der Union im Gegensatz zu Henkel möglicherweise noch nicht verstanden hat: Auch eine Volkspartei muss sich mit der Realität arrangieren.
Vielleicht liegt hier nicht die Zauberformel, aber doch eine Basis für Erfolg unter den veränderten Bedingungen einer neuen Zeit: inhaltlich keine Experimente bei gleichzeitiger Öffnung zu potenziellen Koalitionspartnern. Man wird davon ausgehen können, dass Henkel auch lieber mit der FDP koalieren würde. Nur: Nach der Wahl in Berlin wird es keine schwarz-gelbe Mehrheit geben. Falls die FDP überhaupt über 5 Prozent kommt, wonach es derzeit nicht aussieht.
Von den Grünen lernen
Pragmatismus also. Was noch? Heute hingen Wahlerfolge "sehr stark an Personen", sagt Langguth und verweist auf Hamburgs Ex-Bürgermeister Ole von Beust. Das Problem mit Politikerpersönlichkeiten ist, dass man ihren Erfolg nicht planen kann. Fast 30 Jahre lang saß Winfried Kretschmann auf den Oppositionsbänken des Stuttgarter Landtags, bis eine neue politische Stimmung ihn in die Villa Reitzenstein trug. Für die Grünen war Kretschmann der richtige Mann zur richtigen Zeit. Dieses Kunststück war nicht planbar, beliebig wiederholbar ist es schon gar nicht.
Schließlich: klare Kante, nicht nur für die urbanen Wähler. "Ich bin nun wirklich kein Anhänger der Grünen", versichert der ehemalige BDI-Chef Hans-Olaf Henkel, "aber eines muss man ihnen lassen: Wenn Sie die Wähler fragen, was die Grünen wollen, dann kriegen Sie klare Antworten. Bei der CDU ist das schon lange nicht mehr so." Ihr Zickzackkurs funktioniere nicht: "Wenn man nicht weiß, wo man hin will, dann ist jeder Kurs falsch und die Mannschaft wird demotiviert."
Quelle: ntv.de