Bizarres Ritual der Mormonen Romney und die Totentäufer
17.02.2012, 15:54 Uhr
Der Haupttempel der Mormonen in Salt Lake City.
(Foto: REUTERS)
Der Friedensnobelpreisträger und Auschwitz-Überlebende Elie Wiesel hat Romneys Glauben zum Thema gemacht. Romney soll sich gegen die umstrittene Taufe von Toten einsetzen, wie sie die Mormonen betreiben. Doch Romney weicht aus. Dabei kann er sich mit Blick auf die aktuellen Umfragen keine religiöse Kontroverse leisten.
Es ist wohl das umstrittenste Ritual hinter den Mauern der Mormonen-Tempel: In einem Wasserbassin, getragen von goldenen Ochsenstatuen, lassen sich regelmäßig Mitglieder der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" taufen - beziehungsweise nicht sich selbst, sondern als Ersatz für bereits verstorbene Menschen. Die Namen der unfreiwilligen Täuflinge ermittelt die umtriebige Ahnenforschung der Mormonen-Kirche, die bereits rund zwei Milliarden Erdbewohner erfasst hat. Getauft wird jeder, unabhängig von Herkunft, Ethnie oder Religion.
Keine andere Glaubensgemeinschaft wächst in den USA so schnell wie die Mormonen, und mit der Kandidatur von Mitt Romney hat nun erstmals einer von ihnen eine realistische Chance, US-Präsident zu werden. Das Leben des Ex-Gouverneurs wurde bereits von vielen Seiten durchleuchtet: Romneys privilegierte Herkunft, sein politischer Wandel vom Moderaten zum Konservativen, selbst sein Umgang mit Tieren - nur Romneys Glaube an die Lehren der Mormonen-Kirche ist bisher kaum mehr als eine Randnotiz gewesen.
"Er hätte etwas sagen müssen"
Bis sich nun Elie Wiesel zu Wort gemeldet hat. Wiesel, ein Überlebender des Holocaust, Friedensnobelpreisträger und Autor etlicher Bestseller, ist einer von Amerikas anerkanntesten jüdischen Kommentatoren. In Interviews mit der "Washington Post" und dem Nachrichtensender MSNBC fordert er Romney nun auf, sich zur Totentaufe zu positionieren.
"Wie kommt es, dass er sich dazu noch nicht geäußert hat?", sagte Wiesel im Gespräch mit MSNBC-Moderator Lawrence O' Donnell. "Ich bin sicher, dass er damit nichts zu tun hat", so der 83-Jährige, "aber in dem Moment, als er davon erfuhr, hätte er sich dagegen aussprechen müssen, denn er will schließlich Präsident werde."
Taufe für Anne Frank und Hitler
Wiesels Worte als Jude haben besonderes Gewicht in dieser Angelegenheit - nicht nur weil laut Recherchen einer Ex-Mormonin auch sein Name auf einer Taufliste stehen soll. In den 90er Jahren wurde die mormonische Totentaufe erstmals öffentlich. Wie sich herausstellte, waren jahrelang Tausende Opfer der deutschen Judenverfolgung posthum zu Mormonen getauft worden, darunter Anne Frank.

Bassins wie dieses in Freiberg werden von den Mormonen auch zur Totentaufe benutzt.
(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)
Der Aufschrei in der jüdischen Gemeinde war groß, vor allem als bekannt wurde, dass angeblich auch Adolf Hitler nach mormonischer Sitte getauft worden war.
Die Mormonen-Kirche verhandelte jahrelang mit der jüdischen Gemeinde und versprach schließlich, die Totentaufe von Juden einzustellen. Wie jedoch erst kürzlich bekannt geworden war, hatten Mormonen im Januar die Eltern des 2005 verstorbenen Nazi-Jägers und Shoa-Historikers Simon Wiesenthal getauft. Die Kirche entschuldigte sich umgehend und öffentlich. "Wir behandeln das als ernsthafte Verletzung unserer Regeln und haben der verantwortlichen Person dauerhaft den Zugang zu unserer Ahnenforschung entzogen", so ein Kirchensprecher der Mormonen.
Mormonen Teil der US-Historie
Auch Romney selbst hat nach eigener Aussage schon Tote getauft, das Ritual gilt den Mormonen als eines der wichtigsten. 2007 bestätigte er dem Magazin "Newsweek", er habe "schon an einigen [Totentaufen] teilgenommen, aber nicht in letzter Zeit". Sehr viel mehr ist seitdem vom Sohn eines mormonischen Hohepriesters nicht zu erfahren.
Dabei wäre eine öffentliche Diskussion über die Rolle der Mormonen in der US-Gesellschaft durchaus interessant. Denn von den für Außenstehende oft befremdlichen Ritualen einmal abgesehen gehören die Mormonen längst zum amerikanischen Mainstream. Eine sehr empfehlenswerte Dokumentation des staatlich geförderten TV-Senders PBS zeichnet ihre vielschichtige und oft leidvolle Geschichte nach: Vom Aufstieg des selbsternannten Propheten Joseph Smith, der im 19. Jahrhundert ein bisher unbekanntes Kapitel der Bibel von einem Engel empfangen haben will, über die brutale Vertreibung der Mormonen nach Mexiko und ihren späteren Aufstieg zu einer der erfolgreichsten Religionsgemeinschaften der USA.
Kennedy und Obama machten es vor
Glaube und Hautfarbe, das sind die zwei tiefsten Bruchlinien in der noch jungen amerikanischen Geschichte, die immer auch Wahlkämpfe bestimmten - und die manche Politiker für historische Auftritte nutzten.
Religion spielte zuletzt 1960 eine Rolle. Damals wurde mit John F. Kennedy erstmals ein Katholik ins Amt des Präsidenten gewählt. Im Wahlkampf sah sich Kennedy scharfer Vorwürfe von Protestanten gegenüber, die ihn als verlängerten Arm des Papstes in Rom bezeichneten. Ein Katholik im Weißen Haus war für die protestantische Mehrheit eine Gefahr für die nationale Souveränität.
Fast ein halbes Jahrhundert später, mit Obamas Aufstieg 2008, kam dann das noch immer angespannte Verhältnis zwischen Schwarzen und Weißen in Amerika auf den Tisch. Die kontroversen Predigten von Obamas ehemaligen Chicagoer Pfarrer Jeremiah Wright zwangen den Kandidaten, sich zu positionieren: zur Wut der einen Seite, zur Angst und Ablehnung der anderen Seite.
Kennedy und Obama schrieben mit ihren Reaktionen Geschichte: Kennedys Aufruf zu religiöser Toleranz und patriotischer Treue, Obamas biografischer Appell an das gemeinsame Streben nach einer "perfekteren Einheit".
Romneys ignoriert historische Chance
Romney hätte nun die Chance, einen ähnlichen Schritt für die Mormonen zu tun. Zumal er sich eine theologische Kontroverse mit Blick auf die Umfragen ohnehin nicht leisten kann. Zuletzt hatte ihn Rick Santorum, der erzkonservative Katholik aus Pennsylvania, überholt. In Michigan, wo Romney noch vor Wochen als unschlagbar galt, liegt er ebenfalls zurück - dabei war sein Vater dort einst Gouverneur und außerordentlich beliebt. Eine Rede zur religiösen Lage der Nation und den Mormonen wäre die Chance auf ein Comeback. Nicht zu vergessen eine Möglichkeit, sich von seiner ganz persönlichen Seite zu zeigen, was ihm bisher nicht wirklich gelungen ist.
Doch Romney schweigt. Wer Fragen zu seinem Glauben habe, solle sich an die Priester im Tempel von Salt Lake City wenden.
Quelle: ntv.de