Richter zweifeln an Gesundheitsreform Obama droht herbe Niederlage
27.03.2012, 21:33 Uhr
Der Oberste US-Gerichtshof ringt um sein wichtigstes Urteil seit Jahren: Ist Obamas Gesundheitsreform mit der Verfassung vereinbar? Die neun Richter sind genauso gespalten wie das ganze Land. Fünf von ihnen lassen die Ansicht durchblicken, der Staat dürfe sich nicht in alle Lebensbereiche einmischen.

Gegner der Gesundheitsreform protestieren vor dem Obersten Gerichtshof in Washington D.C.
(Foto: REUTERS)
Die Gesundheitsreform von US-Präsident Barack Obama steht auf der Kippe. Bei der zweiten von insgesamt drei Anhörungen des Obersten Gerichtshofes habe sich die Mehrheit der Richter am Dienstag "besorgt" über das Gesetz geäußert, berichteten Beobachter.
Mit ihrem Urteil, das frühestens im Juni erwartet wird, könnten sie das wichtigste Projekt aus Obamas bisheriger Amtszeit in Teilen oder sogar komplett kippen.
Streit über Versicherungspflicht
Das Oberste Gericht will klären, ob die US-Verfassung dem Kongress und der Regierung das Recht gibt, Bürger mit einem Bußgeld zum Abschluss einer Krankenversicherung zu zwingen. Vor allem die fünf konservativen der insgesamt neun Richter äußerten sich am Dienstag kritisch über die Zulässigkeit der Reform. Sie "droht, die Beziehung zwischen dem Staat un dem Individuum auf fundamentale Art zu verändern", sagte der Richter Anthony Kennedy, dessen Votum im ideologisch geteilten Gericht als das Zünglein an der Waage gilt.

Hunderte Unterstützer der Reform demonstrieren in diesen Tagen vor dem Obersten Gerichtshof.
(Foto: REUTERS)
Der renommierte Justizexperte des TV-Senders CNN, Jeffrey Toobin, meinte nach der Sitzung, Obamas Gesetz sei in "ernster Gefahr". "Meistens sind die Fragen in Anhörungen ein ziemlich gutes Anzeichen, wohin die Marschrichtung geht." Einige Richter hätten die Meinung durchblicken lassen, der Staat dürfe sich nicht in alle Lebensbereiche einmischen. Die vier liberalen Richter unterstützten dagegen die Position Obamas.
Fürsorge oder Gängelei?
Einer ähnlichen Argumentation wie die konservativen Richter folgen die Kläger gegen das Gesetz, darunter 26 Bundesstaaten. "Die Frage ist, ob der Kongress zum ersten Mal in unserer Geschichte die Macht hat, die Menschen in eine Handelsbeziehung zu zwingen", sagte ihr Vertreter Paul Clement.

Rick Santorum (l.) nutzt den Prozess im Wahlkampf - das Plakat im Hintergrund richtet sich allerdings nicht gegen Santorum, sondern gegen die Einmischung der Politik in das Gesundheitswesen.
(Foto: AP)
Der Rechtsbeistand der Regierung, Donald Verrilli, dagegen betonte, der Staat habe das Recht zur Regulierung des Gesundheitswesens, damit alle Menschen versichert seien. Anders funktioniere das System nicht, sagte er. Das Weiße Haus äußerte sich optimistisch über die Zukunft des Gesetzes.
Sollte die Gesundheitsreform für verfassungswidrig erklärt werden, wäre dies für Obama wenige Monate vor der Präsidentschaftswahl allerdings eine herbe Schlappe. Die von den Republikanern heftig bekämpfte Reform gilt als wichtigste innenpolitische Errungenschaft des Präsidenten. Das vor zwei Jahren verabschiedete Gesetz soll 32 Millionen unversicherten US-Bürgern Zugang zu einer Krankenversicherung geben. Der Supreme Court hatte den Rechtsstreit vergangenen November an sich gezogen, nachdem Bundesgerichte in niedrigeren Instanzen uneinheitliche Urteile gefällt hatten.
Santorum tritt vor Gericht auf
Die Anhörungen laufen seit Montag und sind auf insgesamt drei Tage angesetzt. Die obersten Richter hatten laut Experten am ersten Tag durchblicken lassen, eine baldige Entscheidung anzustreben. Ein Urteil könnte damit im Juni fallen, nur wenige Wochen vor dem Nominierungsparteitag der Republikaner. Das Gericht könnte aber auch entscheiden, erst nach 2014 zuständig zu sein, wenn die umstrittene Passage über den Versicherungszwang in Kraft tritt.
Die laufenden Beratungen des Supreme Courts lieferten den möglichen Herausforderern Obamas neue Munition für ihren Wahlkampf. Der erzkonservative Republikaner Rick Santorum hatte am ersten Anhörungstag demonstrativ vor dem Gerichtsgebäude bekräftigt, er werde im Falle seiner Wahl ins Weiße Haus das Gesetz widerrufen. Zugleich griff er den Favoriten im parteiinternen Vorwahlkampf, Mitt Romney, an, der als Gouverneur von Massachusetts die Vorlage der als "Obamacare" bezeichneten Reform geliefert habe. Doch auch Romney distanzierte sich deutlich von dem Gesetz und kündigte dessen Abschaffung an.
Quelle: ntv.de, ssc/dpa/AFP