US-Wahl

Sinnkrise in "Spin Alley" Experten verharren auf Positionen

Die spannendsten Momente des US-Wahlkampfs spielen sich traditionell in den TV-Debatten der Kontrahenten statt.

Die spannendsten Momente des US-Wahlkampfs spielen sich traditionell in den TV-Debatten der Kontrahenten statt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Präsidentschaftswahlkampf zieht sich in den USA über Jahre hin. Spannend sind nur die letzten paar Wochen, vor allem wenn bis zu 50 Millionen Amerikaner am Fernseher den direkten Schlagabtausch verfolgen. n-tv-Reporter Lars Halter wollte näher am Geschehen sein und verfolgte die Debatte vor Ort an der Hofstra University auf Long Island.

17 Uhr: Stau auf dem Long Island Expressway. Das ist normal, hat nichts mit der Debatte zu tun. Im Schleichtempo geht es in Richtung Hofstra Universität. Erst kurz vor dem Campus kommt die erste Polizeikontrolle, ich frage nach dem Presse-Parkplatz und fahre danach eine Stunde im Kreis. Jeder hat andere Informationen, keiner weiß, wo es zum Medienzentrum geht. Der Secret Service hat zudem gerade einige Straßen gesperrt und die Situation noch erschwert. Grund für die Sperrung: eine Handvoll Demonstranten, friedlich, mit Obama-Schildern in der Hand. Daneben ein paar Abtreibungsgegner. Davor eine Hundertschaft der lokalen Polizei, acht Offiziere zu Pferd. Auch das ist normal in Amerika, aber natürlich völlig übertrieben.

Irgendwann schaffe ich es doch auf dem Parkplatz, ein Bus kutschiert mich und ein gutes Dutzend anderer Journalisten auf den Campus. Die kurze Fahrt führt vorbei am steinernen Portal der Universität, vor dem zwei massive Löwen stehen - das Symbol der Uni; heute Abend stehen zwei andere Tiere im Vordergrund: für die Republikaner steht traditionell ein Elefant, der Esel symbolisiert die Demokraten. Beide gehen auf Thomas Nast zurück, einen Einwanderer aus der Pfalz, der als Vater der politischen Karikatur in Amerika gilt.

19.25 Uhr: Party auf dem Campus. Neben dem Akkreditierungszentrum hat MSNBC ein Open-Air-Studio aufgebaut. Chris Matthews moderiert, hinter ihm stehen Dutzende von Studenten. Die meisten sind Republikaner, halten Romney-Schilder in die Höhe. Hofstra liegt auf Long Island, nahe bei New York City und doch eine Republikaner-Hochburg. Und doch: Der Vorsprung der "Grand Old Party" wird immer geringer. In den letzten acht Jahren haben sich viele Wähler von ihrer Partei abgewandt. Die einen, weil sie von Bush enttäuscht waren, die anderen als Sarah Palin auf die Politbühne trat. Die jüngste Abwanderungswelle hängt damit zusammen, dass die Republikaner längst nicht mehr fiskalkonservativ sind, sondern mit ihren Attacken gegen Frauen, Schwule, Schwarze, Latinos und viele mehr sozial nach rechts abwandern - das stößt viele ab. "Unser Land ist so divers", sagt ein Ex-Republikaner im Interview mit dem Radiosender WNYC, "es kann nicht von einer Partei geführt werden, die sich nur an einen kleinen Teil der Bevölkerung wendet."

19.50 Uhr: Die Akkreditierung um den Hals geht es durch die nächste Kontrolle, mit Metalldetektor, ganz wie am Flughafen. Kurz vor dem Pressezentrum der erste Schock: Die Kantine wird von Anheuser-Busch gesponsert - zur Debatte wird es wohl kein vernünftiges Bier geben.

Habe sich laut eigenem Chef-Strategen, Ed Gillespie, stark präsentiert und Obama immer wieder bloßgestellt: Herausforderer Mitt Romney

Habe sich laut eigenem Chef-Strategen, Ed Gillespie, stark präsentiert und Obama immer wieder bloßgestellt: Herausforderer Mitt Romney

(Foto: REUTERS)

20 Uhr: Noch eine Stunde bis zur Debatte. Im Media Center tummeln sich Polit-Promis - alles Republikaner. Der frühere New Yorker Gouverneur George Pataki und Bobby Jindal, Gouverneur von Louisiana und bis vor kurzem ein Shooting Star seiner Partei, versuchen noch schnell, die öffentliche Meinung zu steuern. Was vor der Debatte zu erwarten sei? "Vor allem Ablenkungsmanöver", sagen beide. "Obama hat ja nach vier Jahren im Weißen Haus nichts vorzuweisen."- Das ist die Standard-Attacke, nichts neues.

20:15 Uhr: Kurz vor der Debatte gehe ich doch noch in der Kantine vorbei. Es gibt gefüllte Paprika, dazu Gemüse. Und am Budweiser-Stand eine Überraschung: Statt dem üblichen Dünnbier schenkt in Brauerei drei speziell gebraute Sorten aus, jeweils ein "Batch" aus dem Mutterhaus in St. Louis, Missouri, sowie aus den Brauereien in Williamsburg, Virginia und Los Angeles. Der Geschmackstest zeigt: Das dunkle Lager liegt vorne, es stammt vom Braumeister aus dem liberalen Kalifornien – ein gutes Omen für Obama?

20:48 Uhr: Ich schnappe mir den letzten freien Stuhl im Medienzentrum, gleich geht es los. Neben mir sitzt der Reporter aus Norwegen, hinter mir die Delegation aus Japan. Rund tausend Journalisten sitzen in der Turnhalle, tippen auf tausend Laptops und plärren nie tausend Handys, ein Stimmengewirr wie in Babylon.

20:55 Uhr: Candy Crowley, Politik-Chefin bei CNN und Moderator der Debatte, ermahnt das Publikum zum gefühlt achtzigsten Mal, die Handys auszuschalten. Das dürfte mittlerweile jeder kapiert haben... oder auch nicht, denn das handverlesene Live-Publikum gehört kaum zur intellektuellen Elite. Vor Obama und Romney sitzen 80 "unentschlossene Wähler". Unentschlossen? Mit Verlaub, wer nach dem monatelangen Dauerfeuer um die Präsidentschaft noch keinen ausreichend großen Unterschied zwischen Obama und Romney sieht, um eine Meinung zu bilden, der sollte wieder unter seinen Stein kriechen. Es gibt keinen Grund, diese ungebildeten Loser in den Vordergrund zu stellen.

21 Uhr: It's on... die Debatte beginnt, es geht sofort um Jobs, um die Wirtschaft, das Hauptthema dieses Wahlkampfs. Und es gibt Verwirrung um die Krawatten der Krieger: Obama trägt rot, Romney blau, jeweils die Farben des Gegners.

Wollte den Abend gar nicht enden lassen: US-Präsident Obama ist mit seinem Auftritt beim zweiten TV-Duell zufrieden.

Wollte den Abend gar nicht enden lassen: US-Präsident Obama ist mit seinem Auftritt beim zweiten TV-Duell zufrieden.

(Foto: picture alliance / dpa)

21:10 Uhr: Früh steht fest, wer für Obama und Romney der Gegner ist: Moderatorin Crowley. Nach einem schwachen Moderator vor zwei Wochen versucht sie eine härtere Linie zu fahren. Das hatten beide Parteien schon im Vorfeld befürchtet, und jetzt versuchen sie, in der Diskussion jeden Moment die Oberhand zu behalten. Crowley platt machen. Keine Schwäche zeigen. Die Diskussion ist engagiert, bisweilen aggressiv. Schnell wird klar, dass Präsident Obama aus den Fehlern von Denver gelernt hat. Er ist besser vorbereitet, widerspricht Romney immer wieder, kann gegenüber seinem Herausforderer immer wieder punkten.

Den Schlagabtausch zwischen Obama und Romney verfolge ich auf mindestens 200 Fernsehschirmen im Pressezentrum – wirklich spannend wird es erst nach der Debatte in der "Spin Alley", jenem mysteriösen Ort, wo die Sprecher beider Parteien die Debatte bewerten und ihren Sieger küren.

22.25 Uhr: Das Schlusswort ist noch nicht gesprochen, da drängt sich schon eine Traube von Reportern um David Axelrod. Obamas Mastermind ist der gefragteste "Spin Doctor", seine Einschätzung zählt – überrascht aber nicht. "Wir haben heute ganz klar die Lockvogeltaktik von Mitt Romney gesehen", zieht Axelrod Bilanz. In der Tat: Seit dem Vorwahlkampf, als Romney um die rechtskonservative Basis warb, haben sich die Positionen des Kandidaten massiv verändert. Unterm Strich aber bleibt: "Seine Rechnung geht einfach nicht auf." Axelrod moniert, dass von den Republikanern auch in der dritten Debatte keine klaren Konzepte, keine verlässlichen Zahlen kommen.

22:35 Uhr: Neben Axelrod steht Ed Gillespie, der Chef-Stratege der Republikaner. Er bewertet die Debatte ganz anders – wen wundert´s. Romney habe sich "stark präsentiert und Obama immer wieder bloßgestellt", diktiert er in die Mikrofone. John Sununu, Ex-Gouverneur von New Hampshire und ein Rechtsaußen, fand Obama "rüde" und Moderatorin Crowley "schrecklich", und Bob McDonnell, Gouverneur von Virginia, meint, dass Obama nicht erklären konnte, warum er eine zweite Amtszeit verdient habe.

22:55 Uhr: Nach einer halben Stunde in "Spin Alley" wird mir klar: Hier stehen die Insider, und sie reden nach der Debatte genau wie vor der Debatte. Die Meinungsmacher beider Parteien gehen ihre altbewährten Argumente durch, jeden einzelnen Satz hat man seit Monaten schon gehört. Das ist bitter. Wenn selbst die Experten aus einer Debatte nichts Neues mitnehmen können, kann man sich den Aufwand eigentlich auch sparen.

23:05 Uhr: Auch David Axelrod stellt die Debatte in Frage – ein wenig. "Ist der beste Redner denn unbedingt der beste Präsident", fragt eine Journalistin. "Natürlich nicht", weiß der Stratege. Deshalb liege Obama ja auch vorn, trotz seiner schwachen Performance im ersten Rededuell. "Die Leute kennen ihn, sie kennen sein Engagement für das Land, und deshalb werden sie in wieder wählen.

23:10 Uhr: Auf dem Weg zum Auto schaue ich noch einmal in der Kantine vorbei. Alle 17 Fernsehschirme laufen, doch es geht längst nicht mehr um Obama und Romney. Die Yankees spielen gegen Detroit, ein paar Politikverdrossene verfolgen das Spiel.

23:30 Uhr: Ich sitze im Shuttle-Bus – immer noch. Wir warten. Es spricht sich herum, dass Präsident Obama immer noch im Gebäude ist und mit Wählern tratscht. Er hat den Abend genossen, will gar nicht nach Hause. Solange er da ist, sind alle Straßen um Hofstra geschlossen. Die Nacht will einfach nicht enden.

 

Quelle: ntv.de

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