Keine Nachfragen, keine Aktennotiz V-Mann-Hinweis wurde ignoriert
19.09.2012, 19:05 Uhr
Thomas S. sitzt im November 2004 als Angeklagter im Prozess um den Vertrieb der verbotenen rechtsradikalen Rockband "Landser" im Landgericht in Dresden.
(Foto: dpa)
In der Affäre um das Terrortrio NSU und einen Berliner V-Mann wollte Innensenator Henkel für Klarheit sorgen. Stattdessen tun sich neue Fragen auf. Und immer deutlicher wird, der Hinweis auf das NSU-Terrortrio wurde nicht ernst genommen und nicht sehr professionell ausgewertet.
Auch wenn der Berliner Innensenator Frank Henkel einen anderen Eindruck zu vermitteln sucht: Das Landeskriminalamt der Hauptstadt hat den Hinweis des auf das damals bereits untergetauchte NSU-Trio offenbar nicht weiterverfolgt. Mehr noch: Die Informationen wurden auch nicht an andere Behörden weitergegeben, die nach den Neonazis fahndeten.
Im Jahr 2002 lieferte S. den Beamten einen Hinweis zu dem NSU-Trio. Die V-Mann-Führer von S. fragten weder bei späteren Treffen nach Details, noch vermerkten sie den Hinweis in den Akten des LKA, berichtet der "Spiegel". So schrieben die LKA-Beamten sechs Tage nach dem konspirativen Treffen mit S. am 20. Februar zwar einen anonymisierten "Vermerk" über das rund dreistündige Gespräch, beschränkten sich dabei aber weitgehend auf die Informationen von S. über die Band Landser. Der Hinweis auf das Trio taucht in dem zweiseitigen Schreiben gar nicht auf.
Die Nicht-Erwähnung in dem Vermerk dürfte der Grund sein, warum der Hinweis niemals die Fahndungsbehörden in Thüringen erreichte, die intensiv nach dem Trio suchten. In der Akte von S. finden sich zwar mehrere Vorgänge, bei denen das LKA Hinweise des V-Manns an andere Behörden weitergab. Im Fall des NSU-Hinweises aber geschah dies laut den Akten nicht.
Kontakt zu drei Personen aus Thüringen
Thomas S., der vor dem Abtauchen der späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe eng mit ihnen befreundet war, wurde von November 2000 bis Januar 2011 als V-Mann der Berliner Polizei geführt. In 38 Treffen mit seinen V-Mann-Führern berichtete die Quelle "VP 562" hauptsächlich über den Vertrieb von rechter Musik, Konzerten von Nazi-Bands und den Besuchern der Festivals.
Am 13. Februar 2002 lieferte S. laut den geheim eingestuften Akten des LKA in Dresden beim Mittagessen einen Hinweis auf das abgetauchte Trio. Demnach solle Jan W., einer der Verantwortlichen des Landser-Vertriebs, aktuell zu "drei Personen aus Thüringen" Kontakt haben, "die per Haftbefehl gesucht werden". Zwar nannte S. damals die Namen der NSU-Mitglieder nicht. Gleichwohl sagte er über die Untergetauchten, "dass die wegen Waffen- und Sprengstoffdelikten gesucht werden".
Bedenken beim LKA
Beim Berliner Landeskriminalamt hat es offenbar bei der Anwerbung des NSU-Helfers als V-Mann im Jahr 2000 erhebliche Vorbehalte gegeben. Dies geht nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa aus der Akte beim Berliner Landeskriminalamt hervor. Dennoch arbeitete der Rechtsextreme rund zehn Jahre als Informant.
Als Gründe werden demnach rechtliche Zweifel bei einer Zusammenarbeit genannt, wie ein V-Mann-Führer, der damals auch für die Anwerbung von Thomas S. zuständig war, vermerkte. . Auch während seiner Zeit als Polizeiinformant war der V-Mann verurteilt worden.
In Ermittlungsakten des Bundeskriminalamts seien vier Verurteilungen von S. aufgelistet, hatte der "Spiegel" berichtet, unter anderem wegen Beihilfe zur schweren Brandstiftung, Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall und gefährlicher Körperverletzung. Drei Urteile wurden nach diesem Bericht in den Jahren 1993 bis 1999 gesprochen. Die vierte Verurteilung stamme aus dem Jahr 2005. Damals - fünf Jahre nach seiner Anwerbung als V-Mann - habe das Landgericht Dresden S. wegen Volksverhetzung zu zehn Monaten auf Bewährung verurteilt.
Unterdessen kündigte die SPD-Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, Eva Högl, an, die beiden V-Mann-Führer von Thomas S. als Zeugen laden zu wollen. Die Staatsschützer sollen darüber Auskunft geben, was damals mit den Hinweisen des V-Mannes in Berlin geschah.
Quelle: ntv.de, sab/dpa