Skepsis bei Wählern wächst Ukraine wird für Ost-CDU zum Problem


Kretschmer (r.) ist bereits, was Voigt (l.) werden will: Ministerpräsident.
(Foto: IMAGO/Chris Emil Janßen)
Die Bundes-CDU steht klar an der Seite der Ukraine und setzt Kanzler Scholz unter Druck, dem Land mehr Waffen zu liefern. Doch das Ergebnis der Europawahl zeigt: Im Osten ist das kein Erfolgsfaktor.
Quizfrage: Wer sind die drei wichtigsten Köpfe der CDU in diesem Sommer? Parteichef Friedrich Merz ist es nicht, Generalsekretär Carsten Linnemann auch nicht. Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst zählt nicht dazu. In diesem Sommer heißen die wichtigsten CDU-Politiker Mario Voigt, Jan Redmann und Michael Kretschmer. In ihren Bundesländern Thüringen, Brandenburg und Sachsen stehen im September Landtagswahlen an. Alle drei wollen die CDU zur stärksten Kraft machen. Voigt und Redmann wollen Ministerpräsidenten werden, Kretschmer will es bleiben. So weit, so normal.
Es gibt aber einen Unterschied zu früheren Jahren. Die SPD befindet sich in der Wählergunst im freien Fall. Die Linke ist selbst in ihrer Hochburg Thüringen nur noch ein Schatten ihrer selbst. Dafür ist die AfD laut Umfragen in allen drei Bundesländern stärkste Kraft. Was die Europawahl bestätigte: Ostdeutschland war auf den Wahlkarten ein blaues Meer.
Dieser Trend soll sich bei den Landtagswahlen nicht bestätigen. Die CDU ist dabei der Fels in der Brandung. Sie bleibt als einzige Partei übrig, die einen flächendeckenden Wahlsieg der AfD verhindern könnte. Das wird schwer genug. Doch haben die drei Landesvorsitzenden Voigt, Redmann und Kretschmer einen unerwarteten Gegner bekommen: die eigene Bundes-Partei.
West-CDU anders als Ost-CDU
Der Grund dafür ist die Haltung zur Ukraine. Seit dem Überfall Russlands auf das Land hat CDU-Chef Merz eines deutlich gemacht: Seine Partei steht an der Seite Kiews. "Ohne Freiheit gibt es keinen Frieden", sagte Merz auf dem Parteitag Anfang Mai. Was er damit meinte: keine faulen Kompromisse mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Im Bundestag machte die Union der Ampelkoalition Druck in Sachen Waffenlieferungen. Mehrfach forderte sie, den Marschflugkörper Taurus zu liefern. CDU und CSU stehen genau da, wo man sie erwartet hat: für die Freiheit, gegen Russland, klar in der NATO. Das ist eine gute Nachricht für alle, die in Russland eine Gefahr und im Völkerrecht mehr als einen Stapel Papier sehen.
Man könnte aber auch sagen: Die CDU tritt total westdeutsch auf. Denn im Thüringer Wald, im Voigtland oder in der Uckermark blickt man anders auf die Welt als im Münsterland, im Taunus oder in Franken. Die Unterschiede zwischen Ost und West in dieser Frage zeigte im Juni eine Forsa-Umfrage für ntv.
Auf den ersten Blick sind die gar nicht so extrem: Im Westen sind jene etwas zahlreicher, die den Umfang der Unterstützung der Ukraine genau richtig finden (Ost: 34 Prozent/ West: 42 Prozent). Dabei ist aber die Tendenz im Osten klar fallend - in der gleichen Umfrage vom April lag die Zustimmung dort um 7 Punkte höher. In der Juni-Umfrage sagten 40 Prozent im Osten zudem, die Hilfe sei zu hoch, gegenüber 29 im Westen. Zum ganzen Bild gehört aber auch: Im Osten wächst die Zahl derer, die sich mehr Unterstützung für die Ukraine wünschen. Der Wert stieg von 18 auf 21 Prozent. Im Westen sank er hingegen leicht auf 24 Prozent.
Die Umfrage illustriert auch, wie sehr AfD und BSW das Thema besetzt haben. 84 Prozent der AfD- und 70 Prozent der BSW-Anhänger fanden die Hilfen zu umfangreich.
Genau diese beiden Parteien feierten aber Erfolge bei der Europawahl. Die AfD wurde in Thüringen, Sachsen und Brandenburg stärkste Kraft. Das BSW kam jeweils mit zweistelligen Werten aus dem Stand auf Platz drei.
Es geht auch ums Geld im eigenen Portemonnaie
Ein Faktor dabei: die Ukraine. Dabei geht es nicht nur um Freiheit, die Friedensordnung oder das Völkerrecht. Es geht vor allem auch um das Geld im eigenen Portemonnaie. Der russische Angriff und das Einstellen der Gaslieferungen an Deutschland waren die treibenden Kräfte für die rasanten Preissteigerungen der vergangenen zwei Jahre. Um die Inflation einzudämmen, erhöhte die Europäische Zentralbank die Zinsen. Das machte Kredite teuer - für Unternehmen, aber auch für Häuslebauer.
Angst um den Betrieb, keine Chance mehr aufs Eigenheim und zugleich Angst vor einer Eskalation - das bereitet West- wie Ostdeutschen Sorge. Im Osten aber noch etwas mehr. Die Wirtschaft dort ist fragiler: Die DAX-Konzerne sitzen alle im Westen, die Löhne sind niedriger, die Ersparnisse geringer. Hinzu kommt: Das Verständnis für Russland ist größer.
Lautsprecher für diese Stimmung ist Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Er schlägt immer wieder ausgesprochen russlandfreundliche Töne an. Etwa mit der Forderung, die Pipeline Nord Stream 1 instand zu setzen, um wieder russisches Gas zu beziehen. Der Brandenburger CDU-Chef Redmann verteidigte das im Interview mit ntv.de: "Ich glaube, man sollte Michael Kretschmer und vielleicht auch Ostdeutschland insgesamt zubilligen, dass wir einen etwas differenzierten Blick auf Russland haben." Und in Anspielung auf die DDR-Zeit: "Die Kontakte waren enger."
Wer gewählt werden will, wer AfD-Wähler zurückgewinnen will, muss in der Ukraine-Frage einen Weg finden, den Wunsch nach Verhandlungen und den entschlossenen Beistand für die Ukraine unter einen Hut zu bringen. Der Thüringer CDU-Chef Voigt probierte es gegenüber ntv.de so: "Ein Diktator, der in seinem Land und sogar in Deutschland Menschen umbringen lässt, kann kein Partner sein. Das versteht jeder, mit dem ich rede." Er warnte vor einer "riesigen Fluchtbewegung", wenn "Putin gewinnt". Zugleich forderte er aber auch mehr diplomatische Anstrengungen - wie jene, die glauben, Putin würde dann tatsächlich seine Truppen zurückziehen. Letztlich sitzt die Ost-CDU zwischen den Stühlen.
Bürgergeld aberkennen?
Dieses Dilemma kann mitunter verzweifelte Züge annehmen. Das zeigte sich am vergangenen Wochenende. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen, ein CDU-Politiker, griff einen CSU-Vorschlag auf. Seine Forderung: Jungen Ukrainern in Deutschland sollte das Bürgergeld gestrichen werden, wenn sie Wehrdienst in der Heimat leisten könnten. Damit schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe: Er fordert einerseits Flüchtlinge zur Rückkehr auf. Das dürfte AfD-Sympathisanten gefallen, die die CDU zurückgewinnen will. Zugleich vertritt er damit den Wunsch der ukrainischen Regierung, die die jungen Männer zurückwill. Das passt zum Kurs der Bundes-CDU.
Es gibt nur ein Problem. Umsetzbar ist der Vorschlag Stübgens kaum. Genau das bezeichnete sein Landeschef Redmann bei ntv.de aber als das, was die CDU von Populisten wie der AfD unterscheide. "Wir entwickeln Lösungen, die in der Praxis funktionieren", sagte er. Ein guter Ansatz für jede seriöse Partei. Aber manchmal verdammt schwer umzusetzen.
Quelle: ntv.de