Jahrestag der Staatsgründung Tote bei Sturm auf Israels Grenzen
15.05.2011, 16:39 Uhr
Der Grenzdurchbruch ist der erste massive Zwischenfall seit 1973.
(Foto: AP)
Von Syrien, dem Libanon und dem Gazastreifen aus überrennen Palästinenser am sogenannten Nakba-Tag die Grenzen zu Israel. Mindestens 14 Palästinenser kommen dabei ums Leben. Am überraschendsten ist der Ansturm auf den Golanhöhen zwischen Syrien und Israel. Eine spontane Grenzüberquerung ist hier kaum möglich.
Mehrere Palästinenser haben - offenbar mit Genehmigung der syrischen Armee - überraschend in den Mittagsstunden eine der bestgehüteten Grenzen auf den Golanhöhen überwunden und sind in das drusische Dorf Madschdal Schams eingedrungen. Dabei gab es mehrere Tote. Die israelische Armee erklärte das Dorf zum militärischen Sperrgebiet und ließ Panzer vorrücken.

Demonstranten rücken von Syrien aus auf Madschdal Schams vor. Im Vordergrund israelische Grenzsoldaten.
(Foto: AP)
Während in ersten Berichten noch von hunderten oder gar tausenden Palästinensern die Rede war, haben nach Angaben der israelischen Zeitung "Haaretz" lediglich 70 Menschen die israelisch-syrische Grenze überquert. Später kehrten sie in Begleitung drusischer Würdenträger nach Syrien zurück. Die israelischen Sicherheitskräfte hätten sich nicht weiter eingemischt, hieß es.
Nach dem Grenzsturm übergab Israel 10 Leichen an die syrischen Behörden. Der israelische Rundfunk meldete, es handele sich um die sterblichen Überreste von palästinensischen Demonstranten. Bislang war von vier Toten die Rede gewesen.
Radikalislamische Gruppierungen hatten zum palästinensischen Nakba-Tag zum Marsch auf die israelischen Grenzen aufgerufen. Die Palästinenser erinnern am 15. Mai an die Flucht und Vertreibung nach der israelischen Staatsgründung von 1948. Nakba ist das arabische Wort für "Katastrophe".
Die israelischen Behörden riefen die Bewohner im Norden Israels auf, ihre Kinder aus den Schulen abzuholen und in ihren Wohnungen zu bleiben. Die Rettungsdienste riefen ein "Ereignis mit vielen Opfern" aus. Alle Krankenhäuser im Norden Israels wurden in den Alarmzustand versetzt.
Erster massiver Zwischenfall seit 1973
Ein israelischer Militärsprecher erklärte, der Sturm über die Grenze sei völlig überraschend gekommen und habe nur mit Genehmigung der syrischen Regierung passieren können. Die Grenze auf den Golanhöhen wird von internationalen UNO-Truppen bewacht. Seit dem Entflechtungsabkommen nach dem Jom Kippurkrieg 1973 gab es auf den Golanhöhen fast keine Zwischenfälle oder Grenzüberschreitungen. Israelische Experten vermuten, dass Präsident Baschar al-Assad von seinen internen Problemen ablenken will, indem er die Grenze zu Israel "aufheizt". Gleichzeitig gilt es als unwahrscheinlich, dass er einen Krieg mit Israel riskiert. In Syrien protestieren derzeit Zehntausende gegen das Regime, das die Proteste bislang brutal unterdrückt.
Unklar ist, wie Israels Armee und Geheimdienst derart überrumpelt werden konnten. Auf die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Demonstration von Syrern war Israel ganz offensichtlich nicht vorbereitet.
Tote auch an der libanesischen Grenze
Nicht weit von den Golanhöhen entfernt, zwischen dem libanesischen Dorf Marun al-Ras und Avivim in Israel, versuchten tausende Demonstranten, sich einen Weg zum elektrischen Zaun zu bahnen, der Israel von Libanon trennt. Nach libanesischen Angaben gab es hier 4 Tote. Die Deutsche Presse-Agentur meldete 5 Tote.

Zusammenstöße zwischen Steinewerfern und Soldaten gab es auch bei Ramallah im Westjordanland.
(Foto: REUTERS)
Palästinenser aus libanesischen Flüchtlingslagern waren mit angeblich 1000 Bussen an die israelische Grenze geströmt. Sie forderten ein Ende der Besetzung palästinensischer Gebiete durch Israel und das Rückkehrrecht für geflohene und vertriebene Palästinenser und ihre Nachfahren.
Die Demonstranten trugen Fahnen und sangen "Wir wollen unser Land zurück". Die libanesische Armee versuchte, die Demonstranten vom Grenzzaun fern zu halten. Diese wiederum warfen Steine auf die libanesischen Soldaten.
Etwa 50 Demonstranten erreichten den Zaun und warfen Steine auf israelische Soldaten. Die Israelis schossen "Haaretz" zufolge mit scharfer Munition und Tränengas auf die Protestierenden. Ein Sprecher der israelischen Armee sagte, die Soldaten hätten das Feuer auf große Gruppen eröffnet, die sich der Grenze genähert hätten.
Weiterer Ansturm aus dem Gazastreifen

Auftakt der Gewalt war eine Amokfahrt in Tel Aviv, bei der ein Mensch ums Leben kam.
(Foto: REUTERS)
An Militärsperren im Westjordanland und in Ost-Jerusalem kam es ebenfalls zu heftigen Krawallen. Die neue Welle der Gewalt hatte am Morgen begonnen, als ein arabischer Lastwagenfahrer in Tel Aviv einen Israeli tötete und 17 weitere verletzte.
Im Gazastreifen durchbrachen palästinensische Demonstranten Absperrungen der dort herrschenden Hamas und drangen bis zu dem israelischen Kontrollpunkt Eres vor. Bei Konfrontationen mit israelischen Soldaten wurden nach Angaben von Sanitätern knapp 70 Menschen verletzt. Die meisten von ihnen hätten Schusswunden erlitten, hieß es. Etwa 15 seien von Granatsplittern getroffen worden.
Die zentrale Gedenkveranstaltung der Palästinenserbehörde von Präsident Mahmud Abbas zum Nakba-Tag begann am Mittag in Ramallah. Tausende Menschen marschierten von dem Präsidentenamt zum zentralen Manara-Platz. Die Sirenen heulten im Gedenken an die palästinensischen Flüchtlinge, die vor 63 Jahren ihre Heimat verloren. Teilnehmer der Kundgebung trugen palästinensische und schwarze Flaggen. "Es gibt keine Alternative zur Rückkehr in die Heimat", hieß es in Schriftzügen.
Hamas erkennt Israel weiterhin nicht an
Ismail Hanija, Führer der radikal-islamischen Hamas im Gazastreifen, sagte, er hoffe auf ein "Ende des zionistischen Projekts in Palästina". Hanija bekräftigte während einer Ansprache, seine Organisation werde den Staat Israel weiterhin nicht anerkennen.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte während der wöchentlichen Kabinettssitzung: "Ich bedaure, dass es unter den israelischen Arabern und unseren Nachbarn Radikale gibt, die den israelischen Unabhängigkeitstag in einen Tag der Kriegshetze und des Zorns verwandeln."
Quelle: ntv.de, uws/dpa