Politik

"Fünf Euro mehr? Lächerlich!" Unmut über Hartz-IV-Erhöhung

Von der Leyen verteidigt ihre Pläne vor der Presse als "sehr gerecht".

Von der Leyen verteidigt ihre Pläne vor der Presse als "sehr gerecht".

(Foto: dpa)

Das Urteil von Opposition, Gewerkschaften und Verbänden ist klar: Für sie ist die Anhebung der Hartz-IV-Sätze um 5 Euro ein Skandal. Sie wollen das Vorhaben stoppen und zweifeln an der Rechtmäßigkeit der schwarz-gelben Entscheidung. Union und FDP nennen die Kritik verlogen, von der Leyen sieht keine Tricks.

Auch die Koalitionsspitzen verteidigen die minimale Anhebung der Hartz-IV-Sätze.

Auch die Koalitionsspitzen verteidigen die minimale Anhebung der Hartz-IV-Sätze.

(Foto: Bundesregierung)

Die Spitzen von CDU und CSU haben die von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen vorgeschlagene Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze um fünf Euro vehement verteidigt. Sowohl CDU-Chefin Angela Merkel als auch CSU-Chef Horst Seehofer wiesen den Vorwurf zurück, sie hätten aus politischen Beweggründen gehandelt. Auch von der Leyen wies den Vorwurf der "Trickserei" zurück.

Die Berechnungen seien unbestechlich. Behauptungen von Sozialverbänden, die Berechnungsbasis sei bewusst klein gehalten worden, seien "schlichtweg falsch", so von der Leyen. Kritiker, die jetzt höhere Hartz-IV-Sätze forderten, müssten dies mit "Heller und Cent offenlegen" und auch plausibel erklären.

Schwarz-Gelb will den Hartz-IV-Regelsatz für Erwachsene um fünf Euro anheben - und zwar von 359 auf 364 Euro im Monat. Für Kinder von Langzeitarbeitslosen hätte der Regelsatz rein rechnerisch sinken müssen, betonte von der Leyen. Man habe sich aber dagegen ausgesprochen, um Vertrauensschutz zu gewährleisten. Die rund 1,7 Millionen Kinder sollen zusätzliche Bildungsleistungen erhalten – monatlich rund 10 Euro.

Opposition droht mit Blockade

Opposition, Sozialverbände und Gewerkschaften empören sich darüber, dass die Regelsätze nur so gering angehoben werden sollen. SPD und Grüne drohen mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

SPD-Chef Sigmar Gabriel kritisierte die Regierungspläne als unzureichend. "Es geht nicht um Alkohol und Zigaretten, wie die Kanzlerin versucht klarzumachen, sondern darum, dass eine Mutter Geld haben muss, um ihrer Tochter oder ihrem Sohn mal ein zweites paar Schuhe zu kaufen", sagte Gabriel dem Südwestrundfunk.

Roth: Keine christliche Verantwortung

CSU-Generalsekretär Dobrindt hatte die SPD aufgefordert zu sagen, was den Langzeitarbeitslosen zusätzlich bezahlt werden solle: "Schnaps, Zigaretten, Flachbildschirme?" Grünen-Chefin Claudia Roth sagte dazu bei n-tv: "Das ist einfach nur unverschämt, das ist provokativ, das ist unter der Gürtellinie. Da ist Herr Dobrindt besonders gut. Der hat in seinem Parteinamen ein C und ein S. Ich finde, dass das, was diese Bundesregierung jetzt auf den Tisch gelegt hat, mit christlicher Verantwortung nichts, aber auch gar nichts, zu tun hat. Das S in der CSU, das Soziale, das hat sie wirklich verraten."

Roth: "So zu tun, als wäre für alle Arbeit da, ist unverschämt."

Roth: "So zu tun, als wäre für alle Arbeit da, ist unverschämt."

(Foto: picture alliance / dpa)

Wenn von der Leyen sagt, "wer mehr ausgeben will, der soll was tun, der soll arbeiten, dann ist das eine Frechheit, eine Ohrfeige gegenüber Menschen, die Langzeitarbeitslos sind, die gerne arbeiten würden, aber die auf diesem Arbeitsmarkt einfach keinen Platz haben", so Roth. "Das ist eine Regierung der sozialen Kälte, des Kahlschlags und der Umverteilung in unserem Land." Die Grünen-Vorsitzende forderte zu einem "breiten gesellschaftlichen Widerstand" auf, um deutlich zu machen, "dass dieser soziale Rechtsstaat Solidarität und Nächstenverantwortung ernst nehmen muss".

Zweifel an der Rechtmäßigkeit

"Das Bildungspaket ist ein Witz", sagte der Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Werner Hesse. Für die Kinder von Hartz-IV-Empfänger gebe es darin lediglich 10 Euro im Monat. Nachhilfeunterricht gebe es "nicht für normale Schüler, die einfach nur ein paar schlechte Noten haben", so Hesse zu n-tv.de, sondern "nur da, wo fast schon eine Störung vorliegt". Er hält es für wahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht "seine Entscheidung wiederholt" und den Regelsatz kippt.

Hesse fordert wie die Opposition einen Mindestlohn. Von dem Argument, Hartz IV wirke wie ein faktischer Mindestlohn, hält er nichts: Mit der Einführung von Hartz IV habe die Politik bewusst den Niedriglohnsektor angereizt. "Da kann man heute nicht sagen, Hartz IV sei zu hoch."

Flächendeckende Mindestlöhne würden nach Ansicht von SPD-Fraktionsvize Elke Ferner dazu führen, "dass wesentlich weniger Menschen auf Transferleistungen angewiesen wären". Sie warf der Bundesregierung vor, die Regelsätze willkürlich festgelegt zu haben. So seien in die Referenzgruppe beispielsweise Aufstocker aufgenommen worden, die selbst Hartz IV beziehen, sagte sie n-tv.de.

Auch Ferner hält eine neuerliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen die Regelsätze für möglich. "Nach dem Geschachere der letzten Wochen mit der klaren Ansage von CSU-Chef Seehofer, dass es gar keine Erhöhung geben soll, dann der Einigung mit den CDU-Ministerpräsidenten auf eine Erhöhung um deutlich weniger als 20 Euro während das Ministerium noch gerechnet hat - da liegt die Vermutung nahe, das hier Regelsätze nach Kassenlage gemacht wurden."

Gabriel: "Herdprämie" streichen

Um mehr Geld für Hartz-IV-Empfänger zu finanzieren, forderte Gabriel einen Verzicht auf das von der Union geplante Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen, sowie eine Rücknahme der umstrittenen Steuerermäßigungen für Hoteliers. Der SPD-Chef wandte sich auch gegen von der Regierung geplante höhere Zuverdienstmöglichkeiten für Hartz-IV-Empfänger. Dies benachteilige Arbeitgeber, die faire Löhne zahlten, weil dann ihre Wettbewerber darauf setzen könnten, Mitarbeiter mit Niedriglöhnen abzuspeisen "und dann holt er sich Hartz IV zusätzlich ab".

Auch Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin verwies auf die Steuerentlastung für Hoteliers. Die Hartz-IV-Minianhebung zeige einmal mehr den Charakter dieser Koalition, sagte Trittin im Deutschlandfunk und sprach von einer "sozialen Kälte vom Schlimmsten".

Gröhe: SPD und Grüne lügen

Für CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe ist die rot-grüne Kritik "an der moderaten Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze verlogen". Man sollte dabei nicht vergessen, sagte er bei n-tv: "Die heutigen Hartz-IV-Regelsätze sind eine rot-grüne Entscheidung und die SPD hat sie stets als ausreichend und auskömmlich verteidigt, solange sie an der Regierung war. Jetzt ist man in der Opposition, da zählt nicht mehr die Sanierung der Staatsfinanzen, da macht man das Füllhorn auf – das ist verantwortungslos."

Gröhe ist sich "sicher", dass – "wenn der erste Pulverdampf auch gespielter Empörung" verraucht ist, wieder Sachlichkeit in die Diskussion einziehen werde. "Auch die Länder wissen, was es für den Staatshaushalt bedeutet, wenn man linken Forderungen nach massiver Erhöhung hier nachgibt. Wir haben uns geeinigt bei den Jobcentern – ich setze auch hier auf Vernunft." Auch Dobrindt hatte sich im Hinblick auf die Länderkammer siegesgewiss gegeben: Die Opposition im Bundesrat sei nicht stark genug, um einen Vermittlungsausschuss einzusetzen.

Matschie: Das hat keinen Bestand

Thüringens SPD-Chef Christoph Matschie äußerte Zweifel daran, ob die geplanten neuen Hartz-IV-Sätze überhaupt verfassungsgemäß seien. Er kritisierte bei MDR Info besonders, dass die Regelsätze für Kinder überhaupt nicht erhöht werden sollten. "Hier ist ein abgekartetes Spiel betrieben worden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man auf sachlichem Wege zu einer solchen Entscheidung kommen kann. Deshalb bin ich überzeugt, das wird keinen Bestand haben." Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar eine Neuberechnung der Regelsätze verlangt.

Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP

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