Klöckner: "Unverantwortlich" Union warnt Ampel vor neuem Abtreibungsgesetz
10.04.2024, 10:11 Uhr Artikel anhören
In der kommenden Woche will eine Regierungskommission laut "Spiegel" empfehlen, Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen komplett der Frau freizustellen. Die Union ist entsetzt über die Aufkündigung des mühsam erreichten Abtreibungskompromisses. Im ntv Frühstart erklärt Julia Klöckner, warum.
Zwischen Ampelregierung und Unionsfraktion entbrennt ein neuer Streit, diesmal um eine mögliche Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Eine von der Regierung eingesetzte Kommission will einem "Spiegel"-Bericht zufolge in der kommenden Woche eine generelle Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen innerhalb der ersten zwölf Wochen empfehlen. Die bislang verpflichtende Beratung in diesem Zeitraum entfiele. "Es ist unnachvollziehbar und unverantwortlich, dass in einer Zeit wie dieser, wo unsere Gesellschaft schon unter Druck steht, dass eine Bundesregierung diesen gesellschaftlichen Großkonflikt jetzt aufmacht und auch überhaupt nicht mehr über das ungeborene Leben, über den Schutz spricht", sagte die wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Julia Klöckner, in der ntv-Sendung Frühstart.
Bisher ist eine Abtreibung nach Paragraf 218 des Strafgesetzbuches grundsätzlich strafbar, es sei denn, sie findet in den ersten zwölf Wochen statt und die Frau hat sich zuvor beraten lassen. "Das ist ein Kompromiss, der gefunden worden ist und nach ganz intensiven gesellschaftlichen Debatten, und damit wurde etwas befriedet in dieser Gesellschaft", sagte Klöckner. "Es ist klar, es gibt das Selbstbestimmungsrecht der Mutter, aber auch das Lebensrecht des ungeborenen Lebens, was im Übrigen auch in der Verfassung, in unserer Verfassung verankert ist."
Klage nicht ausgeschlossen
Klöckner wirft der Ampel vor, die Errungenschaften des bisher geltenden Kompromisses nicht zu würdigen: Straffreiheit einerseits, "Beratungs- und Reflexionszeit" für die schwangere Frau andererseits. Die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin schloss auf Nachfrage eine Klage beim Bundesverfassungsgericht nicht aus. "Man kann durchaus zu einer Klage kommen."
Bereits am Dienstag hatte der CDU-Chef und Vorsitzende der Unionsfraktion, Friedrich Merz, Bundeskanzler Olaf Scholz zu einem Stopp des Vorhabens aufgefordert. "Ich habe die Hoffnung, dass der Bundeskanzler die Kraft besitzt, die Koalition davon abzubringen, einen weiteren gesellschaftspolitischen Großkonflikt in dieses Land hineinzutragen", sagte Merz. Auch der Vorsitzende der CSU im Bundestag, Alexander Dobrindt, drohte mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, wenn die Ampel-Regierung das Abtreibungsrecht im Sinne der Kommissionsempfehlung ändern wollte.
Dobrindt sprach von einem "weiteren Baustein in der Polarisierung der Gesellschaft". Mit dem Paragrafen 218 sei vor 30 Jahren ein schwierigster Kompromiss erarbeitet worden - "der für viele nicht zufriedenstellend ist, der aber einen gesellschaftlichen Frieden hergestellt hat über dieses Thema".
Vorstellung am Montag
Der Abschlussbericht der Regierungskommission, die vor gut einem Jahr die Arbeit aufgenommen hatte, soll am kommenden Montag vorgestellt werden. Dem Gremium gehören 18 Expertinnen und Experten aus Medizin, Psychologie, Soziologie, Ethik und Recht an. Familienministerin Lisa Paus hatte in der Vergangenheit mehrfach angedeutet, sich eine Neuregelung vorstellen zu können.
Laut "Spiegel" heißt es in dem Bericht der Kommission: "Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft ist nicht haltbar." Verwiesen werde darauf, dass die aktuellen Regelungen im Strafgesetzbuch einer verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Prüfung nicht Stand hielten. Sobald ein Fötus eigenständig lebensfähig sei, sollten Abbrüche aber verboten bleiben. Die Grenze liege etwa in der 22. Woche seit Beginn der letzten Menstruation, empfehle die Kommission.
Zuspruch von Pro Familia und Die Linke
Der Pro Familia Bundesverband mahnte dringenden Handlungsbedarf an. Die Regierung müsse bei einer Reform mögliche Gestaltungsspielräume umfassend nutzen und Abbrüche vollständig entkriminalisieren. Zudem müssten Beratungspflicht und Wartezeiten abgeschafft werden. Insgesamt müsse das Vertrauen in Schwangere sowie in Beratung, Ärztinnen und Ärzte im Vordergrund stehen. Menschenrechte und effektiver Lebensschutz verlangten, Entscheidungsmöglichkeiten zu erweitern, nicht einzuschränken.
Auch die Gruppe Die Linke im Bundestag pochte auf eine rasche Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und auf ein Recht auf Beratung für Betroffene, anstelle der derzeit geltenden Beratungspflicht. "Wir erwarten von allen demokratischen Parteien im Bundestag, dass sie den Empfehlungen der Kommission folgen." Die Bundesregierung müsse jetzt "zügig" einen Gesetzentwurf vorlegen. Auch Krankenkassen sollten aus Sicht der Linken die Kosten für Schwangerschaftsabbrüche künftig übernehmen.
104.000 Schwangerschaftsabbrüche im Jahr 2022
Der katholische Wohlfahrtsverband Caritas erklärte dagegen, die jetzige Regelung sei keine völkerrechtswidrige Kriminalisierung der Abtreibung, sondern ein ausgewogenes Konzept, das das Leben des Kindes über die Selbstbestimmung der Frau schütze. Deshalb sei nach Vorlage des Kommissionsberichts eine gründliche Diskussion notwendig. Dabei könne die Bedeutung einer guten Beratung und Begleitung werdender Eltern nicht genug unterstrichen werden.
Laut Statistischem Bundesamt gab es 2022 in Deutschland rund 104.000 gemeldete Schwangerschaftsabbrüche. Die Bundesregierung hatte bereits im ersten Jahr ihrer Amtszeit eine weitreichende Gesetzesänderung im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen auf den Weg gebracht: Sie schaffte den umstrittenen Paragrafen 219a ab, der zuvor das "Werbeverbot" für Abtreibungen geregelt und immer wieder dazu geführt hatte, dass Ärztinnen und Ärzte sich strafbar machten, wenn sie öffentlich Informationen dazu zur Verfügung stellten.
Quelle: ntv.de, shu/cwi/dpa