Was macht Camerons Niederlage mit der EU? Verlierer sind gefährlich
28.06.2014, 08:57 Uhr
David Cameron.
(Foto: REUTERS)
Dass sich in Brüssel immer alle einig werden mussten, war anstrengend und ist nun vorbei. Erstmals wird der EU-Kommissionspräsident nicht einstimmig gewählt. Entweder wird die EU dadurch demokratischer oder sie geht zugrunde.
David Cameron kann man die Anspannung ansehen. Er steht an seinem Pult, kneift die Lippen zusammen und führt mit seiner rechten Hand zackige Bewegungen aus. Wenn er eine Frage beantwortet hat, holt er keine Luft, sondern zeigt auf den nächsten Journalisten und nennt dessen Namen. Die Journalisten wollen praktisch alle das gleiche: ein Eingeständnis des britischen Premierministers, dass er sich verzockt hat, dass sein einsamer Widerstand gegen den Rest Europas eine blöde Idee war.
Bei so einer wichtigen Entscheidung wie der über den Kommissionspräsidenten stimmen die EU-Regierungschefs normalerweise alle gleich ab. Unstimmigkeiten werden vorher ausgeräumt und wer dennoch anderer Meinung ist, sagt das höchstens verschämt und leise. Schließlich will niemand als Verlierer dastehen. Auch Cameron will das nicht. Um seine Niederlage zu überspielen, muss er an diesem Nachmittag in Brüssel zeigen, wie hart er kämpfen kann. Manchmal müsse man eine Schlacht verlieren um einen Krieg zu gewinnen, sagt er.
Eigentlich hat auch Merkel verloren
Die Niederlage David Camerons bei der Nominierung des EU-Kommissionspräsidenten macht die Brüsseler Demokratie etwas normaler. In Demokratien gibt es immer Verlierer. Ihre Aufgabe im System ist es, den Gewinnern auf die Finger zu schauen, den Wettbewerb aufrecht zu erhalten, Opposition zu sein. "Viele Wähler sind frustriert von Europa", sagt Cameron. "Wir werden ihre Stimme sein." Bisher versuchten alle Regierungschefs, ein gutes Verhältnis zur Kommission zu haben. Cameron, und mit ihm der Ungar Victor Orbán, haben mit diesem Prinzip gebrochen. Sie werden sich damit profilieren wollen, dass sie die Fehler Junckers offen ansprechen. Dass es nun auch in Brüssel eine Opposition gibt, wird das System der EU nachhaltig verändern.
In einem anderen Raum im selben Gebäude sitzt Angela Merkel an einem Tisch und beantwortet in Ruhe eine Frage nach der anderen. Die Bundeskanzlerin macht etwa halb so viele Worte pro Minute wie ihr britischer Kollege. Verglichen mit ihren Auftritten nach anderen EU-Gipfeln wirkt sie aufgeräumt und entspannt. Ab und zu huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Eigentlich wollte Merkel Juncker nicht. Doch sie ist wie so oft früh genug auf den Gewinnerkurs eingeschwenkt. Nun kann sie den Eindruck erwecken, sie habe sich mit ihrer Position durchgesetzt.
Das Prinzip von gewinnen und verlieren, von Regierung und Opposition könnte die EU politischer machen. Es könnte dazu führen, dass die Wähler eine echte Wahl bekommen zwischen unterschiedlichen Programmen für fünf Jahre EU-Politik. Im vergangenen Wahlkampf waren sich diese Programme viel zu ähnlich. Außerdem können die Wähler endlich auch über Personen entscheiden – so wie auch in jedem demokratischen Staat. Die Personalisierung macht Politik verständlicher und endlich wissen die Wähler, an wen sie sich zu wenden haben, wenn sie mit der EU-Politik nicht zufrieden sind.
Kann die EU Streit aushalten?
In Wirklichkeit ist es nicht Angela Merkel, die sich durchgesetzt hat, sondern es sind die Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Zum ersten Mal riefen sie einen europaweiten Wahlkampf mit Spitzenkandidaten aus – und setzten den Gewinner dann tatsächlich durch. Merkel wie Cameron betonen, dass es in fünf Jahren nicht wieder so kommen muss. Doch es wird schwer, das zu verhindern. Da das Experiment dieses Mal erfolgreich war, werden die Parteienfamilien auch dann wieder Spitzenkandidaten aufstellen und für sie werben – wahrscheinlich sogar wesentlich selbstbewusster als im vergangenen Wahlkampf. Das Parlament wird am längeren Hebel sitzen.
Doch in beiden Institutionen, im EU-Rat der Regierungschefs und im Parlament, gibt es Entwicklungen, die besorgniserregend sind. Das Parlament wird von einer größer werdenden Gruppe von Rechtspopulisten blockiert. Diese Gruppe zwingt die restlichen Parteien zu breiten Konsensen, wie sie in der EU üblich sind. Und im EU-Rat droht die Opposition mit dem Austritt. Sollten sich die Briten 2017 verabschieden, wäre das schon für sich genommen ein herber Verlust. Wenn dieser Schritt dazu führt, dass auch andere Staaten ständig mit dem Austritt drohen, würde das die EU noch sehr viel deutlicher schwächen.
Das ist die Aufgabe der EU in den kommenden fünf Jahren: Sie muss lernen, den politischen Streit mit Gewinnern und Verlierern auszuhalten, ohne dabei auseinanderzufliegen.
Quelle: ntv.de